Patti Smith begeisterte bei der achten Poetica das Publikum in der Aula der Universität und performte als Zugabe ihren größten Hit
“Patti Smith erntet beim Festival für Weltliteratur tosenden Applaus

Sängerin Patti Smith
Copyright: dpa
Es gibt unterschiedliche Arten von Applaus: abwartend, skeptisch, vorfreudig oder schon im Vorhinein gelangweilt. Auch das tosende Klatschen und Johlen, das Patti Smith entgegenbrandet, als sie bei der Poetica die Bühne der restlos ausverkauften Aula der Universität betritt, ist rasch eingeordnet: So begrüßt man lebende Legenden, Menschen, die längst jenseits von Gut und Böse stehen. Bei den vielen jungen Studenten im Publikum ist die uneingeschränkte Zuneigung ebenso zu spüren wie bei gestandenen 70-Jährigen.
An diesem Bild hat Smith allerdings kräftig mitgewirkt, indem sie sich von Anfang an mit lebenden und toten Ikonen umstellte. Schon das Cover der ersten LP von 1975 ließ die Rockmusikerin, Autorin, Fotografin und Malerin von Robert Mapplethorpe gestalten, produziert hatte es John Cale, ein Song handelte von Jim Morrison.
Künstlerische Vorläufer
Aus ihren literarischen Einflüssen machte sie auch nie ein Geheimnis: die Dichter der Beat Generation, William Blake, William Butler Yeats, Jean Genet. Häufig Randexistenzen, düster-romantische Außenseiter.
Wenn sie über ihre Vorbilder redet, ist Patti Smith immer Fan, Schwärmerin, und sie geht dabei recht weit. Im Gespräch verrät sie Christian Filips, Kurator der Poetica, dass Artur Rimbaud und der junge Bob Dylan ihre „geheimen Geliebten“ waren: „Beide hatten so engelhafte, arrogante Gesichter.“ Sie trägt ein kurzes frühes Gedicht vor, „Dog Dream“, in dem es um Dylans Hund, seine Schlange und seine Augen geht. Es ist so rau, surreal, assoziativ, erotisch aufgeladen wie ihre spätere Lyrik und basiert auf einem Traum, den sie bei einer Übernachtung im Chelsea Hotel hatte (wo auch sonst?).
Die ständige Begeisterung für Vorbilder ist auch deshalb erträglich, weil Smith sich so offenherzig, ja stolz zu ihnen bekennt. „I contain multitudes“ (in etwa: In mir sind viele) ist der Abend in der Aula ja überschrieben, und das bezieht sich nicht zuletzt auf ihr Verhältnis zu künstlerischen Vorläufern. Dass es auch der Titel des bislang letzten Studiowerks von Dylan ist, ist natürlich kein Zufall. Ursprünglich aber stammt die Zeile von Walt Whitman – so funktioniert es eben, bedeutet das.
A-capella-Zugabe nach Standing Ovations
Allerdings verhindert diese Offenherzigkeit nicht, dass die Gedichte von Patti Smith häufig epigonal klingen. Sie liest das frühe „Piss Factory“ über Erfahrungen als 16-jährige Fabrikarbeiterin in New Jersey und den Entschluss, Poetin zu werden. Später ein Gedicht über die von August Sander beeinflusste Fotografin Diane Arbus, oder ihre Gedanken über die dramatischen Folgen der Erderwärmung: bildhafte Sprache, ein gleichzeitig rotziger und hymnischer Ton, oft beschwörend, quasi-religiös. Immer meint man die Fünfziger und Sechziger Jahre mitzuhören, vor allem Allen Ginsberg.
Der Vortrag selbst aber packt den Zuhörer durch seine reine Intensität. Auch als Rock-Performerin, die einen rohen, ungeschliffenen New York City-Sound namens Punk bekannt machte, kann Patti Smith ja stets überzeugen. In der Aula greift sie nur kurz zur Akustik-Gitarre und singt „My Blakean Years“ mit kratzig-sanfter Stimme, scheitert beinahe an dem ungewohnten Instrument, beginnt mehrmals neu. Auch zum „Bathroom“ muss sie zwischendurch mal. Die Pannen, das Scheitern gehören nun mal dazu: ,,Man muss dann tief Luft holen und einfach weitermachen“, mahnt sie die Zuhörer.
Als Zugabe nach der Standing Ovation singt Patti Smith mit dem Publikum noch a-capella ihren größten Hit „Because the Night“. Erstaunlich textsicher, die Jungen.