Jüdisches Musik-FestivalKölner Dirigent bringt jüdische Ohrwürmer an den Rhein

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Michael Alexander Willens führt im Wallraf-Richartz-Museum am 7. August die Musicalmelodien seiner Großväter auf.

Köln – Musik im Blut haben die Künstler, die wir für diese Serie treffen. Sie leben in Köln, stammen jedoch aus aller Welt und wurden von den Klängen ihrer Herkunftsländer beeinflusst. Der Kölner Dirigent Michael Alexander Willens bringt die Musik seiner beiden jüdischen Großväter an den Rhein.

Originalmusical auf Youtube entdeckt

Es sind Ohrwürmer wie aus dem jiddischen Lied „Papirosn“ (Zigaretten), die Michael Alexander Willens von Kind an nicht mehr loswird. Der künstlerische Leiter der „Kölner Akademie“ hörte solche Lieder, wenn seine Eltern in den USA Party machten. Dann wurde auch „Papirosn“ auf dem Klavier begleitet. „Aber die Sänger und Pianisten waren meist nicht so dolle“, sagt er lachend. Erst als er über Youtube auf die Originalmusik des Musicals stieß, sei ihm dann klar geworden, dass das Lied im letzten Jahrhundert ein absoluter Hit jüdischer Theatermusicals in New York war.

Pogrome im Lied verarbeitet

Sein Stiefgroßvater, Herman Yablokoff, hatte die Musik 1935 geschrieben und darin seine Eindrücke von den Judenpogromen im polnischen Grodno nach dem Ersten Weltkrieg verarbeitet. Kinder verkauften Zigaretten. Ihre Geschichte in die Volksmusik übersetzt, geht ans Herz. Yablokoff war ein Star und tourte mit seiner eigenen Theatertruppe durch die Welt. Sein Leben ist in seiner Autobiographie „Mit dem jiddischen Theater um die Welt“ dokumentiert.

Und noch ein zweiter Name aus dieser Liga bestimmt Willens’ Herkunft: Alexander Olshanetsky, der Großvater mütterlicherseits. Von ihm stammt „Mayn Shtetele Belz“ (Meine kleine Stadt Belz), das 1937 für den Film ,,Dem Khazn' Zun“ (The Cantor's Son) geschrieben wurde. Der Film erzählt die Geschichte eines Kantorensohns, der Polen verlässt, um in Amerika sein Glück zu suchen. Nachdem der junge Mann über seine kühnsten Träume hinaus reich geworden ist, beschließt er, nach Hause zu kommen und seine Eltern zu ihrem 50. Hochzeitstag zu überraschen. Als der er sich seinem Dorf nähert, singt er dieses Lied, das seine schönen Erinnerungen an die Heimat seiner Kindheit wachruft.

So berühmt wie Andrew Lloyd Webber und Stephen Sondheim

Olshanetsky, der Geiger, Songschreiber und Dirigent aus Odessa, leitete eine Band im Concord-Hotel in den Catskill Mountains, einem berühmten, gehobenen Sommerurlaubsort für jüdische Familien. Seine Lieder waren damals so beliebt wie heute die von Andrew Lloyd Webber und Stephen Sondheim.

„Ich komme erst jetzt in Kontakt mit meinen musikalischen Wurzeln“, sagt Willens. Unter dem Titel „Lieder meiner Großväter“ erinnert er im Rahmen des Festivals Shalom-Musik (siehe Kasten) mit einer Showband im Broadway-Stil an die glanzvolle Zeit. Ziel ist es, jüdische Musik auch nach dem 2021 begangenen Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ sichtbar und hörbar zu machen. Intensiv setzte sich Michael Alexander Willens mit den Songs seiner Großväter und der Folklore der Aschkenasim auseinander. Er sieht Parallelen zur Musik von Jacques Offenbach oder Kurt Weill, die ebenfalls jüdische Wurzeln hatten. „Es ist eine eingängige, einfache musikalische Struktur. Vieles wiederholt sich.“ Geprägt hätten womöglich die Kantoren in den jüdischen Gebetsschulen, welche die Großväter besuchten.

Sich selbst bezeichnet Willens als „nicht sehr religiös“. Er feiere aber die jüdischen Feste. Vor der Pandemie leitete er den Chor an der Synagoge in der Roonstraße. Sein eigener musikalischer Werdegang verlief jedoch anders als der seiner Großväter. In Washington geboren machte er als Jugendlicher Jazz, studierte später an der berühmten Juilliard School in New York.

Bass im Orchester und Jazzbands gespielt

Vor seiner Ausbildung zum Dirigenten spielte er Bass unter anderem bei den New Yorker Philharmonikern, dem Orpheus Kammerorchester New York und dem American Composer’s Orchestra. Dazu kamen Auftritte in Jazz- und Popgruppen sowie in Ensembles für zeitgenössische und barocke Musik.

Dirigieren studierte er bei John Nelson, Paul Vorwerk und Leonard Bernstein, der mit der „West Side Story“ Musicalgeschichte schrieb und gleichzeitig Dirigent der New Yorker Philharmoniker war. ,,Bernstein kannte die Bedeutung jeder Note sowohl intellektuell als auch emotional. Seine Art des Musizierens inspiriert mich bis heute“, sagt Willens. E r hat Konzerte bei bedeutenden Festivals und Konzertsälen in Europa, Südamerika, Asien, Island, Aserbaidschan, der Türkei, Israel und den USA dirigiert. 1996 gründete er die „Kölner Akademie“, die heute als eines der weltweit führenden Orchester für historische Aufführungspraxis gilt. Auch hier macht er die Erfahrung, dass alte Aufnahmen auf Youtube starken Einfluss auf die Interpretation haben können. „Ich finde es immer interessant zu erfahren, was junge Künstler über diese Aufführungen denken und wie sich das auf ihr Spiel auswirkt“, sagt er.

Olshanetsky und Yablokoff

Alexander Olshanetsky wurde 1892 in Odessa geboren. Mit sechs Jahren begann er Geige zu spielen und studierte neun Jahre an der kaiserlichen Musikschule seiner Heimatstadt. 1922 kam er in die USA. Mitte der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1946 war er eine wichtige Figur im jiddischen Theater. Herman Yablokoff kam 1903 in Grodno (heute Weißrussland) zur Welt . Als Zehnjähriger sang er im Chor, trat mit zwölf im jüdischen Theater auf. 1924 emigrierte er nach Nordamerika, trat in Theatern in Toronto, Montreal und Los Angeles auf, bis er sich in New York City niederließ. Er starb 1981. (jan)

,,Sie hören sich im Internet verschiedene Interpretationen an, auch solche, die längst überholt sind. Die jungen Musiker von heute sind sich der historischen Aufführungspraxis bewusster; Streicher lesen zum Beispiel Violin-Methoden von Leopold Mozart, Louis Spohr und Pierre Rodé, was ihnen eine andere Perspektive auf die Musik dieser Epochen gibt. Das ist sehr hilfreich, um eine auf diese Musik ausgerichtete Interpretation aufzubauen.“ Willens und seiner „Kölner Akademie“ heben daher auch verborgene Schätze. Davon zeugen zwei neue CDs mit Georg Philipp Telemanns Johannis-Oratorium und den Klavierkonzerten von Johann Wilhelm Wilms, der aus dem bergischen Örtchen Witzhelden stammte.

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Das Festival: Das Forum für Kultur im Dialog und die Synagogen-Gemeinde veranstalten vom 4. bis 11. August das Festival „Shalom-Musik.Köln“ mit 50 Kurzkonzerten an 16 Orten. Michael Alexander Willens und sein Ensemble sind am 7. August, jeweils um 14.45, 15.45 und 16.45 Uhr, im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums mit „Songs meiner Großväter“ zu hören. Der Eintritt ist frei. Den Auftakt zum Festival macht am 4. August Pianistin Elena Bashkirova, Ehefrau von Daniel Barenboim, mit „Urlicht“ von Gustav Mahler in der Flora. Daran schließt sich eine Clubnacht an.

Interaktives Musiktheater steht am Samstag, 6. August, 14-18 Uhr in „Gekumen“ (Zurückgekehrt) in der Straßenbahn 7 auf dem Programm.

Das Abschlusskonzert, 11. August, 19 Uhr, geht in der Synagoge auf Spurensuche nach jüdischer Musik.

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