Enfant terrible und genialer Filmemacher: Am 31. Mai hätte Rainer Werner Fassbinder seinen 80. Geburtstag gefeiert.
Enfant terrible und großer FilmemacherRainer Werner Fassbinder hätte am 31. Mai seinen 80. Geburtstag gefeiert

Rainer Werner Fassbinder starb 1982 im Alter von nur 37 Jahren.
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Der Mann sieht zum Weglaufen aus: die Haare fettig, die Klamotten zerknautscht, Hemd aus der Hose gerutscht, Kippe, Koks und Cuba Libre stets griffbereit. „Man nimmt den auf seiner Haut glitzernden Schweiß fast körperlich wahr, den Raucheratem, die Bartstoppeln auf den Wangen. Babyweich sieht er aus und gleichzeitig zerklüftet und monströs.“
So beschreibt sein Bewunderer Ian Penman Rainer Werner Fassbinder in einer außergewöhnlichen Biografie mit dem Untertitel „Tausende von Spiegeln“. Es ist dieses Image zwischen Genie und Wahnsinn, das den deutschen Regisseur in der noch jungen Bundesrepublik zu einer der schillerndsten Figuren der Kulturszene macht.
Was davon Selbstinszenierung ist, was zwanghafte Selbstzerstörung, darüber streiten die Exegeten bis heute. Auch 43 Jahre nach seinem frühen Tod 1982 fasziniert Fassbinder als kreatives Schmuddelkind, wie Oskar Roehler in seinem Biopic „Enfant terrible“ (2020) vorführt. Am 31. Mai würde RWF 80 Jahre alt. Was wäre da noch alles gekommen?
Diszipliniert und strukturiert
Dass der Arztsohn aus München inmitten seines chaotischen Umfelds außerordentlich diszipliniert und strukturiert ein künstlerisches Mammutwerk geschaffen hat, ist dabei zuweilen etwas aus dem Fokus geraten.
Natürlich, da sind die opulenten Spielfilme im Stil des großen Hollywood-Kinos, die RWF Anfang der 1980er Jahre Ruhm und Ehre bescheren. „Die Ehe der Maria Braun“, „Lola“, „Lili Marleen“ sind nicht nur virtuose, bildwilde Sittenbilder aus einer verdorbenen Zeit.
Vom Fleiß getrieben
Fassbinder setzt die Frauen so wirkungsvoll in Szene wie kein anderer. Hanna Schygulla, Barbara Sukowa, Rosel Zech werden zu den Diven jenes Sunset Boulevard, der einem seiner Lieblingsfilme den Namen gab und dem er in „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ eine Hommage spendiert.
Nicht zu vergessen die WDR-Serie „Berlin Alexanderplatz“, die als Prototyp des ambitionierten TV-Events gilt. Doch all das wird erst möglich durch einen rasenden Fleiß, der ihn schon als jungen Mann umtreibt.
Authentische Leinwandpräsenz
Er bricht die Schule ab und schreibt schon die ersten Theaterstücke, Gedichte und Geschichten, da ist er noch keine 20. Die akademischen Institutionen stoßen ihn ab, aber als Autodidakt ist er belesener als so mancher Uniprofessor. 1967 stößt er in Frankfurt auf das action-theater (später anti-Theater), eine radikal-ästhetische Schauspieler-Gruppe, zu der bereits die Protagonisten seiner späteren Filme zählen: Hanna Schygulla, Irm Hermann, Margit Carstensen, Ingrid Caven, Kurt Raab, Günther Kaufmann, der Musiker Peer Raben.
Er schreibt Stücke für die Truppe, die im Hinterzimmer der Schwabinger Kneipe „Witwe Bolte“ aufgeführt werden. „Liebe ist kälter als der Tod“ wird die Vorlage für seinen ersten Spielfilm 1969, in dem RWF die Rolle des Zuhälters Franz übernimmt. Immer wieder wird er Rollen spielen, obwohl er nicht der begnadete Schauspieler ist. Aber er hat eine authentische Leinwandpräsenz, die gut zu den Themen seiner Filme passt: ein leicht verstocktes, ebenso böses wie liebesbedürftiges Kind mit hungrigen Augen und offenem Hemd.
Durchbruch mit Brigitte Mira
Schlag auf Schlag geht es dann. Der rasende Filmemacher, wie er gern genannt wird, macht 44 Filme und Stücke in 13 Jahren, mehr Zeit bleibt ihm nicht. Es ist, als ob er das schon ahnt. 1970 arbeitet er in „Der amerikanische Soldat“ erstmals mit dem Kameramann Michael Ballhaus zusammen, einer Hommage an die amerikanische schwarze Serie.
Der Durchbruch kommt mit Brigitte Mira. Als ältliche Putzfrau, die sich in einen jungen marokkanischen Gastarbeiter verliebt und deshalb von Gesellschaft und Familie geächtet wird, wird sie in „Angst essen Seele auf“ 1974 zum Star der Filmfestspiele in Venedig.
Populäre Namen
Fassbinder geht als Regisseur dahin, wo es weh tut. Legt den Finger auf Tabus. In „Faustrecht der Freiheit“ geht es um schwule Ausbeutung, in „Adolf und Marlene“ wird Nazikitsch mit Underground-Trash kombiniert. „In einem Jahr mit 13 Monden“ thematisiert den Selbstmord seines Lebenspartners Armin Meier.
Vor allem aber holt er Darsteller des deutschen Kommerzfilms aus der Versenkung: neben Brigitte Mira auch Luise Ullrich, Werner Finck, Barbara Valentin, Rudolf Platte. Er dreht mit Stars wie Armin Müller-Stahl und Mario Adorf („Lola“). Nicht zuletzt die Popularität der Namen und der Überraschungseffekt, diese in einem ungewohnten Umfeld zu sehen, machen einen besonderen Reiz aus.
Lob und Kritik an seiner Arbeitsweise
Hört man einige von ihnen, beispielsweise Brigitta Mira, in späteren Interviews, hört man viel Lob über die zugewandte, einfühlsame Art Fassbinders bei der Arbeit. Allerdings hat die Unbedingtheit, mit der Fassbinder auf seine Protagonisten zugeht, auch ihre Schattenseiten.
Schon in Zeiten des anti-Theaters wird das Team zeitweise zur Kommune und Familienersatz. Auch später entwickeln sich künstlerische Allianzen zu manipulativen Verhältnissen, wie Irm Hermann berichtet. Fassbinder fordert erfolgreiche Rollenklischees ein. „Ich habe mich nicht so gut gefühlt als Dauerhysterikerin“, sagt sie und bricht den Kontakt ab wie einige andere auch.
Margit Carstensen bringt den Widerspruch zwischen Nähe und Nötigung so auf den Punkt: „Er konnte Frauen toll in Szene setzen. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, ich muss mich immerzu selbst imitieren.“
Drogenkonsum eskaliert
Nach der „Ehe der Maria Braun“ dreht Fassbinder die meisten seiner Erfolgsfilme bei der Bavaria am Geiselgasteig. Hier verwirklicht er seine Douglas-Sirk-Träume. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass er offenbar ausgerechnet daran zerbricht.
Sein Rauschmittelkonsum eskaliert, ebenso die Nervosität, mit der er sich in das Filmprojekt stürzt, das sein letztes werden wird: „Querelle“ nach dem Roman von Jean Genet. Ob sich Fassbinder mit der Titelfigur des bösen Schwulen identifiziert, ist nicht bekannt, darf aber vermutet werden. Ein letztes Mal kreuzen sich Film und Leben. Schräg, dass sein Biograf ihn mit Marilyn Monroe vergleicht. „Er starb im selben Alter wie sie. Und auf dieselbe Weise.“