Filmfestival CologneWelche Streifen sich wirklich lohnen

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EUPHORIA

Szene aus „Euphoria“, Sam Levinsons HBO-Serie, die hierzulande ab 16. Oktober bei Sky gezeigt wird. 

  • Vom 10. bis 17. Oktober zeigt das Filmfestival Cologne rund 100 Titel aus Kino und Fernsehen.
  • Unser Redakteur Hartmut Wilmes gibt Tipps, welche Streifen und Serien sich wirklich lohnen.

Köln – Vom 10. bis 17. Oktober zeigt das Filmfestival Cologne rund 100 Titel aus Kino und Fernsehen. Hier gibt Hartmut Wilmes einige Tipps aus den verschiedenen Sektionen.

Eröffnung

Schräger geht's kaum: In Quentin Dupieux' „Deerskin“ spielt Jean Dujardin einen verlassenen Mann, der sich vom letzten Geld eine teure Hirschlederjacke leistet und eine Digitalkamera dazu bekommt. In einem französischen Bergnest geriert er sich damit als großer Filmemacher. Wie dieser Branchenspott in einen grotesk eskalierenden Splatter-Film mündet, fasziniert dank stoisch-surrealer Inszenierung.

Top Ten TV

In dieser Sparte schlug das Herz des Vorängerfestivals Cologne Conference. Diesmal sollte man sich Benedict Cumberbatch als Kampagnengenie in „Brexit“ ebenso wenig entgehen lassen wie Helen Mirren als „Catherine The Great“. Noch größeres Interesse verdient jedoch die HBO-Serie „Euphoria“, die das heutige Teenagerleben zwischen Liebe und Drogen mit brutaler Ehrlichkeit, glaubwürdiger Empathie und visueller Brillanz ausleuchtet.

Kino-Fiktion

Céline Sciammas „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ konterkariert gängige Malerfürstenklischees. Der Film gewann den Drehbuchpreis in Cannes und hat mit Adèle Haenel jene Hauptdarstellerin, die auch in „Deerskin“ brilliert. Großes Schauspielerkino bietet auch Marco Bellocchios „Der Verräter“, denn Pierfrancesco Favino macht die Titelrolle dieses Mafiadramas zur Tour de force. Das gilt auch für Willem Dafoe als „Tommaso“, der im autobiografisch getönten Film von Abel Ferrara einen von Selbstzweifeln geplagten Künstler mimt.

Kino-Dokumentationen

In dem Dokumentarfilm „For Sama“, den die syrische Journalistin Waad al-Khateab mit Edward Watts realisierte, wird das Mädchen Sama in das Grauen des Kampfs um Aleppo hineingeboren. Die Mutter widmet ihr ein Video-Tagebuch voller Horror, in dem es allerdings auch hoffnungsvolle Momente gibt. Ebenfalls mit unangenehmen Wahrheiten gespickt: die chinesisch-amerikanische Produktion „One Child Nation“, die Chinas bis 2015 unerbittlich verfolgte Ein-Kind-Politik unter die Lupe nimmt.

Look

Hier geht der Vorhang für ungewöhnliche Seherfahrungen und Formate abseits der Konvention auf. Da kann es wie in „Cunningham 3 D“ um den großen Tanzmeister gehen oder in Jan Bonnys „Jupp, watt hamwer jemaht?“ um eine Verdichtung der Serie „Rheingold“, die 2018 mit der Volksbühne Berlin entstanden ist. Bibiana Beglau und Joachim Król befassen sich dabei mit Beuys, Gerhard Schröder und vor allem mit einem berühmt-berüchtigten Düsseldorfer Kunstberater, der immer nur beim Vornamen Helge genannt wird... Ein überwältigendes Erlebnis bietet das kolumbianische Guerillerodrama „Monos,“ in dem jungen Geiselgangstern unter Stress alle Sicherungen durchbrennen.

Made in NRW

Patrick Vollrath, schon mit einem Studenten-Oscar dekoriert, wagt sich mit „7500“ an sein Langfilmdebüt. Der nervenzerrende Cockpit-Thriller um islamistische Terroristen an Bord einer Linienmaschine hat mit Joseph Gordon-Levitt glaubwürdige Starpräsenz, ist aber wegen physischer wie seelischer Grausamkeit der Story eher abgehärteten Cineasten zu empfehlen.

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In Tamer Jandalis halbdokumentarischem Debüt hingegen suchen sieben junge Männer und Frauen aus Köln nach „Easy Love“ – ein Seiltanz zwischen Lust und Frust. Und dann ein Tusch für den Altmeister: „Es hätte schlimmer kommen können – Mario Adorf“ erzählt von der unglaublichen Karriere des Eifeler Jungen.

Special Screenings

Adorf ist gleich doppelt vertreten, denn Dirk Kummer und Kaspar Heidelbach zeigen ihn in „Alte Bande“ als rüstigen Senioren-Knacki an der Seite von Tilo Prückner. „Das Pfefferminz-Experiment“ schildert, wie Marius Müller-Westernhagen sein Kultalbum „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ 40 Jahre später neu deutet.

Korea und Benelux

Bei diesen Länderschwerpunkten überstrahlt Jon-ho Bongs „Parasite“ als würdiger Gewinner der Goldenen Palme von Cannes alles. Wie hier eine Armeleutesippe aus Seoul eine reiche Familie kapert, entlarvt ebenso sarkastisch wie überraschend die Klassengegensätze im modernen Südkorea. FDass auch in unseren Nachbarländern Bildgewitter entfesselt werden, zeigt Eva Ionescus französisch-belgische Koproduktion „Golden Youth“. Ein überschäumendes Vollbad in der Pariser Partyszene der 70er, mit Isabelle Huppert als dekadenter femme fatale.

Hommage

Nicolas Winding Refn, der Gewinner des Filmpreises Köln, wird markant porträtiert. Neben seinem Meisterwerk „Drive“ ist die Kopenhagener Drogendealertrilogie „Pusher“ zu sehen, die neben dem Regisseur auch seinem Hauptdarsteller Mads Mikkelsen die Tür zum Ruhm öffnete. Und dann gibt es da ja noch „Bronson“, mit Tom Hardy in der Kraftprotzrolle des britischen Schwerverbrechers Michael Peterson. Als „Carte Blanche“ hat sich der dänische Filmemacher fünf Beispiele des untergangsbedrohten Trashkinos gewünscht, die er auf seiner Streamingplattform byNWR gratis anbietet.

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