Analyse aus WashingtonDiese Baustellen kommen auf den neuen US-Präsidenten zu

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Das weiße Haus

Das Weiße Haus

Washington – Wer immer der Präsident ist, der am 20. Januar 2021 vereidigt wird, ob Donald Trump oder Joe Biden, muss sich zahlreichen Baustellen widmen. Zunächst gilt es, für den Rest der Welt der wichtigste Punkt, den außenpolitischen Kurs abzustecken.

Zu klären ist, welche Rolle die USA im Weltgeschehen spielen wollen, ob sie sich wieder mehr engagieren oder ob sich gemäß der Parole „America First“ die isolationistischen Tendenzen verstärken. Zu klären ist, ob sie sich wieder stärker an Werten orientieren, statt nur ihr eng definiertes Eigeninteresse im Blick zu haben. Zu klären ist schließlich, wie es Amerika mit den Allianzen hält, die es nach dem Zweiten Weltkrieg geschmiedet hat, mit Bündnissen, die ihm strategische Vorteile einbringen, die der große Rivale China auf absehbare Zeit wohl nicht ausgleichen kann.

Falls der Amtsinhaber weiterregiert, wird er die europäischen Partner, die er so oft vor den Kopf gestoßen hat, weiter mit Beleidigungen verprellen? Wird er die nach 1945 gegebenen Schutzgarantien eher als Geschäft denn als prinzipielle Verpflichtung verstehen und mehr Geld für den Fall verlangen, dass der Schutzschirm aufgespannt bleibt? Lässt er seiner mehrfach - offenbar in Pokerpose - vorgebrachten Drohung, die Nato zu verlassen, tatsächlich den Austritt aus dem Pakt folgen?

Zeichen auf Versöhnung unter Biden?

Falls Biden im Weißen Haus einzieht, dürften die Zeichen eher auf Versöhnung stehen. Wobei ein freundlicherer Ton nicht bedeuten würde, dass es in der Sache keinen Streit mehr gäbe. Ein Präsident Biden dürfte die Nato-Partner kaum weniger hartnäckig als ein Präsident Trump in die Pflicht nehmen, damit sie bis 2024 wie zugesagt zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke ausgeben. Schon Barack Obama, dessen Stellvertreter er war, hatte die Forderung mit Nachdruck vorgetragen, auch wenn er den Europäern die Pistole nicht mit Tiraden auf die Brust setzte, die Trump offenbar für ein probates Verhandlungsinstrument hält. An den wahren Prioritäten amerikanischer Außenpolitik ändert das alles nichts. Wollte man es zuspitzen, könnte man sagen: Die transatlantische Schiene ist aus Sicht des Weißen Hauses nur eine Nebenbaustelle. Deutlich wichtiger ist China.

Verhältnis zu China als Kernthema

Noch hat Amerikas politische Klasse nicht geklärt, wie das Verhältnis in Zukunft aussehen soll. Spürbar ist allerdings, bei den Demokraten kaum weniger als bei den Republikanern, eine Ernüchterung über den kooperativen Kurs, den Richard Nixon 1972 mit seiner überraschenden Reise nach Peking eingeleitet hatte. Die Annahme, ein Zugehen auf die Volksrepublik würde dort eine Demokratisierung einleiten, hat sich bislang als falsch, ja, naiv erwiesen.

Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO, 2001 vollzogen und in Washington als Zeichen der Einbindung der aufstrebenden asiatischen Macht in geordnete internationale Strukturen begrüßt, gilt heute als Zugeständnis, in dem Anhänger Trumps einen Verrat an nationalen Interessen sehen. Dass es sich um eine Wirtschaftsbeziehung zum gegenseitigen Vorteil handelt, weil amerikanische Konsumenten billige chinesische Waren kaufen und China mit seinen Exportüberschüssen amerikanische Staatsanleihen erwirbt (was es den USA erlaubt, immer höhere Schulden zu machen), wird heute quer durch beide großen Parteien infrage gestellt. Ob Trumps Politik hoher Importzölle unter Biden fortgesetzt würde, ist offen. Doch kaum jemand zweifelt daran, dass auch ein Präsident Biden gegenüber China härtere Töne anschlagen würde, als es noch unter Obama der Fall war. Zu denen, die eine Abkehr von Trumpschem Protektionismus ablehnen, gehören prominente Demokraten aus dem Mittleren Westen, wo etliche Industriebetriebe dichtmachten, weil sie der ausländischen Konkurrenz nicht gewachsen waren.

Schließlich die Causa Nordkorea, direkt verbunden mit der Antwort auf die Frage, ob die amerikanisch-chinesischen Spannungen eskalieren oder aber entschärft werden. Dem Ziel nuklearer Abrüstung ist Trump kein Stück nähergekommen, obwohl er sich um bessere Drähte zu Kim Jong Un bemühte. Immerhin haben die beiden Gipfeltreffen, mit denen er den Diktator adelte, dazu beigetragen, einen militärischen Konflikt zu verhindern. De facto müssen die USA klären, ob sie Nordkorea als Atommacht anerkennen oder aber auf nuklearer Entwaffnung bestehen. 

Innenpolitische Baustellen

Dann wären da noch die Baustellen im eigenen Land, die für das Gros amerikanischer Wähler natürlich Vorrang haben, hier aber nur kurz angerissen seien. An erster Stelle steht der Umgang mit der Corona-Pandemie. Nachdem es im Juni für kurze Zeit nach Entspannung ausgesehen hatte, stieg die Kurve der Neuinfektionen im Hochsommer steil an, bis die Fallzahlen in den Tagen vor der Wahl auf neue Höchststände kletterten. Rund 9,3 Millionen Amerikaner haben sich angesteckt, 232 000 sind an den Folgen gestorben. Die Regierung Trump bemüht sich offenbar kaum noch darum, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Zuletzt beschränkte sich der Präsident darauf, vor den katastrophalen ökonomischen Folgen eines zweiten Lockdowns zu warnen. Experten wie den Epidemiologen Anthony Fauci, die zur Vorsicht mahnen, warf er vor, mit der Opposition zu paktieren. Nach dem Votum sind anstelle von Schuldzuweisungen Konzepte gefragt.

Rund 35 Millionen Amerikaner sind derzeit nicht krankenversichert, sieben Millionen mehr als 2016. Trump hat die Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama ausgehöhlt, wenn auch nicht gekippt (ein Anlauf scheiterte im Kongress). So etwas wie einen Gegenentwurf hat er bislang nicht vorgelegt, nicht einmal ansatzweise.  

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Um aus der coronabedingten wirtschaftlichen Talsohle herauszukommen, müsste der Staat den Wirtschaftsmotor mit Konjunkturprogrammen auf Touren bringen. Sinn würde es machen, die vielerorts veraltete Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Finanziell indes kann sich der amerikanische Bund kaum noch große Sprünge leisten. 2017 beschlossene Steuersenkungen sowie die Sonderausgaben der Coronakrise ließen die Staatsverschuldung auf 27 Billionen Dollar ansteigen, während sie vor drei Jahren noch bei 20 Billionen lag. Für die Republikaner sind die Defizite momentan kein Thema, obwohl gerade sie es sind, die sich Haushaltsdisziplin auf die Fahnen schreiben. Trump baut darauf, dass die niedrige Unternehmenssteuer (21 Prozent) Konzerne veranlasst, ihre Produktion aus Asien oder Mexiko zurück nach Michigan, North Carolina oder Pennsylvania zu verlagern. Über kurz oder lang stehen jedoch harte fiskalpolitische Entscheidungen an. Auf Dauer lässt sich die jetzige Steuerpolitik nicht durchhalten.

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