phil.cologne in KölnVom Antirassismus und der Religion der Selbstgerechten

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John McWhorter zu Gast bei der phil.cologne in Köln 

Köln – Wäre John McWhorter ein Weißer, würde ihn der Shitstorm zermalmen. Doch selbst als schwarzer Intellektueller bekommt er mächtigen Gegenwind. Sein provokanter Vorwurf: Der aktuelle Antirassismus in Amerika ist eine intolerante Religion, gepredigt von „gewissen Leuten, die sich im Besitz höherer Weisheit wähnen“ und Andersdenkende als Sünder exkommunizieren.

Den Weißen unterstellt diese Religion eine doppelte Erbsünde: Einerseits unverdiente Vorrechte (white supremacy), dazu unentrinnbaren Rassismus. In seinem Buch „Die Erwählten“ beschreibt er die Sandkastenlogik dieser selbstgerechten Sekte so: „Du bist ein Rassist, und wenn du es bestreitest, beweist du nur, dass du es eben doch bist.“

Umstandskrämerische Fragen

Diesen scharfsinnigen Denker als Gast gewonnen zu haben, darf sich die phil.cologne als Coup auf die Fahnen schreiben – auch wenn der englischsprachige Abend in der Comedia einiges schuldig blieb. Denn das Interview der Schweizer Philosophin und Journalistin Catherine Newmark verhedderte sich ein ums andere Mal in umstandskrämerischen Fragen, die am Kern des Buchs mehr als haarscharf vorbei zielten.

Zur Person

Der am 6. Oktober 1965 in Philadelphia geborene John McWhorter ist ein US-amerikanischer Linguist. Er lehrt als Professor für Anglistik und Komparatistik an der Columbia University. McWhorter arbeitet auch als Kolumnist der New York Times und ist Gastgeber im sprachkritischen Podcast „Lexicon Valley“. Zu seinen Büchern zählt etwa „The Power of Babel: A Natural History of Language“. (Wi.)

Der Eloquenz des Autors tat dies keinen Abbruch. Den Linguisten empört besonders, dass die Thesen von Robin DiAngelo („Wir müssen über Rassismus sprechen“) und anderen inzwischen gefährliche Waffen sind.

Dies bekam etwa Alison Roman zu spüren. Die Food-Expertin der New York Times hatte in einem Interview Chrissy Teigen (Model und ebenfalls Ernährungs-Autorin) sowie Lifestyle-Coach Marie Kondo kritisiert. Die Zeitung suspendierte Roman, da sie als Weiße zwei „People of Color“ herabgesetzt habe. Wobei man darunter sonst nicht unbedingt eine Japanerin (Kondo) und eine Frau versteht, die halb weiß, halb Thai ist.

Im Buch berichtet der 56-Jährige außerdem von einer Dekanin, die sich aus Entsetzen über Polizeigewalt zur Bewegung „Black Lives Matter“ (Schwarze Leben zählen) bekannte, aber hinzufügte: „Everyone’s life matters“ – jedermanns Leben zählt. Sie verlor ihren Job, ohne sich verteidigen zu dürfen.

Rassenpolitisch „korrekte“ Hexenjagden ausgelöst

Dieser moralische Rigorismus begann für McWhorter im Juni 2020, nach dem Mord am Afroamerikaner George Floyd durch brutale Cops. Die Proteste entluden sich im Klaustrophobie-Klima der Pandemie besonders heftig und bestärkten die „Erwählten“ in ihrer Mission.

Die Folge: rassenpolitisch „korrekte“ Hexenjagden, deren Opfer am Schandpfahl von Twitter + Co. gegrillt werden. „Natürlich gibt es in Amerika Rassismus, und er wird nie ganz verschwinden“, stellte der Autor in Köln klar. Er sieht sich als Altlinken, den aber die von der neuen Linken entfesselte „Dritte Welle des Antirassismus“ abstößt.

Schließlich ermögliche diese Ideologie Weißen, „sich als Retterinnen und Retter schwarzer Menschen zu bezeichnen und Schwarze gleichzeitig als die dümmsten, schwächsten, sich selbst am meisten bemitleidenden Menschen aussehen zu lassen“. Dies wiederum sei rassistisch. Und da er soziale Verhältnisse ohnehin für entscheidender hält als die Hautfarbe, schlägt er konkrete Reformen vor. Amerika solle den Krieg gegen die Drogen aufgeben, der viele schwarze Kinder ohne ihre inhaftierten Väter aufwachsen lasse.

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Außerdem plädiert er für phonetischen Leseunterricht und gegen die Erwartung, jeder Schwarze müsse studieren. Wäre es nicht besser, als Handwerker 100 000 Dollar im Jahr zu verdienen, „anstatt vier Jahre im Wohnheim zu schlafen und am College vorzugeben, man verstünde Shakespeare?“

John McWhorter: Die Erwählten. Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet. Deutsch von Kirsten Riesselmann. Hoffmann und Campe, 256 S., 23 Euro.

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