Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach30.000 Verdächtige – Task Force gegründet

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Der Miss­brauchs­kom­plex Bergisch Gladbach hatte schon zu zahl­rei­chen Po­li­zei­e­in­sät­zen geführt. Auf dem Ar­chiv­foto vom November 2019 un­ter­sucht die Polizei in Alsdorf das Haus eines Ver­däch­ti­gen.

Düsseldorf –  Im Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch im Internet setzt das Land Nordrhein-Westfalen jetzt auf eine eigene Task Force. Mit Unterstützung der Zentral- und Anlaufstelle Cybercrime (ZAC NRW) will das Justizministerium die monströsen Ausmaße des Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach aufdecken.

„Der Zeitdruck ist groß“, wie Christoph Hebbecker von der Cybercrime-Zentralstelle gegenüber der Rundschau erklärte. Deshalb soll die Task Force eng mit den Staatsanwaltschaften zusammenarbeiten, um ohne Verzug Durchsuchungen vornehmen zu können. Dafür werden sechs Staatsanwälte abgestellt. „Die Zeit spielt eine enorme Rolle. Es gibt einfach viele Dinge, die flüchtig sind, zum Beispiel IP-Adressen.“ Ohne die Möglichkeit des Speicherns der Verbindungsdaten von Tatverdächtigen müsse man „sehr, sehr schnell agieren“, so Hebbecker. Justizminister Biesenbach hat sich deshalb am Montag für die Möglichkeit der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.

Neue Details ans Licht gekommen

Im Fall Bergisch Gladbach sind am Montag neue Details ans Licht gekommen, die bislang ungeahnte Dimensionen offenbaren. Die Behörden sind bei den Ermittlungen auf Spuren von mehr als 30 000 Verdächtigen gestoßen. Keine Einzeltäter, sondern ein vernetztes Onlinegeflecht, wie NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) in Düsseldorf mitgeteilt hat. Die Straftaten in diesem Bereich stellten eine große Herausforderung an die Justiz dar, weil die Auswertung der Beweismittel oft schwierig sei und unter hohem Zeitdruck stattfinden müsse. Deshalb habe man sich zur Gründung der Task Force entschieden. Es gehe darum, die Strukturen und technischen Voraussetzungen bei den Ermittlungen zu optimieren und die Schnittstelle zwischen der technischen Auswertung und der Strafverfolgung zu verbessern. Damit schaffe man bundesweit eine der ersten Gruppen mit solch einer Vernetzung.

Task Force beginnt am 1. Juli

Die Task Force, die am 1. Juli ihre Arbeit aufnimmt, soll Stück für Stück die bisherigen Spuren auswerten und immer dann eingeschaltet werden, wenn es einen Bezug zum Internet gibt. Das sei fast immer der Fall, weil die Täter sich in Chatrooms oder per Messenger-Dienst austauschten, und zwar nicht nur im Darknet, so der Leiter des ZAC NRW, Oberstaatsanwalt Markus Hartmann. „Manche dieser Gruppen haben mehrere Tausend Nutzer. Es gibt Hierarchien und eine spezielle Rollenverteilung.“ Es gebe einen „intensiven Resonanzraum“, in dem Teilnehmer andere Personen ausdrücklich dazu aufforderten, Kinder zu missbrauchen, oder ihnen Tipps gäben, wie Jungen und Mädchen mit Beruhigungsmitteln gefügig gemacht werden könnten. Aus der digitalen Kommunikation gehe der Missbrauch in die reale Welt über, die Gruppen senkten die Hemmschwellen. Kindesmissbrauch werde als normal empfunden, darin würden die Täter in diesen Gruppen bestärkt.

Akute Fälle haben Vorrang

Bislang ist die ZAC NRW vornehmlich für die Bekämpfung von kriminellen Hackern, Cyberterroristen und Drogendealern zuständig. Seit Ende vergangenen Jahres ist sie auch in Ermittlungen zu Sexualstraftaten gegen Kinder eingebunden. Bei den Ermittlungen gehe es primär darum, Kindesmissbrauch zu entdecken und zu unterbinden, die Pseudonyme der Beteiligten zu entschlüsseln und Straftaten zu verfolgen, betonte Hartmann. Delikte wie Kinderpornografie träten dagegen zunächst in den Hintergrund - sofern es keine Hinweise darauf gebe, dass zur Produktion dieses Materials aktuell ein Kind missbraucht werde. Darauf soll nun auch der Fokus der neuen Task Force liegen. Die Ermittler sollen sich vor allem um diejenigen Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetzt wird.

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Weil es sich bei Kinderpornografie um ein sehr dynamisch sich entwickelndes und änderndes Deliktsphänomen handelt, soll bei der Auswertung des Video-Materials auch Künstliche Intelligenz eingesetzt werden, wie Hebbecker erklärte. „Die Auswertung findet häufig noch manuell statt. Das wollen wir in Zukunft anders handhaben. Mit Partnern aus der Wissenschaft und aus der Wirtschaft haben wir deshalb an Einsatzmöglichkeiten von KI geforscht, um die enormen Datenmengen besser verarbeiten und gezielter Hinweisen auf Kinderpornografie nachgehen zu können.“ In der zweiten Juli-Hälfte sollen dazu Ergebnisse bekanntgegeben werden.

Die Task Force der Cybercrime-Zentralstelle ist zunächst auf 18 Monate angelegt. Hebbecker geht allerdings davon aus, dass sie über diesen Zeitraum hi¬naus arbeiten wird. „Es zeichnet sich bereits ab, dass wir nicht nur mehrere Monate, sondern möglicherweise auch mehrere Jahre mit diesem Missbrauchskomplex zu tun haben werden.“ Das liegt vor allem auch daran, dass die 30 000 Spuren wohl nur „die Spitze des Eisberges“ sind, wie Hebbecker sagt. (mit dpa)

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