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Zu Gast bei den „Theaterlöwen“ der Kölner COMEDIA—„Super gespielt!“ Ensemblemitglieder sind Jugendliche mit Trisomie 21

Lesezeit 7 Minuten
Ida hat die Hände in die Hüften gestemmt, die anderen Darstellenden sind rücklings umgefallen und liegen zwischen den bunten Papierkugeln auf dem schwarzen Boden.

Wenn Dir alles zuviel wird, kannst Du Dich wehren. Ida hat „Stopp!“ gesagt, die Kakophonie der Beschimpfungen ist verstummt.

Kultur von allen für alle. Im COMEDIA Theater wird das seit Jahrzehnten gelebt. Ein Blick hinter die Kulissen.

Daniel ist der Mittelpunkt der Bewegung. Mit ausgestreckten Beinen sitzt er in der Mitte der Bühne, der mattschwarze Boden reflektiert das Licht, das in den großen Proberaum fällt. Er wickelt ein Stück Zelophan um seine linke Hand, betrachtet sie sinnierend. Neben ihm wirbelt Anna (13) hin und her, pustet gegen ihre Folie, die schwebt leicht wie ein Schmetterling über ihr. Wie ein durchsichtiges Vögelchen landet ein Stück Zelophan auf der Handfläche von Smella (11); sie wirft es sachte wieder empor. Es ist leise, nur die Schritte der Schauspielenden, ihr Pusten, sind im Proberaum der Comedia zu hören, alle sind vollends in ihr Spiel vertieft.

Dann entbrennt ein stummes, gewaltiges Ringen. Martha und Selma (beide 14) haben sich mit einem sehr langen verdrehten Band aus Zelophan umwickelt, jetzt kämpfen sie mit all ihrer Kraft gegen den fesselnden Kordon wie Lakoon und seine Söhne gegen die Riesenschlangen. Anders als den griechischen Mythengestalten gelingt den Zwillingsschwestern zerrend, sich windend, wälzend ihre Befreiung. Stolz blicken sie sich an. Grinsen. Und klatschen sich mit erhobenen Händen ab.

„Das war wunderbar, danke!“, sagt Theaterpädagogin Lina Bonke und lacht. Die sieben Jugendlichen der „Theaterlöwen“ kommen jeder und jede in individuellem Tempo aus der teils improvisierten Szene heraus und sammeln sich um Bonke. Gleich steht die nächste Szene ihres Stückes „Plötzlich anders“ an. Das führt die Theatergruppe an Pfingsten beim Bohei Festival in der COMEDIA auf (siehe Interview).

Sie beugt sich zu ihr, umfasst sachte mit der Hand ihren Rücken.

Schauen, was ist: Lina Bonke im vertrauten Kontakt mit Martha.

Roter Faden der Inszenierung ist die Pubertät. Die beschäftigt die Jugendlichen mit Trisomie 21 mehr und mehr – alle sind zwischen 11 und 14 Jahren alt. „Wir kennen uns schon seit Jahren, haben eine Vertrauensbasis und können offen miteinander sprechen. Die Szenen unseres Stücks entwickeln wir im Laufe des Jahres gemeinsam“, schildert Bonke, die Sonderpädagogik mit Schwerpunkt „Geistige Entwicklung“ studiert. „Mit der Folie bringen die Jugendlichen zum Ausdruck, dass man sich in dieser Zeit manchmal in sich selbst gefangen fühlt, nicht aus einer Haut kann, die einem so gar nicht mehr zu passen scheint.“

An diese Szene schließt sich eine klassische Theaterübung an. Das Doppeln. Die Jugendlichen kommen zu zweit zusammen, Musik setzt leise ein. Wieder fühlt sich der Raum im Dachgeschoss der historischen Alten Feuerwache an der Vondelstraße unvermittelt anders an. Was auf der Theaterfläche zwischen den Holzsäulen passiert, nimmt gefangen. Alles geschieht vollends ruhig und konzentriert. Im Jetzt. Eine Darstellerin bewegt sich, die zweite vollzieht ihre Bewegungen so nach, dass kaum zu erkennen ist, wer führt und wer folgt. Die ausgedachten Formen sind fantasievoll, langsam, auch schwierige sind dabei. Es geht es nicht um Wettbewerb, sondern darum, etwas gemeinsam zu tun, so, dass es beiden gut geht. Um dabei an Innigkeit und Liebe zu denken, braucht es keine Erklärung.

Pubertät, das heißt aber auch Überforderung durch Anforderungen, denen man gerecht werden soll, in Schule, Familie, überall, „obwohl die Pubertät ja an sich schon ein Vollzeitjob ist“, so Bonke.

Ich will das aber auf meine Art machen.
Ina (14)

Zu diesem Gefühl haben die Jugendlichen mit Illustrierten zuerst improvisiert, später dann mit ihren Theaterpädagoginnen eine Szene entwickelt, bei der Ida im Mittelpunkt steht. Alle anderen werfen ihr zusammengeknüllte Illustriertenseiten an den Körper und abwertende Äußerungen an den Kopf. „Deine Hose ist hässlich. Deine Frisur ist blöd. Du bist doof.“

Sie will das beenden, sagt leise „Stopp“. „Das musst Du lauter sagen“, erinnert sie Lina Bonke. „Ich will das aber auf meine Art machen“, sagt Ina. Wieder fliegen die Papierkugeln, immer mehr türmen sich vor ihr auf, die anderen kesseln sie ein, die Kakophonie der Schmähungen scheint außer Kontrolle.

Da wird es Ida zuviel. „Stopp!“, ruft sie, zittert vor Wut. Die anderen fallen rücklings zu Boden. „Super gespielt!“, sagt Bonke. Daniel ist beeindruckt. Und beruhigt. Er hatte sich ausgeklinkt, weil ihm Ida leidtat und er sie nicht beleidigen wollte. „Unsere Jugendlichen zeigen ihre Gefühle sofort, darauf gehen wir ein“, so Bonke. Sie spricht mit Daniel, macht ihm bewusst, dass Ida nur spielt, aber eben richtig gut. Er ist wieder dabei.

Es hilft, darüber zu sprechen, daraus zusammen einen Text zu machen. Von Smella auf Band gesprochen, wird der später Teil einer Performance zum Thema Liebe. Die zur Familie. Und die andere.“
Lina Bonke, Theaterpädagogin

„Außer Kontrolle“ ist das Motto des Bohei-Festivals 2025, zu dem alle neun Jugendkollektive der COMEDIA arbeiten. So außer Kontrolle wie das Empfinden fürs eigene Selbst, der Wunsch, alles auszuprobieren, die Gefühle und das Chaos im Kopf. „Es hilft, darüber zu sprechen, daraus zusammen einen Text zu machen“, sagt Bonke. „Von Smella auf Band gesprochen, wird der später Teil einer Performance zum Thema Liebe. Die zur Familie. Und die andere.“

Viele der Szenen sind mit Musik unterlegt. Diese nicht. Carolin improvisiert, bewegt sich im Raum wie eine Ballerina, dann wie eine Dame beim Frühlingsspaziergang, unvermittelt findet sie einen Lippenstift. Ihre Hand ist ihr Spiegel, allein, der Auftrag des Lippenrots misslingt. Ihre Freundin Anna kommt ihr zur Hilfe, mit einem Tuch, schminkt ihr die Lippen neu. Ausprobieren, Aussehen, Freundschaft. Carolin liebt es, zu spielen, macht die Szene gleich nochmal. Ganz anders. Ein Mädchen liegt am Strand, räkelt sich, entdeckt verwundert einen Lippenstift im Sand …

Bei allem, was an diesem Nachmittag passiert, ist das Wesen von Theater unmittelbar. Was passiert, hat Bedeutung. Es ist erfüllt vom tiefen Wunsch nach Ausdruck. Die Jugendlichen beeindrucken durch Selbstvertrauen und Können, ihr Spiel über Jahre hinweg ist zugleich ein Prozess der Persönlichkeiten, die sich auf die Bühne wagen.

Jugendlich beeindrucken durch Selbstvertrauen und Können

40 Minuten dauert ihr Stück für das Festival. Man merkt den Schauspielenden ihre Theatererfahrung an, auch wenn es jedes Mal Mut kostet, das Herz vor der Aufführung schneller schlägt. Den Applaus finden sie alle toll, auch das Theaterfangen, ein wildes Spiel zwischen den anstrengten Proben. Selma und Martha finden es „richtig schön“, dass ihre Familie bei der Aufführung im Publikum sitzt. Anna denkt an Dornröschen, ihre Augen leuchten vor Freude. Das hat sie beim letzten Festival gespielt.

Bohei Festival: bis 9. Juni , COMEDIA Theater, Vondelstraße 4-8


Vier Fragen an Astrid Hage, Sprecherin der COMEDIA

Hier heißen nicht alle Paula oder Max

Denkt man an Theater, ist Inklusion nicht das Erste, was einem einfällt. Was die COMEDIA betrifft, ist das falsch gedacht …

Kann man so sagen. Bei uns ist Inklusion seit langem selbstverständlich. Das Ensemble „Theaterkönig“, bei dem Schauspielende mit Behinderung mit Schülern und Schülerinnen der Schauspielschule Keller zusammenarbeiten, wurde 2005 von Sabine Hahn gegründet. Im vergangenen Jahr hat eine gehörlose Regisseurin das Stück „In 80 Tagen um die Welt“ in Anlehnung an den Roman von Jules Verne mit gehörlosen Schauspielenden inszeniert. Wir bieten etwa Relaxed Performances an, bei denen man sich während der Vorstellung bewegen darf, wenn langes Sitzen oder ununterbrochene Konzentration nicht möglich sind.

Und wie kam es zur Gründung der Theaterlöwen?

Der Elternverein „Down Syndrom Köln“ hat gefragt, ob wir ihm Räume für inklusive Gruppen zur Verfügung stellen könnten. Heute sind die Theaterlöwen eines unserer neun Kinder- und Jugendkollektive, sie gehören fest zu uns.

Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist ein Schwerpunkt.

Ja, und zwar mit allen. Nicht nur mit denen, deren Eltern ihnen einen Theaterkurs bezahlen können. Die Kinder und Jugendlichen in unseren Kollektiven heißen nicht alle Paula oder Max. Sie repräsentieren die gesamte junge Stadtbevölkerung. Seit 2020 sind wir „Zentrum der Kultur für junges Publikum Köln und NRW“, unsere Angebote sind für Kinder und Jugendliche kostenfrei, werden vom Land und von der Stadt gefördert. Kultur muss für die ganze Gesellschaft da sein. Und von allen gemacht werden können.

Ihre neun Kollektive bestreiten das „Bohei Festival“ …

… Mit 150 jungen Menschen mit und ohne Beeinträchtigung machen wir an Pfingsten vier Tage lang Programm. Dazu gibt es jede Menge Workshops, bei denen auch Gäste mitmachen können. Viele unserer Jugendlichen sind schon seit fünf Jahren bei uns, sie kennen sich, die COMEDIA ist ihr Haus, und beim Bohei Festival ist bei uns die Hölle los. Das Festival ist toll! Und die Solidarität mit den Jugendlichen hier im Veedel auch. So sponsert uns etwa die Bäckerei Schmitz-Nittenwilm Quarkbällchen satt, der Rewe-Markt an der Schönhauser Straße stellt kostenlos die Zutaten für die Mittagessen für 150 Schauspielende.