„Mummenschanz“ im Interview„Die Seele stark behalten, das ist wichtig“

Mummenschanz in den Anfangsjahren
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Köln – Am 8. und 9. Juli gastiert Mummenschanz mit dem Jubiläumsprogramm „50 Years“ in der Philharmonie. Susanne Schramm sprach vor der Deutschlandpremiere mit Floriana Frassetto über Anfänge, über Angst und über ein visuelles Theater mit Masken, das ohne Worte auskommt.
Als Sie Andres Bossard und Bernie Schürch kennenlernten, traten die beiden schon mit einem gemeinsamen Programm auf. Wie war es als Dritte dazuzukommen? War es leichter, weil Sie eine Frau sind oder schwieriger?
Beides. Ich bin Italoamerikanerin, da existieren natürlich Vorurteile. Ich habe nicht den ganzen Tag in der Küche gestanden, gekocht, genäht und gebügelt, ich habe die Theaterschule besucht und Pantomime gelernt. Ich habe in einer anderen Welt gelebt. Andres und Bernie hatten einen starken Zusammenhalt, das waren überhaupt zwei starke Charaktere, beide mit dem Sternzeichen Leo, Löwe. Sie waren ständig kampfbereit und dabei voller Enthusiasmus. Als Clowns hatten sie ein Programm, das war sehr poetisch und schön, aber auf Französisch. Das in eine andere Sprache zu übertragen, hat nicht funktioniert. Ich habe ihnen das Wort weggenommen, immer ein bisschen mehr, sehr behutsam, bis es ganz ohne Sprache funktionierte. Wir haben anfangs in der Schweiz in vielen kleinen Kellertheatern gespielt, aber als wir nach Amerika gingen, in so ein großes Land, da hat man sofort begriffen: Mummenschanz ist kein Medikament, das ist keine Pantomime, das ist kein Tanz – das ist visuelles Theater.
Zur Person

Floriana Frassetto
Copyright: Stiftung Noe Flum
1972 gründete Floriana Frassetto (Foto) gemeinsam mit Andres Bossard und Bernie Schürch die Theatergruppe Mummenschanz. Nach dem Tod von Bossard 1992 und dem Bühnenabschied von Schürch 2012 ist die Schweizerin, die am 9. Dezember 1950 als Tochter italienischer Einwanderer in Norfolk, Virginia (USA) zur Welt kam, das letzte aktive Gründungsmitglied der Gruppe. Heute ist die gelernte Schauspielerin, Pantominin und Akrobatin die Künstlerische Leiterin des Ensembles.
Während die Sketche von Mummenschanz den Auftakt beim Kölner Sommerfestival machen, funktionieren die Musiker von Stomp vom 12. bis 17. Juli Alltagsgegenstände zu Instrumenten um. Das amerikanische Complexions Contemporary Ballet gastiert vom 19. bis 24. Juli mit „Star Dust“ und spannt den Bogen von Bach bis Bowie. (sus)
Wie genau haben Sie Bossard und Schürch kennengelernt?
Das war 1971, in Rom, in einem Café-Theater. Ich war 20 und habe Arbeit gesucht, und sie haben mir Arbeit gegeben. Als Beleuchterin. Da hatte ich nicht viel zu tun, es gab nur zwei Scheinwerfer. Heute, bei Mummenschanz. haben wir 80. In den 1970ern sind wir mit einem alten VW-Bus auf Tour gegangen, da hat alles rein gepasst, uns mit eingeschlossen. Die 1 000 Kilo Tonne Material, mit deenen wir heute auf Tour sind, würden da nicht mehr reinpassen…
Wie waren Sie mit 20?
Ich war sehr schüchtern, ich wollte Theater machen, um dem Publikum etwas von meinem Inneren zu geben. Ich habe viel gegrübelt, ich hatte viel Angst. Ich habe immer Angst. Immer noch. Wir wussten nicht: Wird das Publikum nach der Pandemie ein gutes Publikum sein? Oder sind die Leute depressiv und pessimistisch geworden? Aber es funktioniert noch, Gott sei Dank, und wenn die Kinder lachen – dann ist alles in Ordnung.
Wie sind Sie auf den Namen Mummenschanz gekommen?
Das war nach dem Festival in Avignon, 1972, das sind wir in Paris in eine Bauhaus-Ausstellung gegangen und die Sachen von Oskar Schlemmer, vor allem das „Triadische Ballett“, haben uns total fasziniert. Und da war er plötzlich da, der Name, sich vermummen, sich zu maskieren und die Chance zu nutzen. Schanz kommt von französisch „chance“.
Wird es im Jubiläumsprogramm neue Nummern geben?
O ja, ja, ja. Ganz am Anfang gibt es drei neue Kreationen. In der Zeit von Covid war ich isoliert, aber ich habe ein großes Haus, mit einem Atelier, da habe ich viel gearbeitet. Natürlich war es sehr schwer, aus über 100 Nummern 20 auszusuchen. Aber ich glaube, ich habe eine gute Auswahl getroffen.
Ist es heiß unter der Maske?
Es ist sehr heiß. Du schwitzt wie in einer Sauna. Aber von dem Moment an, wenn du auf der Bühne bist, in einer Welt der Poesie, dann vergisst du das alles.
Denken Sie manchmal ans Aufhören?
Nein. Ich möchte niemals aufhören. So lange ich das gern mache, mache ich das weiter. Ich mache jetzt allerdings nur noch kleine Sachen. Nicht mehr die großen, wie die Nummer mit dem Rohr, dem „Slinkie Man“, der wiegt 17 Kilo. Den habe ich jetzt an die Kollegen abgegeben. Ich glaube, jeden Abend bin ich verliebt. Weil jeder Abend anders ist, wenn wir gemeinsam mit dem Publikum eine Geschichte machen.
Denken Sie oft an den verstorbenen Andres Bossard?
Ja natürlich. Es gibt so viele Momente, wo ich an ihn denken muss. Es sind nur gute Gedanken, alles schlechte Denken ist vergessen. Wenn ich spiele, spiele ich auch für ihn. Und für Bernie. Der kommt immer noch ab und zu bei uns vorbei, nicht um zu kontrollieren, aber um zu kritisieren. Das ist einfach wunderbar!
Was inspiriert Sie zu Ihren Geschichten ohne Worte?
Wenn du vor einem Block sitzt und denkst: Ich muss jetzt eine Idee haben, dann kommt diese Idee nicht. Manche Ideen kommen aus meinen Träumen, sehr oft kommen sie vom Material her. Wenn ich zum Beispiel an einem Ort bin, wo es viel Papier gibt, und das Papier raschelt und plötzlich merkst du: dieses Material hat Potential – und bumms, hast du eine Idee. In den 1970ern hatten wir nicht viel Geld, wir haben Material bei Freunden gefunden oder einen billigen Stoff gekauft. Wir haben diesen Plastiksack – was kann man damit machen? Wir sind die Ersten gewesen, die mit Plastik auf die Bühne gegangen sind. Um zu zeigen: da steckt eine Persönlichkeit drin. Als wir angefangen haben, haben wir gedacht, wir machen Mummenschanz für drei Wochen, dann: für drei Monate – und nun sind es 50 Jahre!
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Wenn ich bei Mummenschanz mitmachen will, was brauche ich?
Einen guten Charakter, aber das bringt erst die Zeit, ein bisschen Akrobatik, Erfahrung, ein bisschen Clownerie. Wir kommen mehr vom Theater her, in der Tradition der Commedia dell Arte, mehr Maskenspieler als Tänzer.
Was soll die Zukunft für Mummenschanz bringen?
Wieder zurück nach Südamerika gehen, eine happy große deutsche Tour machen – Deutschland hat so viele schöne kleine Theater – und in Nordkorea spielen. Ich finde, das ist ein Land, wo die Leute etwas für die Seele brauchen. Das wäre eine große Sache, so, wie wir früher in Ostberlin aufgetreten sind. Man weiß nicht, was passiert in den nächsten acht Monaten. Was mit dem Krieg sein wird. Die Seele stark behalten, das ist wichtig. Ich denke positiv. Trotz aller Angst. Und bin jedes Mal froh über das Lachen zwischen den Eltern und den Kindern. Das ist so ein schönes, schönes Erlebnis.
Mummenschanz: Deutschlandpremiere „50 Years“, 8. Juli, 20 Uhr, 9. Juli, 15 und 20 Uhr, Philharmonie , Bischofsgartenstr. 1. Tickets: Tel. 0221 280 280. Dauer: circa 100 Minuten