Fatih Çevikkollu über das Leben seiner Eltern„Es wurde niemand zum Bleiben gebeten“

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Fatih Cevikkollu

Fatih Cevikkollu

In „Kartonwand“ erzählt Fatih Çevikkollu aus dem schwierigen Leben seiner Eltern in Deutschland.

Ein Foto wie dieses fehlt vermutlich in keinem Kölner Familienalbum aus den 70er Jahren: Eine junge Frau posiert mit zwei kleinen Jungen vor dem Hauptportal des Kölner Doms. Der jüngere Sohn, auf dem Foto schätzungsweise vier Jahre alt, ist der Kabarettist Fatih Çevikkollu. Das Bild stammt aus seinem gerade erschienenen Buch „Kartonwand“.

Eines wird schnell deutlich: Gemeinsame Freizeitaktivitäten wie ein Ausflug zum Dom hatten aber bei seiner Familie Seltenheitswert. Die Eltern waren in den 1960er Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen.

Orginal-Verpacktes für die alte Heimat

Als Arbeitsmigranten, umgangssprachlich „Gastarbeiter“, die jedoch allenfalls wie Gäste behandelt wurden, die man möglichst schnell wieder loswerden will. „Es wurde niemand zum Bleiben gebeten“, erinnert sich Çevikkollu im Interview mit der Kölnischen Rundschau.

Sprachkurse und Integrationsangebote gab es nicht, wurden aber anfangs auch von den ausländischen Arbeitnehmern gar nicht eingefordert. Sie waren ja nicht gekommen, um zu bleiben, sondern um genug Geld zu verdienen, um anschließend in der Heimat gut leben zu können. Man lebte in winzigen Wohnungen und gönnte sich nur das Nötigste.

All die teuren Einrichtungsgegenstände und Elektrogeräte, von deren Kauf die deutsche Wirtschaft profitierte, wanderten original verpackt in Umzugskisten, wo sie der Rückkehr in die Heimat harrten. So erklärt sich auch der Buchtitel: In der mit 50 Quadratmetern ohnehin viel zu kleinen Wohnung der Çevikkollus nahmen die Kartons eine ganze Wand ein.

Pendeln zwischen Köln und der Türkei

Der 1972 geborene Fatih und sein drei Jahre älterer Bruder wuchsen als „Kofferkinder“ auf und pendelten zwischen Köln und der Türkei, wo sie jeweils längere Zeit bei den Großeltern lebten. Aus damaliger Sicht durchaus plausibel: Nach der Rückkehr der Familie würden die Kinder ja ohnehin in der Türkei zur Schule gehen. Warum also sollte man sie dort nicht bereits einschulen und Freunde finden lassen?

Diese langen Trennungen in Kindheitstagen hinterließen natürlich Spuren, die auch später keine normale Eltern-Kind-Beziehung mehr zuließen. Wie sehr dies aber nicht nur den Kindern, sondern auch den Eltern zu schaffen machte, sei ihm erst nach dem Tod der Mutter wirklich bewusst geworden, berichtet Çevikkollu.

Diese war 2000 alleine in die Türkei zurückgekehrt, nachdem sie sich zuvor von ihrem Mann getrennt hatte. Glücklich wurde sie dort jedoch nicht mehr. Bis zu ihrem Tod 2017 litt sie zunehmend an einer Psychose und war zum Schluss, wie der Sohn es beschreibt, „nicht mehr gesellschaftsfähig“.

Im Bekanntenkreis auf ähnliche Schicksale gestoßen

Im Umgang mit ihrem Tod machte er dann eine erstaunliche Entdeckung: „Wenn ich mit Freunden mit ebenfalls internationaler Biografie über das Schicksal meiner Mutter sprach, war ich erstaunt, wie oft mir von ähnlichen Familiengeschichten berichtet wurde. Da kam mir die Idee: Vielleicht bin ich gar nicht so allein mit meiner Geschichte.“

Beim Schreiben habe er darauf geachtet, dass es „persönlich, aber nicht privat“ wurde. So nennt er etwa seine Kernfamilie nie bei ihren Namen, sondern spricht nur von „meinem Vater“, „meiner Mutter“, „meinem älteren Bruder“ und „meinem jüngeren Bruder“.

Obwohl „Kartonwand“ ganz Çevikkollu-untypisch ein Sachbuch ist, in dem Komik und Satire keine Rolle spielen, ist das Interesse groß. „Das ist sehr erfreulich. Es gibt Interviewanfragen, Einladungen zu Lesungen und in mehreren Fernsehformaten bin ich ebenfalls zu Gast.“

Daneben tourt er weiterhin mit seinem aktuellen Soloprogramm „Zoom“ und betreibt zusammen mit der Rechtsanwältin Azize Ekinci den Podcast „Recht lustig“. Die Idee: Ein Kabarettist und eine Juristin beleuchten alltägliche Situationen, wie sie jedem passieren können.

Jetzt aber ist er erst einmal sehr gespannt, „wie das Buch angenommen, wie es besprochen wird und was es mit den Menschen macht.“

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