Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Phil. Cologne in KölnDaniel Kehlmann und Markus Gabriel diskutieren über KI

Lesezeit 3 Minuten
Daniel Kehlmann und Markus Gabriel bei der phil. Cologne

Daniel Kehlmann und Markus Gabriel bei der phil. Cologne

Die Diskussion zwischen Daniel Kehlmann und Markus Gabriel auf der Phil. Cologne beleuchtet die Macht und Risiken von Künstlicher Intelligenz.

Nichts und niemand kann diesen Geist zurück in die Flasche stopfen. Künstliche Intelligenz (KI) ist längst alltagsgegenwärtig und für den Erkenntnistheoretiker und Ethiker Markus Gabriel so wirkmächtig wie einst die industrielle Revolution. Sein Freund, der zwischen New York und Berlin pendelnde Schriftsteller Daniel Kehlmann, mag sich nicht einmal damit trösten, dass KI als Zweitverwerter ungeheurer Datenmengen immerhin kein Denken sei: „Das ist noch nicht so sicher…“

Zwei blinde Flecken

Besser als mit diesem brisanten, angstbesetzten und oft höchstens halb verstandenen Thema hätte die 13. phil.Cologne in der Flora kaum beginnen können. „Stehen wir am Beginn eines neuen Goldenen Zeitalters oder am Anfang vom Ende?“ will die exzellente Moderatorin Simone Miller wissen. „Das liegt komplett in unserer Hand“, meint der Bonner Philosoph, „denn alles hängt davon ab, wer die KI-Systeme baut und kauft.“

Intelligenz definiert er als „Fähigkeit, ein gegebenes Problem in einem endlichen Zeitraum zu lösen“. Von Menschen programmierte Digitalsysteme wie ChatGTP schaffen dies schneller als jedes Individuum. Und geben selbst einem besorgten Skeptiker wie Kehlmann manchmal das Gefühl, „dass mich dieses Gegenüber versteht“. Aber hat KI ein Bewusstsein? Der Romancier („Lichtspiel“) zweifelt, weiß aber: „Google benutzt jetzt Roboter, die in bestimmten Umgebungen verschiedene Erfahrungen machen sollen.“

Den exponentiellen Fortschritt dieser Systeme sieht man laut Kehlmann daran, dass sie kurz nach Eingabe einer Hegel-Gesamtausgabe einen Podcast ausspucken können, in dem eine Männer- und eine Frauenstimme darüber diskutieren. Zwar glaubt er nicht, „dass das nächste ,Hundert Jahre Einsamkeit' von einer KI verfasst wird – doch Künstliche Intelligenz wird viele Entertainmentangebote schaffen, die uns Leser wegnehmen“.

Der Ethiker – im Oktober erscheint sein neues Buch „Moralische Tatsachen“ bei C.H. Beck – attestiert der KI immerhin zwei blinde Flecken: „Philosophie und fortgeschrittene Mathematik – beides können diese Systeme gar nicht.“ Für Simone Miller ist das ein schwacher Trost, sieht sie doch den Fortschrittsmotor KI als Arbeitsplatzvernichter.

Enormes Wissen anzapfen

Für Gabriel würde sich da neues Nachdenken über ein bedingungsloses Grundeinkommen lohnen, während er „eine Vermögenssteuer von drei Prozent bei Wegfall der Einkommensteuer“ vorschlägt. Kehlmann ergänzt ironisch: „Vielleicht sagt uns die KI ja irgendwann, was wir tun können.“ Die Moderatorin beklagt, dass zwar jeder auf Knopfdruck enormes Wissen anzapfen könne, das Design der Künstlichen Intelligenz aber in den Händen weniger Tech-Giganten liege.

Wobei der Schriftsteller die US-Schlüsselkonzerne attackiert, die sich „mit der jetzigen faschistischen Regierung Amerikas“ kurzgeschlossen hätten. Was also tun? „Selber machen“, fordert der Philosoph, und dabei weniger in den Westen als nach Asien, vor allem Japan schauen. Einerseits könne man KI-Programme schreiben und dem Nutzer etwa friedfertige Gandhi-Bots als Gegenüber anbieten. In Indien arbeitet er selbst am Projekt „Ethical Design in the Global South“ und will dem „Tiktok-Modell der Tiefenschürfung in Junghirnen“ ein System gegenüberstellen, das mit dem kompletten ethischen Weltwissen moralische Urteile treffen kann.

Gelingen soll dies auch dank des Quantencomputers, „bei dessen Entwicklung die USA etwas zurückhängen“. Laut Gabriel bräuchten die aktuellen Superrechner in Jülich 200.000 Jahre, um aus all seinen Daten schließlich in der Lage zu sein, seine Konten leerzuräumen. „Dem Quantencomputer gelänge das in einer Sekunde!“

Hoffnung auf den Quantensprun

Also Hoffnung auf den Quantensprung. Daniel Kehlmann schlägt zunächst eine andere Maßnahme vor: „Es gibt etwa auf Youtube verhaltensmanipulierende Algorithmen“, die zu einer längeren Verweildauer führten. „Die sind des Teufels“ und sollten von der EU verboten werden. Am Schluss erinnert der Philosoph an seinen Kollegen Hegel, der die Vernunft als „Rose im Kreuz der Gegenwart“ sah. Und er selbst glaubt an ein globales Erwachen, das zu Freiheit statt Versklavung an Technik führt.

So einschüchternd das Missbrauchspotenzial der KI auch wirken mag – an diesem vor Esprit, Kenntnis und Originalität nur so sprühenden Abend triumphiert die natürliche Intelligenz.