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Berührend, aber erkenntnisarmSchauspiel Köln inszeniert den Prozess zum Terror von Paris in „V13“

4 min
Auf der Bühne werden Claude De Demo und Paul Grill von an beweglichen Tischen befestigten Kameras begleitet.

Auf der Bühne werden Claude De Demo und Paul Grill von an beweglichen Tischen befestigten Kameras begleitet.

Das Stück „V13“ holt das Publikum mit auf die Bühne und lässt es den Prozess zu den Pariser Anschlägen von 2015 miterleben. Trotz packender Darstellung bleiben neue Erkenntnisse aus.

Der Freitag, der 13. November 2015, endet in Paris in einem Blutbad, nachdem Islamisten Menschen im Konzertsaal Bataclan, auf Caféterrassen und am Stade de France brutal getötet haben. Die Attentäter selber starben meist noch vor Ort, ihre Helfer und Unterstützer werden 2022 vor Gericht gestellt. Der Journalist Emmanuel Carrère begleitet den Prozess, sein Buch ist Vorlage für das Stück „V13 Die Terroranschläge in Paris“, das jetzt im Depot 1 des Schauspiel Köln Premiere feierte.

Regisseur Stephan Kimmig holt das Publikum mit auf die Bühne (von Oliver Helf): Auf aufsteigenden Bänken sitzt man links und rechts von der Spielfläche und wird von Claude De Demo und Paul Grill, die den Abend bestreiten, „eingeteilt“, wenn sie zeigen, wo Journalisten und Zeugen, wo Angeklagte und Verteidigung, wo Nebenkläger und Staatsanwalt in der extra für den Prozess in den Pariser Justizpalast eingebaute Halle platziert waren.

Drastische Schilderungen der Opfer

„Wo beginnt der Wahnsinn, wenn es um Gott geht? Was geht in den Köpfen der Typen vor?“ seien Fragen, denen sie nachgehen wollen. Und so rollen die beiden in den folgenden knapp zwei Stunden den Prozess auf, beschäftigen sich mit den Taten, den Opfern, den Tätern, den Anwälten. Und den Urteilen. Und zitieren die Aussagen, die im Prozess getätigt wurden.

Vieles davon ist drastisch, vor allem die Schilderungen aus der Sicht der Opfer, ihre Erlebnisse im rappelvollen Bataclan, wo, nachdem in den ersten zehn Minuten des Überfalls 90 Menschen getötet und 200 verletzt wurden, viele über einen langen Zeitraum als Geiseln genommen werden. Oder auf den Terrassen der Cafés, wo Menschen eben noch etwas tranken und im nächsten Moment nicht mehr leben. „Plötzlich spüre ich hinter mir den Tod“, berichtet eine junge Frau über den Moment, als sie realisiert, dass ihr Ehemann nicht mehr lebt.

Selbst wenn man von Triggerwarnungen nicht viel hält, hier wären sie von Theaterseite her angebracht.

Leid der Überlebenden im Fokus

Es geht auch um das Leid der Überlebenden und der Angehörigen. Im Prozess erzählt eine Frau, wie nach dem Tod der Tochter, ihr Ehemann zunächst eine Opferorganisation gegründet und viel unter anderem in Schulen gesprochen habe, bis er sich vier Jahre nach den Anschlägen das Leben nahm. Erzählt wird auch die Geschichte eines Mannes, der „nur“ verletzt wurde, aber irgendwann auch nicht mehr die Kraft hatte, weiterzuleben.

Dazu wird den Biografien viel zu viel? Raum gegeben, auch denen ihrer Angehörigen, um daraus den Erkenntnisgewinn zu ziehen, dass viele, wenn auch nicht alle, nicht aus problematischen Verhältnissen kommen.

Unschärfen bei den Rollen

Keine Frage, das Gehörte packt, berührt, regt auf. Keine Frage: Hier gibt es nichts zu diskutieren, alle sitzen im selben Boot, es bleiben keine Fragen nach Schuld oder Sühne offen. Und Claude De Demo und Paul Grill widmen sich den Texten mit Hingabe. Der einhellige Premierenapplaus überrascht also nicht.

Aber der Abend krankt an Unschärfen. Wen verkörpern Claude De Demo und Paul Grill auf der Bühne? Sich selbst? Oder zwei Menschen, die dem Publikum den Text präsentieren in anderen Worten: Könnten da auch zwei andere Ensemblemitglieder stehen? Wessen Furor, wessen Zorn erleben wir? Wessen Kommentar, wessen Einschätzung? Sie gehen derart bewundernswert in ihren Rollen auf, dass man vergisst, dass man Schauspieler bei der Arbeit erlebt. Ist das gut oder nicht?

Mangel an neuen Erkenntnissen

„V 13“ (die Abkürzung für „Vendredi treize“, Freitag, der 13.) ist Teil der Serie des Schauspiels „Theater und Journalismus“. Transparenz ist eine von dessen obersten Tugenden. Wer als Journalist arbeitet, erlebt immer wieder, wie Menschen, die etwa Zeitungen lesen, auf Ungenauigkeiten reagieren: mit Unwillen.

Nach knapp zwei Stunden steht man auf und ist letztlich keinen Deut schlauer. Denn man hat nichts erfahren, was man, wenn man sich für die Thematik interessiert, nicht vorher schon wusste: über die Gründe für Radikalisierung, die mit Identitätssuche einhergeht. Oder dass sie nicht unbedingt etwas mit dem sozialen Status zu tun hat.

Und dass man letztlich an öffentlichen Orten immer darauf gefasst sein muss, dass Menschen auftauchen, die mit unserer Art zu leben, nicht einverstanden sind.

110 Minuten, keine Pause. Wieder am 16.11., 18 Uhr sowie am 26. und 29.11 und 20.12., jeweils 19.30 Uhr. Weitere Termine ab Januar.