Objektkunst in KölnMuseum Ludwig zeigt Werke Roni Horns

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Tröge aus Glas wirken wie mit Wasser gefüllt. Weit oben hängen Porträts von Isabelle Huppert.

Tröge aus Glas wirken wie mit Wasser gefüllt. Weit oben hängen Porträts von Isabelle Huppert.

Das Museum Ludwig widmet der amerikanischen Künstlerin Roni Horn eine umfangreiche Einzelausstellung.

„Aufgewühlt, rau, rein, still, friedlich“, die amerikanische Künstlerin Roni Horn hat für das Wasser viele Worte. Und ihr Blick für die Natur ist durch intensive, einsame Beobachtungen geschult. Stundenlang sitzt sie, dem Wetter ausgesetzt, und schaut auf die Spiegelungen, Farbschattierungen und Reflexe der Oberfläche zum Beispiel der Themse: „Man könnte etwas entdecken im Wasser. Sehen, dass etwas auftaucht“, sagt sie im Video — auch vor dem Hintergrund, dass viele Selbstmörder im Fluss landen.

Mehr als hundert Werke

In ihrer Foto-Serie „Still Water“ ist das Wasser in ganz unterschiedlichen Situationen zu sehen. Eindeutige Zuschreibungen sind aber schwer. Mehrschichtigkeit, Androgynie sind ihre zentrale Themen, mit denen sie in der Vergangenheit in bedeutenden Häusern wie dem Pariser Centre Pompidou oder der Londoner Tate Modern zu sehen war. Unter dem Titel „Roni Horn. Give me Paradox or Give me Death“ (Gib mir ein Paradoxon oder gib mir den Tod), widmet ihr nun das Museum Ludwig eine große Einzelausstellung – im eigenen Fundus hat das auf amerikanische Pop-Art, Minimalart und Konzeptkunst spezialisierte Haus allerdings noch keines ihrer Werke.

Dem Titel liegt ein Zitat von Patrick Henry zugrunde, einem Vertreter der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung im 18. Jahrhundert. Er beendete eine Rede mit den Worten: „Gebt mir Freiheit oder den Tod!“ „Roni Horn tauscht Freiheit gegen Paradox, setzt die beiden Begriffe in ihrer Bedeutung gleich“, sagt Museumsdirektor Yilmaz Dziewior.

Ihm kam es gelegen, dass die Möglichkeiten des Hauses über den üblichen Platz für die Wechselausstellungen hinausreichen. Bis unter das Dach wird jetzt jeder Raum genutzt, um die komplexen Zusammenhänge von Identität, Natur, Landschaft, Sprache, Schrift oder Literatur auszuloten. Weit mehr als einhundert Werke von den Anfängen ihrer Arbeit bis heute sind zu sehen.

Frühe Zeichnungen

„Lange bevor Begriffe wie genderqueer oder nonbinär in den öffentlichen Diskurs gelangten, untersuchte Roni Horn bereits fluide Darstellungen von Gender“, so Dziewior. „Auf ihren Porträts ist eine Person zu sehen, die zwischen den Geschlechtern fluktuiert, ohne dass sie für diese Existenzweise ein eigenes Wort zu finden bräuchte. Sie zeigt Menschen als Organismen, die sich fortwährend im Zustand der Verwandlung befinden.“

Bei einem Atelierbesuch stieß Dziewior auf frühe Zeichnungen Horns aus den 1970er Jahren, die nun erstmals öffentlich zu sehen sind. In Abstraktionen näherte sie sich den Farbschattierungen Brooklyns in Grau, Grün, Weiß oder Rot. In ihren großformatigen Bildern mutet es an städtebauliche Pläne an, die aber hinter organischen, farblich etwas dominirenderen Formen von Flüssen, Strudeln oder Keilen zurücktreten. Es hat etwas von Karten, Koordinaten oder gar einem wandgroßen Schnittmuster.

Horn zeichnet, schneidet aus, klebt neu und fügt Sätze oder Begriffe wie „Elefanten-Atem“ als Querverweise an die Schnittstellen. Der Betrachter wird hineingezogen in eine Dynamik, die zwar systematisch aufgebaut, aber nicht eindeutig zu benennen ist.

Gleich zu Anfang der Ausstellung zeigt sich, wie unterschiedlich die Momentaufnahmen eines Menschen etwas von seiner Persönlichkeit wiedergeben. Der Ausdruck ist jedes Mal anders. Die Besucherinnen und Besucher werden vom Zyklus „This is Me, This is You“ (1997–2000) empfangen. Jeweils 48 Jugendbilder, die Horn von ihrer Nichte Georgia Loy machte, sind auf zwei sich gegenüberliegenden Wänden unterschiedlich angeordnet.

Ob Kaugummi kauend, Faxen machend, ernst, still, lachend — wird die Identität mit dem Blick durch die Linse richtig erfasst? „Diese Fotografien sind eher Landschaftsbilder als Porträts“, erklärte der Kunsthistoriker Thierry de Duve. Und Horn, die bereits als 20-Jährige mit dem Motorrad durch Island reiste, erklärte einmal „Island ist immer dabei, das zu werden, was es sein wird, und was es sein wird, steht nicht fest. Das also ist Island: eine Handlung, kein Objekt, ein Verb, niemals ein Substantiv.“ Und das wiederum überträgt Thierry de Duve auf die Porträts der Nichte: „ Georgia Loy ist ein Verb.“

Optikerglas

Oft stellt Horn nur zwei Porträts nebeneinander, oder sie zeigt Hinterköpfe — auch von Vögeln. Die Spurensuche nach der Identität ist beim Betrachter geweckt. Fasziniert zeigt sich Roni Horn vom „Werk der Dichterin Emily Dickinson (1830 bis 1856). Menschenscheu verbrachte sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Von dort aus schuf sie sich einen eigenen Kosmos mit fiktionalen Menschen und Geschehnissen.

Im Großen Saal sind dann zum Ende des Ausstellungsrundgangs hin Horns Glasarbeiten zu sehen, die in der Kunstwelt mittlerweile ikonischen Status haben. Große Objekte aus Optikerglas liegen in unterschiedlichen Farben auf der Erde. Tintenschwarz, tiefblau oder grau wirken sie auf der Oberfläche, als handle es sich um klares Wasser — eine Liebeserklärung an die kreisrunden Quellen und Tümpeln, die Roni Horn in ihrer Wahlheimat Island fotografiert hat.

Weit oben an der Wand hängt ein Fotozyklus mit Porträts der französischen Schauspielerin Isabelle Huppert (Porträt of an Image). Für die Serie bat Horn die Mimin, sich gedanklich noch mal in unterschiedliche Rollen ihrer Karriere zu versetzen. Der Gesichtsausdruck verändert sich — klare Zuschreibungen sind auch hier aber nicht möglich.

Bis 23. August, Di bis So 10 — 18 Uhr, Heinrich-Böll-Platz.

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