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Interview

Kulturstaatsminister Weimer
„Beschönigungs-Rhetorik hat im politischen Handeln nichts zu suchen“

4 min
26.11.2025, Berlin: Wolfgang Weimer, Kulturstaatsminister

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer ist der Meinung: „Wir dürfen den Extremen nicht den Raum überlassen, auch nicht den kulturellen Raum.“ 

Die Wogen um Wolfgang Weimer schlagen hoch. Der Kulturstaatsminister spricht von einer rechten Kampagne, äußert sich zur Digitalabgabe, dem Kampf gegen die AfD und dem Reizwort „Zwangsgebühren“.

Seit das Online-Magazin „Apollo News“ Wolfram Weimer vorgeworfen hat, Ministerkollegen gegen Geld an reiche Entscheidungsträger zu „verkaufen“, agiert der 61-Jährige im Krisenmodus. Muss Weimer also zurücktreten, um Schaden von seinem Freund, Bundeskanzler Friedrich Merz abzuwenden? Im Interview mit Rena Lehmann und Daniel Benedict ringt der Staatsminister um eine Antwort.

Herr Weimer, ist der Rentenstreit in der Koalition jetzt wirklich zu Ende?

Die Koalition ist in diesem Herbst dabei, ganz viele dicke Bretter durchzubohren – und bei einigen Brettern hat man das ja geschafft und geliefert. Bei der Rentenreform gehe ich davon aus, dass das Parlament am Ende zustimmt. Die Regierung will in zwei großen Schritten das Rentensystem neu aufstellen und wir sollten jetzt einen Schritt nach dem anderen gemeinsam gehen.

Gelinde gesagt, könnte es besser laufen für Ihren Freund und Kanzler Friedrich Merz. Auch Sie selbst werden für ihn gerade zur Belastung. Warum haben Sie – als erfahrener Journalist – den Interessenkonflikt zwischen Ihrem neuen Amt und Ihrer Tätigkeit für Ihre Weimer Media Group nicht selbst gesehen?

Ich habe bei Amtsantritt alle Tätigkeiten im Verlag niedergelegt. Was das Bundesministergesetz vorschreibt, habe ich erfüllt. Vielleicht werden Quereinsteiger aus der Wirtschaft einfach kritischer beäugt. Ich habe als Staatsminister für Kultur und Medien noch viel vor.

Wird der Ludwig-Erhard-Gipfel, wo zahlreiche Kabinettsmitglieder auftreten sollen, im kommenden Frühjahr also wie geplant stattfinden?

Da müssen Sie bitte den Verlag fragen.

Treffen mit den Reichen und Mächtigen am Tegernsee – bestätigt das nicht genau die Erzählung der AfD von den abgehobenen Eliten?

Im Gegenteil. Für die AfD bin ich der Hauptgegner ihrer aggressiven Kampagnen. Da werden auch Grenzen überschritten. Wir können nicht hinnehmen, dass unser Land in den Rechtsautoritarismus abrutscht. Die politische Mitte darf bei wichtigen Gesellschaftsdiskussionen nicht schulterzuckend zugucken und schweigen. Wir müssen deutlich zeigen, wofür die Mitte steht. Denn die politischen Ränder werden immer lauter und größer.

Die Kritik kommt aber schon lange nicht mehr nur von der AfD. Denken Sie über einen Rücktritt nach?

Ich werde mich den rechten Trollen nicht beugen, wenn sie Kampagnen machen gegen einen bürgerlichen Kulturpolitiker, der sie inhaltlich angreift. Die AfD regt sich ja immer wahnsinnig auf beim Thema Kulturpolitik. Ich werde keinen Zentimeter nachgeben, wenn es um unsere kulturelle Vielfalt in Theatern, Museen oder Gedenkstätten geht.

Wechseln wir das Thema. Sie hatten angekündigt, die großen Tech-Konzerne zur Kasse zu bitten, Stichwort Digitalabgabe. Wann kommt die?

Also wir haben da eine große politische Rückendeckung – übrigens auch in der Bevölkerung. Eine Umfrage zeigte, dass 80 Prozent der Deutschen einen solchen Plattform-Soli befürworten würden. Vieles spricht für eine Abgabe und keine Steuer. Denn mit den Einnahmen aus einer Abgabe könnten deutlich zielgerichteter als mit einer Steuer diejenigen unterstützt werden, die für die Inhalte sorgen und ihre Produktion auch finanzieren. Die Plattformen nutzen diese Inhalte als Teil ihrer Geschäftsmodelle, tragen aber nicht zum Erhalt des medialen Ökosystems bei. Sie trifft hier also eine besondere Verantwortung, und diese wollen wir mit einer Abgabe adressieren.

Ab wann könnte sie erhoben werden?

Wenn sie im nächsten Jahr inkrafttritt, wäre das ein schöner Erfolg. Das halte ich für ein ehrgeiziges, aber mögliches Szenario, wenn wir uns in dem Ziel innerhalb der Bundesregierung einig sind. Der Plattform-Soli ist essenziell dafür, unsere freien Medien zu erhalten. Wenn große Suchmaschinen oder Künstliche-Intelligenz-Programme nicht dafür zahlen müssen, dass sie fremde Inhalte verwenden, können unsere klassischen Medien im Wettbewerb nicht bestehen.

Sie machen sich auch für die Öffentlich-Rechtlichen stark, sprechen aber auch von „Zwangsgebühren“. Können Sie einen positiven Satz über ARD und ZDF formulieren – unter Verwendung des angeblich neutralen Begriffs?

Man benennt Dinge besser so, wie sie wahrgenommen werden. Den Begriff „Zwangsgebühren“ benutze ich seit Jahren. Ich halte nichts von Euphemismen. Soll man „Demokratieabgabe“ sagen, weil „Steuern“ unbeliebt sind? Brauchen wir das Gute-Kita-Gesetz? Beschönigungsrhetorik hat im politischen Handeln nichts zu suchen. Ich bin für eine trockene Beschreibungssprache. Ich zahle übrigens den Rundfunkbeitrag für ARD, ZDF und Deutschlandfunk sehr gerne. Die Öffentlich-Rechtlichen sind ein zentraler Baustein der politischen Kultur und wichtig für unsere Demokratie. Wir müssen sie verteidigen.

Wir halten fest: Auch Ihnen gelingt es nicht, das Bekenntnis zum ÖRR mit dem Reizwort zu verbinden – weil es womöglich gar keine trockene Beschreibung ist. Lassen Sie uns über den Kulturetat 2026 sprechen, der mit 2,57 Milliarden Euro etwas größer ist als zuvor.

Einspruch! Er ist nicht nur größer – wir haben den größten Kulturhaushalt, den das Land je verabschiedet hat, einen Aufwuchs von 9,5 Prozent. Das gibt es nur noch in der Verteidigung. Wir stärken die Kultur massiv, weil das Land in den Rechtsautoritarismus abzurutschen droht. Deshalb müssen wir in die Erinnerungskultur investieren. Wir starten eine Kulturbau-Offensive. Vom Hambacher Schloss bis zur Paulskirche müssen wir die historischen Orte der Demokratie sichtbar machen. Das ist unsere Herkunft und Identität. Und wir stecken Geld in unsere Exzellenzformate: Berliner Philharmoniker, Bayreuth, Klassikstiftung Weimar, Nationalarchiv. Klar ist aber auch: Die Mittel im Haushalt werden in Zukunft knapper werden.

Sie ringen mit dem Rechtsautoritarismus, bedienen aber auch dessen Vokabular, wenn Sie mit schillernden Begriffe wie „Kulturnation“ und „Herkunft“ arbeiten.

Das Wort „Kulturnation“ findet sich übrigens auch in Paragraf 4 des Deutsche-Welle-Gesetzes. Aber klar ist doch: Die Mitte der Gesellschaft muss raus aus der Schweigespirale. Wir dürfen den Extremen nicht den Raum überlassen, auch nicht den kulturellen Raum. Wir dürfen ihnen die Narrative nicht überlassen und auch nicht unsere Symbole. Wenn ich jemanden mit der Deutschlandfahne am Revers sehe, denke ich manchmal: Ist der bei der AfD? Das darf doch nicht sein. Schwarz-Rot-Gold ist unsere Fahne! Eine einzelne Partei kann nicht unsere Symbole besetzen. Die ideologische Leitlinie der Rechtsautoritären lautet Identitätspolitik, Neonationalismus, Ressentiment. Unsere wahre Herkunft ist aber die Aufklärung, also Offenheit und Toleranz.

Deutschlands größtes Kulturfestival ist die Berlinale. Dürfen die Preisträger dort mit dem Palästinensertuch auf die Bühne kommen?

Ich vertrete einen liberalen Kulturansatz. Die Kultur ist die Tochter der Freiheit. Politik hat keine Vorgaben zu machen. Kritik ist kein Problem. Nur beim Thema Antisemitismus ist die Integrität unserer Republik tangiert und dagegen wende ich mich in aller Deutlichkeit. Da reicht es aber zu sensibilisieren. Und nicht hinzunehmen, wenn zum Beispiel die Münchner Philharmonie nicht in Gent spielen dürfen, nur weil der Dirigent Israeli ist. Deswegen darf es auch beim ESC keinen Boykott Israels geben.