Stephen King schickt Ermittlerin Holly Gibney im neuen Roman „Kein Zurück“ auf spannende Verbrecherjagd, voller verzahnter Geschichten und Fragen zu Schuld und Gerechtigkeit.
„Kein Zurück“Das bietet der neueste Thriller von Stephen King

Horror-Bestsellerautor Stephen King.
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Stephen King muss wirklich an Holly Gibney hängen. Selten widmete der „König des Horrors“ einem einzelnen seiner zahlreichen Protagonisten so viele Standalone-Romane wie der schüchternen, aber kongenialen Privatermittlerin.
Auch in seinem neusten Werk, dem heute erschienenen Thriller „Kein Zurück“, schickt King sie wieder auf Verbrecherjagd — und Holly bekommt einiges zu tun. Der Roman mutet nämlich ein wenig so an, als hätte der Workaholic King die Ideen für gleich drei verschiedene neue Bücher aus der Schublade geholt, sie einmal in den Küchenmixer geworfen und dem geneigten Leser das Ergebnis kredenzt.
Es braucht dementsprechend auch eine Weile, bis man durch die verschiedenen Handlungsstränge und ihre Verbindung zueinander durchsteigt.
Serienmörder und Stalker in Stephen Kings neuem Thriller
Story Nummer eins: Ein Serienmörder mit dem Spitznamen „Trig“ treibt sein Unwesen in der Stadt Buckeye City und ermordet scheinbar wahllos Menschen. Trig will Rache üben für einen Mann, der unschuldig ins Gefängnis gewandert ist und dort von einem Mithäftling getötet wurde.
Trigs Mordopfer stehen dabei symbolisch für die Beteiligten an dem Gerichtsprozess, die den Unschuldigen in Haft brachten. Kriminalpolizistin Isabelle Jaynes übernimmt den Fall — und zieht ihre gute Bekannte Holly Gibney dabei immer wieder zurate.
Story Nummer zwei: Holly nimmt einen Job als Personenschützerin für die feministische Aktivistin Kate McKay an, die durch die USA tourt und Vorträge hält. Kate und ihre Assistentin Corrie werden dabei nicht nur immer wieder zum Ziel militanter Abtreibungsgegner, sondern auch eines mysteriösen Stalkers mit gespaltener Persönlichkeit, der ihnen nach dem Leben trachtet. Holly muss die beiden Frauen beschützen, wobei ihr Kate selbst durch ihre divenhafte Art immer wieder Steine in den Weg legt.
Story Nummer drei: Hollys junge Freundin Barbara (die King-Fans unter anderem schon aus der „Mr. Mercedes“-Trilogie kennen) bekommt die Chance, mit der berühmten Soul-Sängerin Sista Bessie auf deren Konzert aufzutreten. Am gleichen Veranstaltungsort soll kurz zuvor auch eine Show von Kate stattfinden.
Sowohl Kates Verfolger als auch Serienkiller Trig haben ganz eigene düstere Pläne für diese Veranstaltungen, sodass die drei Erzählungen zusammenlaufen und auf den atemberaubenden Showdown hinführen.
Stephen King schreibt wieder am Puls der Zeit
King springt zwischen den verschiedenen Erzählsträngen hin und her, was es zunächst nicht einfacher macht, vor allem die Hintergründe und Motive der beiden Täter zu verstehen. Besonders bei Racheengel Trig bleibt lang im Dunklen, warum er zufällig unbeteiligte Menschen umbringt, um den Tod eines anderen zu rächen, mit dem Trig zunächst nichts zu verbinden scheint.
Je weiter die Handlung des Romans jedoch voranschreitet, desto geschickter setzt King die verschiedenen Puzzleteile schließlich zusammen. Im Vordergrund steht dabei immer die Frage, was Gerechtigkeit ist, wer sie wie ausüben darf, wie man mit Schuld oder Unschuld umzugehen hat, wer über Strafe und Schicksal eines anderen entscheidet.
Holly bleibt indes das verbindende Element zwischen den Fällen und der Schlüssel zu aller Rätsel Lösung — sie darf aber zwischendurch auch mal Fehler machen und ihre Ermittlerkollegin Isabelle Jaynes versehentlich auf eine falsche Fährte führen.
Der weibliche Sherlock Holmes wird trotz Spürsinn und Tatkraft immer wieder von Zweifeln geplagt. „Ich brauche ein eigenes Antisuchtprogramm“, denkt Holly an einer Stelle. „Nennen könnte man es ASWD. Anonyme Selbstwertdefizitler.“
Neben der verschachtelten Krimihandlung findet King in „Kein Zurück“ irgendwie auch noch den Raum, die Themen Abtreibung und religiösen Fanatismus in den Roman einzubauen. Für letzteres findet die anonyme Erzählinstanz deutliche Worte: „Tiefreligiöse Menschen jeder Richtung und Religion fanden immer in irgendeinem heiligen Buch eine Rechtfertigung für das, was sie tun wollten“, heißt es.
Auch das durch den konservativ dominierten Obersten Gerichtshof der USA gekippte Recht auf Abtreibung wird durch die Figuren Kates und ihres Stalkers — ein radikaler Abtreibungsgegner — verhandelt. Es tobt eine weitere Debatte um Recht und Gerechtigkeit, um verschiedene Moralvorstellungen, die aufeinanderprallen und sich in Gewaltausbrüchen entladen.
Stephen King beweist in „Kein Zurück“ einmal mehr, dass er stets am Puls der Zeit schreibt. Auch, wenn ein Werk mal aus dem Küchenmixer kommt.
Stephen King: Kein Zurück. Roman, deutsch von Bernhard Kleinschmidt. Heyne, 635 S., 28 Euro.