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Liebe, Sex, Intrigen„Romantasy“ erobert die Bestsellerlisten und die jungen Leser

Lesezeit 5 Minuten
Eine Frau nimmt ein Buch aus einem Regal am Messsestand des Verlags Coppenrath.

Mehr junge Leserinnen und Leser greifen wieder zum Buch.

Liebe, Sex und der ewige Kampf zwischen Gut und Böse: Dieses Erfolgsrezept bringt derzeit Romane an die Spitze der Bestsellerlisten.

Wann immer die Spiegel-Bestsellerliste veröffentlicht wird, tummeln sich auf ihr – auch ganz oben – Bücher mit Titeln wie „Quicksilver – Tochter des Silbers“, „Onyx Storm – Flammengeküsst“ oder auch „Six Scorched Roses“ (zu Deutsch: Sechs verbrannte Rosen). Sie alle laufen in der Rubrik „Romantasy“ – eine Wortschöpfung aus Romance und Fantasy. In den Werken geht es in erfundenen Königreichen um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, um Macht, Intrigen, Rache, aber eben auch um Liebe, Romantik, Sex, Abenteuer, Magie. Was sie gemeinsam haben: Sie sind sehr konventionell, oft nach Schema F geschrieben, und sprachlich wenig anspruchsvoll, weshalb das Feuilleton sie möglichst komplett ignoriert.

Denis Scheck: Romantasy ist „Hirnpest in Buchform“

In der inzwischen eingestellten SWR-Sendung „Lesenswert“ nannte der Literaturkritiker Denis Scheck Romantasy „Hirnpest in Buchform“ und klagte über die „neue Begeisterung am Schundroman“. Seine Kollegin Insa Wilke äußerte sich gemäßigter: „Man kann sich da ein bisschen zurücklehnen, eine Welle, die vorbeigehen wird.“ Sie stimmte allerdings auch Ijoma Mangold, Literaturkritiker der „Zeit“, zu, der eine pauschale Abwertung des Genres ablehnte und feststellte, „dass das Lesen und das Buch in seiner Haptik als Lebensform von den jungen Leuten wiederentdeckt wird“.

Scheck blieb hart: „Das Grauen hat einen neuen Namen: Romantasy.“ Das vernichtende Urteil tat und tut dem Erfolg der Bücher keinen Abbruch, es erreicht die Fans ohnehin nicht. Die informieren sich nur über soziale Medien, vor allem bei TikTok, welcher Roman gerade angesagt ist. Die Werke der bekanntesten Autorinnen – immer nur Frauen – werden in Deutschland hunderttausend- und weltweit millionenfach gekauft. Ohne sie würde es dem Buchmarkt schlechter gehen.

Bücher liegen in einem Buchladen in der Auslage.

Romantik und Fantasy sind auf „Booktok“ beliebt.

Kleinere und große Verlage, die früh auf den Trend setzten, der vor zwei Jahrzehnten mit der Twilight-Saga der Schriftstellerin Stephenie Meyer begann, machen glänzende Geschäfte. Andere, vor allem große, ziehen nach oder weiten ihr Angebot aus. Droemer Knaur hat das US-Label Bramble nach Deutschland geholt, das so für seine Bücher wirbt: „Jeder hat eine gute Liebesgeschichte verdient.“

Der Lyx-Verlag, der zu Lübbe gehört und sich auf die Zielgruppe der jungen Erwachsenen, im Fachjargon „New Adult“ genannt, konzentriert, legt jedes Quartal erstaunliche Umsatz- und Gewinnraten vor. Lyx richtet inzwischen ein Festival aus, das vergangenen August Tausende junge Leute besuchten. So nah dran an ihren Kunden waren Verlage wohl nie. Verbunden ist damit die Hoffnung, dass die Leserschaft das Buch als Freizeitvergnügen auch im künftigen Leben nicht missen möchte.

Programmchefin: Sollten Dünkel gegenüber Genres ablegen

Kiepenheuer & Witsch startete mit „Kiwi Sphere“ ein neues Verlagslabel, das sich gezielt an eine junge Leserschaft richtet. Programmchefin Mona Lang empfahl auf ihrem Instagram-Kanal den Fantasyroman „Fourth Wing“ der weltweit populären Amerikanerin Rebecca Yarros. Follower gestanden, „dass sie es auch heimlich lesen“. Lang meinte daraufhin: „Es täte unserer Branche äußerst gut, diesen Dünkel gegenüber bestimmten Genres schnellstmöglich abzulegen und das Bedürfnis vor allem junger Leserinnen und Leser nach Unterhaltung, Zerstreuung, Ablenkung, Identifikation ernst zu nehmen.“

Die Frankfurter Buchmesse hat schon reagiert. Oder eher: sie musste. Im Oktober 2023 platzte die Halle mit den deutschsprachigen Verlagen wegen des Besucherandrangs aus allen Nähten. Fans standen stundenlang in Warteschlangen, um ein Autogramm einer Autorin zu bekommen oder ein Buch mit einem limitierten Farbschnitt zu kaufen. Vergangenen Herbst hatten die Aussteller, die mit Romance, Fantasy oder dem Mix aus beidem ihr Geld verdienen, erstmals Halle eins für sich allein. Frank Krings, PR-Manager der Buchmesse, bezeichnete das „als Wertschätzung dieses Genres“ – und folgte der Leipziger Konkurrenz.

Der Boom widerspricht dem Klischee, dass junge Leute nicht mehr lesen. „Von wegen!“, befand selbst die „Bild“-Zeitung in einem Artikel über Autorin Yarros: „Was es braucht, sind magische Kreaturen, eine große Liebesgeschichte mit explizitem Sex, blutige Schlachten, Machthunger und Intrigen.“ Astrid Behrendt, Gründerin und Chefin des Drachenmond-Verlags, der auf Fantasy spezialisiert ist, erklärte den Erfolg in Frankfurt so: „Je schwieriger die Lage in der Welt wird, desto mehr steigt das Bedürfnis, einfach mal alles zu vergessen, abzutauchen und in der Fiktion zu verschwinden. Eine spannende Geschichte, eine schöne Optik ist Balsam für die Seele.“

Farben und Gestaltung spielen tatsächlich eine besondere Bedeutung in dem Genre. Sie bilden einen Kontrast zur uniformen digitalen Welt, in der man nichts anfassen kann. Dass die Bücher vor allem bei älteren Mädchen und jungen Frauen ankommen, hat mit einer Besonderheit zu tun: Das weibliche Geschlecht dominiert. Anders als etwa in Tolkiens „Herr der Ringe“, wo fast nur Männer und männliche Wesen zentrale Figuren sind, spielen Frauen die Hauptrolle. Das dürfte der Grund sein, warum die Mehrheit, die die Bücher kauft und Messen besucht, Frauen sind, meist zwischen 18 und 25.

Frauen dominieren in einem dennoch veraltetem Weltbild

„Hier schreiben Frauen für Frauen über starke Frauen“, meint Ralf T. Vogel, Honorarprofessor für Psychotherapie und Psychoanalyse an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Die Werke bilden einen seltsamen Kontrast: Einerseits zeigen sie, dass Frauen alles – auch Krieg – können und sehr erfolgreich dabei sind. Andererseits sind sie eingebettet in ein veraltetes bis reaktionäres Weltbild von Militarismus und absoluter Herrschaft. „Die Erzählungen schlängeln sich entlang einer Kompromisslinie zwischen dem Wunsch nach einer Welt mit starken und im Fokus stehenden Frauen einerseits und dem Verhaftet-Bleiben in altvertrauten Herrschaftsverhältnissen andererseits“, schrieb Vogel in einem Beitrag für „Psychologie Heute“.

Susanne Stark, als Programmleiterin zuständig für New Adult bei dtv, sagte im „Börsenblatt“: „Selbst bei den Autorinnen, die stärker auf Klischees rekurrieren, wird den Leserinnen eine ehrliche Gefühlswelt und Emotionalität vermittelt. Leserinnen wollen von der Geschichte berührt werden und sind darin auch anspruchsvoll.“ Dass das gelingt, liegt auch an der engen Verbindung erfolgreicher Autorinnen mit ihren Fans. Sie wissen, wie die ticken, wovon sie träumen und was sie wollen. Ruby Braun, die ihre Bücher im Ullstein-Verlag Forever veröffentlicht, erklärte in einem Podcast mit dem „Diffus“-Magazin ihren Ansatz, auch „über sehr schmerzhafte Aspekte des Lebens“ zu schreiben und zugleich ein Gefühl „von Heilung, Wiedergutmachung und auch Hoffnung, Liebe und Freundschaft“ zu erzeugen. Deshalb seien ihre Figuren nicht nur gut oder böse, sondern haderten auch mit sich.