„Rheingold“ in BayreuthValentin Schwarz lässt Wagners Symbolik leiden

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Olafur Si­gur­dar­son (Al­be­rich) und ein Schü­l­er­sta­tist in „Das Rheingold“ während der Bay­reuther Fest­spiele 2022.

Bayreuth – Dass da noch niemand draufgekommen ist: Göttervater Wotan und sein Kontrahent Alberich sind Zwillingsbrüder. Im Video wird die Es-Dur Ursuppe des „Rheingold“-Vorspiels zur Fruchtblase, in der sich zwei Babys friedlich schlafend wiegen. Bis eines dem anderen das Auge aussticht und das andere den einen entmannt.

Hauen und Stechen von Anfang an: Im neuen „Ring des Nibelungen, wie Valentin Schwarz ihn auf die Bühne der Bayreuther Festspiele bringt, wird Alberich zum Teil der Götterfamilie. Während bei Wagner die ganze Welt ihrem Ende entgegen schlingert, inszeniert Schwarz eine Familiensaga, als wäre es eine Netflix-Serie: Binge Watching im Festspielhaus. Das verspricht Spannung, und um die ins Unermessliche zu steigern, arbeitet Schwarz mit dem größten anzunehmenden Tabubruch und eliminiert gleichzeitig Wagners Symbolik. Speer und Ring bleiben in der Requisitenkiste; stattdessen werden Kinder verschachert.

Undeutliche Sänger

Dabei sind Kinder der größte Schatz, unsere Hoffnung, unsere Zukunft. Unsere Ängste? Alberich klaut kein Rheingold, er entführt ein Jungen. Alberich hortet kein Gold, er betreibt zusammen mit Bruder Mime einen Kinderhort. Der größte Schatz aber ist der Junge mit gelbem T-Shirt und Basecap. Er beschmiert Wände, schmeißt mit Essen und Stühlen um sich, liegt später auf Wotans Bett und spielt mit einem Zauberwürfel. Ein ADHS-Kind, ein „Systemsprenger“, womöglich ein Missbrauchsopfer. Manche Premierenbesucher sagen, es sei Hagen, Alberichs Sohn, der eigentlich erst in der „Götterdämmerung“ auftritt.

Auf einen Blick

Das Stück: Eine Familiensaga war Wagners „Rheingold“ schon immer, und ob das neue Familienmitglied Alberich dem Drama neuen Schwung verleiht, bleibt vorerst offen.

Die Regie: Valentin Schwarz eliminiert Wagners mystischen Elemente, deutet Symbole um und verrennt sich dabei in Sackgassen, aus denen er nicht mehr herausfindet – zumindest im „Rheingold“.

Das Ensemble: Ersatzgeschwächt. Egils Silins als Wotan bleibt unspektakulär, im Gegensatz zu Olafur Sigurdarson als Alberich. Der Dirigent Cornelius Meister muss sich noch finden. (dö)

Vielleicht erschließt sich dann einiges; fürs „Rheingold“ muss man aber sagen: Die Geschichte geht nicht auf. Mit der Symbolik pflügt Schwarz nämlich die mystischen Aspekte des „Rings“ gleich mit unter die Erde. Dafür rächt sich Wagner; deshalb zwickt’s und zwackt’s, dass nicht nur die Bühnenmaschinerie des Festspielhauses ächzt, sondern auch die Dramaturgie kräftig knirscht.

Merkwürdige Text-Bild-Scheren

Handwerkliche Schlampereien machen die Sache nicht besser: Fasolt und Fafner kommen zum Geld eintreiben, stehen aber längst mit ihrem Porsche Cayenne in der Garage der schicken Göttervilla (Bühne: Andrea Cozzi) und fahren auch nicht mehr weg. Kinder werden aus Wotans Zimmer geholt und wieder hochgeschickt, und man weiß nicht, warum das passiert. Schließlich kann Schwarz die Wagner’sche Symbolik zwar auf der Bühne negieren, aber nicht aus dem Text streichen, was nicht zu dialektischer Spannung führt, sondern zu merkwürdigen Text-Bild-Scheren. Fast darf man froh sein über Sänger, die so undeutlich deklamieren, dass man eh kaum etwas versteht.

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Speer und Ringe bleiben im "Rhein­gold" bei Valentin Schwarz in der Kiste, statt­des­sen werden Kinder ver­scha­cher­t.­

Immerhin: Dank Olafur Sigurdarson tollem Alberich funktioniert die böse Seite der Macht sängerisch wie darstellerisch. Mit Egils Silins als Wotan bleibt die andere böse Seite hingegen unspektakulär und ohne die nötige monströse Dimension. Daniel Kirch kostet die Figur des Loge als verschlagenen, mitunter ängstlichen Berater aus, Jens-Erik Assbø ist ein hörenswerter Riese Fasolt, Christa Mayer als Wotans Gattin Fricka etwas gewöhnungsbedürftig.

Impulsivität und Sinnlichkeit bleiben auf der Strecke

Und Cornelius Meister? Der Dirigent ist kurzfristig für den Finnen Pietari Inkinen eingesprungen und hat vielleicht seinen Platz in Schwarz’ Ästhetik noch nicht gefunden. Jedenfalls legt er mitunter erstaunlich rasche Tempi vor, kitzelt fast tänzerischen Schwung heraus, fördert einiges zu Tage, was sonst nicht aus dem Graben klingt.

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Doch er bleibt merkwürdig unentschieden, untermalt oft nur dezent, was auf der Bühne passiert, scheint sich ein Minimum an Pathos verordnet zu haben – Impulsivität und Sinnlichkeit, das Überwältigende in Wagners Musik, bleiben auf der Strecke. Aber er hat ja noch drei Abende, um sich zu positionieren. Das Premierenpublikum urteil jedenfalls einigermaßen mild, zeigt sich begeistert von der Musik, während die vernehmbaren Buhs und Pfiffe vor allem der Regie gegolten haben.

Der „Siegfried“ wird am 3. August, zeitversetzt auf BR-Klassik um 20.04 Uhr im Radio gesendet.

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