SPD-Chef im Interview„Es ist Zeit, dass CDU und CSU die Oppositionsbank drücken“

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Norbert Walter-Borjans, SPD-Vorsitzender

  • Die SPD rüstet sich für das Wahljahr 2021.
  • Im Interview lässt SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wenig Sympathie für die Union erkennen,  setzt sich für eine Vermögensteuer ein und macht deutlich, dass er in dieser Legislatur nicht mehr über die Bewaffnung von Drohnen entscheiden will.

Herr Walter-Borjans, die Corona-Pandemie kostet uns pro Monat mindestens 15 Milliarden Euro. Brauchen wir zur Behebung dieser Schäden  eine Corona-Abgabe? Oder lassen wir unsere Kinder auf den Schäden sitzen? Walter-Borjans Der größte Fehler wäre, nach der Krise eine Vollbremsung einzuleiten. Auf Investitionen in Bildung und Infrastruktur zu verzichten und den Sozialstaat zu schleifen, der uns gerade über Wasser hält, das wäre wirklich eine Lastenverschiebung auf künftige Generationen. Das wollen wir verhindern, aber auch die Neuverschuldung herunterfahren. Das geht aber nur mit einem solidarischen Beitrag der Topverdienenden und der Topvermögen, ganz besonders von denen, die sich schon seit Jahrzehnten am Fiskus vorbei drücken. Die so gut wie zinslosen Kredite, die wir aktuell aufnehmen, um das Rad der Wirtschaft am Laufen zu halten, sind das geringste Problem. Sobald die Wirtschaft wieder wächst, nimmt das Gewicht der Verschuldung ab. Das war auch nach der Finanzkrise so. Reicht das allein aus? Nein. Wir brauchen ressourcensparendes Wachstum und ein gerechteres Abgabensystem. Wie sieht das aus? Dazu haben wir schon vor der letzten Bundestagswahl Vorschläge gemacht, die CDU und CSU aber blockiert haben. Wir wollen immer noch über 90 Prozent der Menschen steuerlich besserstellen. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht kinderlose Großverdiener-Haushalte steuerlich begünstigt werden, sondern Haushalte mit Kindern – besonders die mit Durchschnittseinkommen und darunter. Auf der anderen Seite muss Schluss sein mit Steuertricks im großen Stil, durch die zig Milliarden in den öffentlichen Kassen fehlen. Die SPD regiert mit Unterbrechungen seit 1998 in diesem Land mit. Warum kommt Ihnen erst jetzt diese Einsicht? Ich habe nie bestritten, dass sich auch die SPD eine Zeitlang zu der neoliberalen Auffassung hat drängen lassen, dass man nur ganz oben die Steuern senken und die Gewinne erhöhen muss, damit es läuft. Der massive Einfluss der Lobby von Top-Vermögenden hat den Graben zwischen arm und reich immer weiter vertieft. Meine Kandidatur zum Parteivorsitz 2019 habe ich auch damit begründet, dass wir zu einer sozialdemokratischen Politik zurückkehren müssen, die die Interessen der Mitte nicht dadurch schützt, dass der obere Rand immer reicher und ein immer größerer Teil immer ärmer wird. In der Krise verschärft sich das noch. Der Handlungszwang wird also noch größer. Was wollen Sie konkret durchsetzen? Wir brauchen eine Vermögensteuer und einen stärkeren Beitrag der sehr hohen Einkommensgruppen. 2017 haben wir vorgeschlagen: ab ca. 90.000 Euro im Jahr für Singles und etwa dem doppelten Betrag bei Verheirateten. Da reden wir ganz sicher nicht vom Facharbeiter-Haushalt. Damit sind wir nicht durchgedrungen, weil wir uns auf die irreführende Diskussion des Spitzensteuersatzes eingelassen haben. Die erweckt nämlich den Eindruck, dass schon von einem Einkommen von 60.000 Euro im Jahr 42 Prozent an das Finanzamt gehen. Das ist schon heute Unsinn. Es sind weniger als 28 Prozent. Und wir wollten und wollen diesen Beitrag senken. Statt über unverständliche Berechnungsmodelle zu reden, sollten wir mit einem Vergleichsrechner im Internet nachvollziehbar machen, was unser Konzept jedem und jeder Einzelnen bringt. Dann wird schnell klar, dass die SPD für über 90 Prozent der Steuerzahler eine Senkung anstrebt. Könnte das nicht über einen Corona-Soli erreicht werden? Wir haben den jetzigen Solidaritätszuschlag bewusst für 90 Prozent der Bevölkerung ganz, für die höheren Einkommensgruppen aber nicht oder nur teilweise abgeschafft. Die obersten 3,5 Prozent der Steuerzahler müssen ihn weiter in voller Höhe weiterbezahlen. Es gibt gute Gründe, diesen Rest-Soli als Teil der solidarischen Finanzierung für die Corona-Lasten beizubehalten. Nur wenn wir die krisenbedingt steigende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen korrigieren, bringen wir in der Nach-Corona-Zeit Chancen und Lasten in ein Verhältnis, das den Zusammenhalt wahrt und breite Teilhabe am Wohlstand möglich macht. Kurz vor Weihnachten gab es in der SPD-Fraktion im Bundestag noch ein Beben. Was wurde mit der Vertagung der Entscheidung zur Anschaffung bewaffneter Drohnen erreicht? Die Argumente sind ja lange ausgetauscht. Das sehe ich anders. Diese Debatte wurde weder in der SPD noch in der Gesellschaft bislang in der notwendigen Breite geführt. Deswegen habe ich diese Vertagung angestoßen. Meine Aufgabe als Parteivorsitzender ist es, die Partei zu beteiligen. Es gibt in der SPD viele, die ferngesteuertes Töten strikt ablehnen. Denen fehlt es nicht an Sachverstand, nur weil sie nicht dem Verteidigungsausschuss angehören. Unter der Lärmglocke von Corona kann man eine solche Frage nicht mal schnell mit einer Haushaltsvorlage und der Bereitstellung von 25 Millionen Euro durchschieben.  Der Außenminister hat Stellung pro Bewaffnung bezogen, der verteidigungspolitische Sprecher hat hingeworfen, die Linke applaudiert, der Koalitionspartner ist verstimmt. War es das wert? Ja, diese Frage hat für mich einen so hohen prinzipiellen Wert und hat so viel mit der Grundhaltung der SPD als Friedenspartei zu tun, dass ich nicht darauf schaue, wer empört ist und wer applaudiert. Da sehe ich mich der Tradition der Partei verpflichtet. Die SPD war außerdem immer eine Debattenpartei, und diese Debatte müssen wir führen, erst recht in dieser auch ethischen Frage - gemeinsam mit gesellschaftlichen Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften und Friedensinitiativen.  Ich habe großen Respekt vor Fritz Felgentreu, der sein Amt niedergelegt hat, weil die Fraktion in dieser Frage eine überwiegend andere Meinung als er selbst vertritt. Es geht überhaupt nicht darum, sich persönlich zu beharken – und in der Aussprache  in der Fraktion konnte davon übrigens auch keine Rede sein. Sie ist von beiden Seiten überaus respektvoll geführt worden. Wie ist der Zeitplan? Ich gehe davon aus, dass über diese Frage in dieser Legislaturperiode nicht mehr entschieden wird. Es geht auch um den Schutz von Soldaten in gefährlichen Einsätzen. Macht es sich die SPD da nicht zu leicht, wenn man zu keiner schnellen Entscheidung kommt? Ich bestreite, dass der Schutz erwiesen ist. Es gibt auch Stimmen, die sagen, die ständige Bedrohung durch bewaffnete Drohnen heize Konfliktparteien erst auf und mach Situationen erst recht gefährlich. Ich bin für Ausrüstung und nicht für Aufrüstung. So lange wir keine funktionierenden Nachtsicht-Geräte und zum Teil nicht einsatzfähige Waffen haben, so lange manche Flugzeuge nicht fliegen, so lange finde ich es nicht fair, dass die Frage des ausreichenden Schutzes der Soldaten darin bestehen soll, ob bewaffnete Drohnen zum Einsatz kommen. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen wirksamen Schutz, aber der fängt nicht an dieser Stelle an. Verlässt die SPD da nicht ihre Grundsätze? Im Gegenteil. Ich habe mich über das Urteil von Sigmar Gabriel gewundert, der eine Abkehr von der klaren Linie der SPD in der Verteidigungspolitik vermutet. Es gibt einen bis heute nicht revidierten Beschluss des Parteivorstands vom Juni 2013. Das war mitten in der achtjährigen Amtszeit Gabriels als SPD-Vorsitzender. In diesem Beschluss steht, dass die SPD die Bewaffnung von Drohnen ablehnt. Soll ich glauben, das habe vor der Bundestagswahl 2013 wahltaktische Gründe gehabt? Für alle, die mir eine Abweichung von der Parteilinie andichten wollen: Ich blinke nicht links und will auch nicht links abbiegen, ich bleibe geradewegs auf unserem Kurs, aber auch offen für neue Aspekte in einer schwierigen Debatte. Die Union begreift es als Einstieg ins Wahlkampfjahr 2021 – und sieht die SPD eher für Linksbündnis aufgestellt. Ist das so? Die aktuelle Krisenbewältigung funktioniert mit CDU und CSU gut. Davon abgesehen gibt es sehr große Unterschiede, besonders bei der Frage der Wohlstandssicherung für alle. Die Verknüpfung von Wohlstand und Anstand vermisse ich bei CDU/CSU. Es ist schwierig, mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) über faire Lieferketten und ein transparentes Lobbyregister zu reden. Auch für das Arbeitsschutzgesetz oder die Frauenquote in Vorständen mussten wir lange kämpfen. Ich habe definitiv keine Präferenz für die Fortsetzung einer großen Koalition. Es ist Zeit, dass CDU und CSU die Oppositionsbank drücken.

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Also dann eher mit der FDP oder der Linkspartei. Wer ist Ihnen denn lieber?

Es geht zuallererst drum, so stark wie möglich zu werden. Erst dann geht es um die Schnittmenge mit anderen. Für die SPD geht es um Kernpunkte wie sozialverträglichen Klimaschutz, um ökologische Industriepolitik und Digitalisierung, aber auch um eine gerechte Verteilung von Chancen und Lasten. Dafür muss der Staat Voraussetzungen schaffen. Auch die Technologieschübe in den USA wären ohne massives staatliches Engagement undenkbar gewesen. Da habe ich bei CDU, CSU und FDP mit ihrer ausschließlichen Fixierung auf privatwirtschaftliches Gewinnstreben und pauschale Steuersenkungen für Großverdiener und Unternehmen große Zweifel. Wenn wir nach der Wahl in der Position sind, über eine von Olaf Scholz geführte Bundesregierung zu verhandeln, dann stellt sich die Frage, mit wem wir das Meiste unseres Programms verwirklichen können. Darüber würden wir mit allen Parteien reden, die unsere Demokratie erhalten und stärken wollen. Die Frage ist: Was setzen wir durch, was verlangen die anderen. Wenn die Linke den NATO-Ausstieg wollte, ginge eine gemeinsame Regierung ebenso wenig wie wenn die FDP die Wiederauferstehung des Neoliberalismus fordern würde. Ich bin aber sicher, dass alle noch einmal nachdenken würden. Gibt es noch mögliche Bruchstellen mit dem Koalitionspartner?  Oder wird die Groko bis zur Wahl weitermachen? Wenn wir nur auf Krawall gebürstet wären, um eine gute Ausgangsposition für die nächste Bundestagswahl zu haben, wären wir an so mancher Stelle keine schmerzhaften Kompromisse eingegangen. Bei der Frage der Lieferketten könnte ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dieses Thema aus taktischen Gründen schmoren zu lassen. Aber wenn bei einem Kompromiss nur noch der Name übrigbliebe, dann wird es zum Gegenstand der Wahlauseinandersetzung. Das kann ich versprechen. Wünschen Sie sich zeitnah einen Koalitionsausschuss? Ja, ich habe die Erwartung, dass wir Mitte Januar im Koalitionsausschuss zusammenkommen, bei dem wir über anstehende Entscheidungen reden. Wir müssen neben der Krisenbewältigung auch dringende Entscheidungen für die Zeit danach treffen. Dafür braucht die CDU erstmal einen Vorsitzenden… Markus Söder prophezeite uns Dauer-Diskussionen nach der frühen Nominierung von Olaf Scholz. Wie gut wir mit unserem Schritt lagen, kann man jetzt bei der CDU beobachten, die sich öffentlich aufreibt. Da stehen ja nicht nur drei unterschiedliche Persönlichkeiten zur Wahl – es geht um eine Richtungsentscheidung der Konservativen. Wir werden mit jedem klarkommen, weil alle drei nicht an die Qualität von Scholz heranreichen. Das akribische Arbeiten, verbunden mit der Kunst des beharrlichen Verhandelns ist etwas, das außer Angela Merkel nur Olaf Scholz beherrscht. Der Vizekanzler noch dazu mit einer tiefen sozialdemokratischen Verwurzelung. Hätte die SPD mit einem Kanzlerkandidat Söder einen ernstzunehmenden Herausforderer? Ich habe Markus Söder in verschiedenen Positionen kennenlernen dürfen. Er liebt vor allem die große Pose auf der Bühne und in den Medien. Beharrliches Verhandeln und einfühlsames Ausloten von tragfähigen Kompromissen wären für mich eine ganz neue Seite des CSU-Chefs.  Könnte unter einem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz die Koalition platzen? Nein, die Koalition wird bis zum Ende durchhalten, weil die Kanzlerin Angela Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode heißt. Die Koalitions-Ausschüsse stelle ich mir dann allerdings äußerst lebendig vor. Treten Sie beim Parteitag Ende 2021 unabhängig vom Wahlergebnis wieder an als Doppelspitze mit Saskia Esken an? Ich halte die Doppelspitze für eine zeitgemäße Lösung. Weil sie differenzierteres Eingehen auf drängende Fragen erlaubt und die Breite der Partei besser abbildet. Sie bedeutet aber auch Aufwand, viel Abstimmung und die Akzeptanz unterschiedlicher Charaktere. Ich schätze das, denn mit zwei geklonten Vorsitzenden könnte man sich die Doppelspitze sparen. Dann würden wir aber auch viel Potenzial vergeben. Ein Jahr im Team – was lief gut, was schlecht? Ich habe in meiner langen Laufbahn gelernt, dass man nicht zu viel auf einmal machen darf. Da haben wir uns in der Aufbruchstimmung des Anfangs etwas übernommen, da waren die Akzente nicht immer nachhaltig gesetzt. Das hat sich aber schnell geändert. Das von uns durchgesetzte Bekenntnis zu Investitionen von fast einer halben Billion Euro über zehn Jahre in Bildung, Verkehr, Digitalisierung, die klare Kante währende des FDP/CDU/AfD-Skandals in Thüringen, die Abkehr vom Kaputtsparkurs gegenüber den gebeutelten Staaten Südeuropas, die die eindeutige Weichenstellung zur E-Mobilität und auch die Drohnen-Debatte zeugen doch nicht gerade von mangelndem Einfluss, oder? Ich kann jedenfalls gut mit unserer Bilanz leben. Auch mit dem Rassismus-Vorwurf an die Polizei von Frau Esken? Saskia wurde zu Unrecht ein Generalverdacht unterstellt. Den gab es nicht. Er darf auch nicht entstehen– weder gegenüber der Polizei noch der Bundeswehr. Sie hat das im direkten Gespräch mit Polizistinnen und Polizisten auch klargestellt. Trotzdem dürfen wir nicht wegsehen, wenn skandalöses Verhalten ans Licht kommt. Die vielen weiteren Vorfälle in diesem Jahr haben gezeigt, dass wir nicht nur von Einzelfällen sprechen und die Sicherheitsbehörden ein besonders schützenswerter Bereich unseres Gemeinwesens gegen Rassismus und Diskriminierung sind. Was ist Ihre Hoffnung für 2021? Walter-Borjans Ich wünsche mir sehr, wieder Hände schütteln zu können und auch darauf, Menschen wieder in den Arm zu nehmen. Wenn wir jahrelang so weitermachen müssten, würde sehr viel verlorengehen. Ich freue mich auf kulturelles Leben, Gaststätten, Besuche -  auf all das, was das Leben lebenswert macht.

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