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Wichtige DenkerinZum 50. Todestag von Hannah Arendt erscheint eine Biografie

5 min
Hannah Arendt, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Soziologin deutscher Herkunft (undatiertes Archivfoto).

Hannah Arendt, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Soziologin deutscher Herkunft (undatiertes Archivfoto).

Willi Winklers Biografie beleuchtet Hannah Arendts furchtlose Intellektualität und ihre prägenden Werke wie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“.

Es war 1961 in Vilshofen während einer Wahlkampfveranstaltung, als Franz Josef Strauß dem SPD-Kandidaten Willy Brandt vorhielt, er wäre während der Hitler-Jahre ins Exil geflohen. „Eines wird man … Herrn Brandt fragen dürfen“, polterte der damalige CSU-Verteidigungsminister über die Bierbänke. „Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“

Wach und wortgewaltig

Hannah Arendt, wach und wortgewaltig, konterte wenig später, was Brandt denn hätte tun sollen? Wie Strauß sich mit den Nazis arrangieren und an der Ostfront kämpfen? „Soviel ich weiß,“, schrieb sie mit der ihr eigenen Ironie, sei doch wohl mittlerweile aktenkundig, „was Deutsche in Deutschland in jenen zwölf Jahren getan haben.“

So kennt man Hannah Arendt. Geboren 1906, als Jüdin in Hannover und nach einer ersten Verhaftung 1933 über Paris nach New York emigriert, wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Publizistin und Philosophin in Deutschland und den USA zu einer moralischen Instanz. Ebenso intelligent wie schlagfertig und für ihre Streitlust berühmt, war sie geliebt und gefürchtet. Ihr Doktorvater Karl Jaspers, bei dem sie über den „Liebesbegriff bei Augustinus“ promoviert hatte, schätzte sie.

Martin Heidegger liebte sie gar. Und der jüngere Jürgen Habermas attestierte ihr 1966 als er ihr Buch „Über die Revolution“ rezensiert hatte, sie sei ein „leuchtender und sehr lebendiger Gegenbeweis gegen das sehr zähe Vorurteil, dass Frauen nicht philosophieren könnten“. Andere dagegen verspotteten sie als „Hannah Arrogant“ und nannten sie einen „intellektuellen Nazi“, so wie Saul Bellow, oder eine „intellektuelle Domina“, wie Hans Magnus Enzensberger.

Zu ihrem 50. Todestag legt der 1957 geborene Willi Winkler, der als Redakteur bei der „Zeit“ arbeitete, Kulturchef beim Spiegel war und seit vielen Jahren für die Süddeutsche schreibt, jetzt ein brillantes Buch über sie vor. Eine Maßstäbe setzende Biografie, die mit ihren zahlreichen Zitaten und Quellenangaben sich nur durch ein paar Handstriche auch leicht zu einer Doktorarbeit umschreiben ließe, und sich trotzdem wunderbar liest.

Schon mit 14 Kant gelesen

Viel lässt sich daraus lernen. Ein Buch, das einen die Diskurse der Nachkriegsjahre noch einmal hautnah und lebensecht nacherleben lässt. Schon in der Schule in Königsberg schärft die Mutter ihr ein, den Unterricht zu verlassen, wenn ein Lehrer sich antisemitisch äußert. „Man darf sich nicht ducken! Man muss sich wehren!“ Das verinnerlicht Hannah, die schon mit 14 Kant gelesen hat. Weil sie ihre Mitschüler zum Protest gegen einen strengen Lehrer aufwiegelt, fliegt sie von der Schule und muss das Abitur als Externe absolvieren. „Entweder kann ich Philosophie studieren, oder ich gehe ins Wasser“, wird sie sich später an ihre jugendliche Entschlossenheit erinnern.

In Marburg verliebt sie, die mit sechs den Vater verloren hat, sich prompt in ihren 17 Jahre älteren Professor Martin Heidegger. Sie hat eine Affäre mit ihm und ist ihm ein Leben lang verfallen. Später in den USA macht sie ihn bekannt und sieht ihm sogar die wenig ruhmreichen Jahre als „Philosoph des Führers“ nach. „Liebe macht blind“, schreibt Willi Winkler. „Warum sollte ausgerechnet eine Philosophin davon verschont bleiben?“ Hannah Arendts Habilitation über die Jüdin Rahel Varnhagen wird 1933 durch die Machtübernahme der Nazis verhindert.

Erst 1971 erhält sie vor Gericht recht und wird als Professorin anerkannt. Da hat sie lange schon bewiesen, dass es auch ohne Titel geht. Während der Vorlesung kettenrauchend behalten die Studenten sie in Erinnerung. Mit Werken wie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1955), „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ (1958) sowie „Macht und Gewalt“ (1970), die sie selbst übersetzt, weil kein Übersetzer ihren Anforderungen genügt, erarbeitet sie sich ebenso einen Namen wie als Medien-Intellektuelle, die furchtlos sich selbst widersprechen kann, sich nicht einordnen lässt und wie sie sagt, sich früh schon für das „Denken ohne Geländer“ entschieden hat.

Zweimal verheiratet

Obwohl zweimal verheiratet, behält sie ihren Geburtsnamen als Ausdruck ihrer weiblichen Selbstbestimmung bei. Berüchtigt für ihre Neigung, extreme Positionen zu verteidigen, soll sie 1961 für den „New Yorker“ über den Prozess am NS-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann schreiben. In ihrem 1963 erschienenen Buch „Eichmann in Jerusalem“ berichtet sie von der „Banalität des Bösen“ und zeichnet den Massenmörder nicht als Monster, sondern „Hanswurst“, als Durchschnittsmenschen und Bürokraten, der Dienst nach Vorschrift erledigt hat.

Bei Eichmann versagen alle philosophischen Begriffe. Sie beschreibt den Holocaust in seiner ganzen technokratischen Perfektion als Menschheitsverbrechen, unterlässt es aber, die Opfer zu beklagen. Stattdessen kritisiert sie den Geist im neuen Staat Israel, das ihr wie die Fortsetzung des völkischen Deutschlands vorkommt. Obwohl selbst Jüdin, schockiert sie dieser Staat gewordene Zionismus, wo die Jugend am Lagerfeuer Lieder singt wie einst im Deutschen Reich.

Schon 1948, ein halbes Jahr nach der Gründung des Staates Israel, hat sei im offenen Brief mit Albert Einstein vor der „Neuesten Form des Faschismus“ gewarnt. Auch vom Philosemitismus der Deutschen nach dem Krieg kriegt sie das „Kotzen“. Klar bringt ihr das Kritik ein. Mit der aber weiß sie umzugehen.

Bis spät in die Nacht diskutiert

Bei ihrer Rückkehr nach Deutschland trifft sie niemanden, der „etwas getan hat und sich schuldig fühlte“. Es wird ihre Aufgabe sein, über den Holocaust zu sprechen und die gegenwehrlose Gleichschaltung der Intellektuellen während der Nazizeit zu kritisieren. Ihre Wohnung am Riverside Drive in New York wird zum Treffpunkt der Dichter und Denker. Bis spät in die Nacht wird dort über den Vietnamkrieg und den Fortbestand der amerikanischen Demokratie diskutiert, aber auch gefeiert. Wenn die Gäste gegangen sind, hilft Hannah Arendt vor dem zu Bett gehen noch ihrer Putzfrau beim Abspülen.

Episoden wie diese sind es, die Willi Winklers Biografie so anschaulich machen und die Philosophin als Mensch zeichnen. Wenn sie auf Reisen geht, hat sie immer die Schreibmaschine dabei, weil sie ihre eigene Handschrift nicht lesen kann. Und wenn sie beim Dichter W. H. Auden zu Besuch ist, räumt sie dessen Bude auf, weil sie die Unordnung nicht erträgt. Ihr erster Ehemann, der Sozialphilosoph Günther Stern, sagte über Hannah Arendt einmal, „die Zubereitung eines Schmorbratens“ beherrsche „sie ebenso spielend wie die Deutung eines Augustintextes: Spielend, aber nicht verspielt.“ Was lässt sich mehr über diese beeindruckende Frau sagen?

Willi Winkler: Hannah Arendt. Ein Leben. Rowohlt Berlin, 510 S., 32 E.