Wirtschaftsfaktor WaldProbleme und mögliche Lösungen für Waldbesitzer

Lesezeit 6 Minuten
Neuer Inhalt

Maximilian Graf von Nesselrode

Wenn der Läufer sein Ziel erreicht, hat er es geschafft. Er kann Wasser trinken und in wenigen Stunden neue Kraft tanken. Wenn drei trockene, heiße Sommer einen Baum ausdörren, braucht er Jahre, um sich wieder zu erholen. „Die Zeitrechnung im Wald läuft anders“, sagt Max Graf von Nesselrode, der einen Forstbetrieb in Ruppichteroth im Rhein-Sieg-Kreis betreibt.

Der 41-Jährige lebt mit seinen fünf Kindern auf Burg Herrnstein. Seit 1436 ist der Wald, den er mit 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewirtschaftet, im Familienbesitz. Von Nesselrode weiß, welche Verantwortung mit der Jahrhunderte langen Pflege und Bewirtschaftung eines Waldes einhergeht: „Ich bin meinen Vorfahren sehr dankbar. Sie haben sich immer wieder zum Verzicht entschieden, nur nachhaltig eingeschlagen und so den nachfolgenden Generationen diesen fruchtbaren Wald hinterlassen.“

Der Wald wird krank

Doch der Wald krankt. Nicht nur bei von Nesselrode. Die wirtschaftlichen Folgen für die Forstwirtschaft sind weitreichend. Wie der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) mitteilt, haben die Extremwetterereignisse der letzten drei Jahre einen Schaden von 13 Milliarden Euro angerichtet. Das treffe die Forstbetriebe in ihrer Substanz. Das Ausmaß der Schäden durch Sturm, Dürre und Borkenkäfer übersteige die finanziellen Möglichkeiten und Reserven der meisten Waldbesitzenden und Forstbetriebe in Deutschland bei weitem, heißt es weiter.

Graf von Nesselrode stimmt dem zu. Wie genau die sich die letzten drei Jahre auf die Forstbetriebe auswirken? „Wir stehen vor einem extrem hohen Verlust an Ressourcen.“ Das bringe eine sehr lange Zeit ohne Einnahmen mit sich, sagt der Graf. „Zunächst muss man einen Baum 30 Jahre lang gießen, lieb haben und großziehen, damit er etwas einbringt.“ Bis dahin müsse der Gürtel enger geschnallt werden. Von Nesselrode sagt, dank des Verzichts seiner Vorfahren und einer vorsichtigen Wirtschaft könne er die aktuelle Situation gut überstehen. „Ich habe Glück. Anderen geht es da schlechter, die stehen vor dem Nichts.“

Hoher finanzieller Aufwand

Allein die Wiederbewaldung bedeute einen immensen finanziellen Aufwand. „Auf einem Hektar kann ich etwa 2000 Pflanzen als Rahmen einsetzen. Eine Pflanze kostet zwischen 2 Euro und 2,50 Euro. Das sind etwa 5000 Euro pro Hektar. Je nachdem, wie groß die zu bewaldende Fläche ist, kann man diesen Betrag nochmal verzehnfachen oder auch verhundertfachen. Und damit ist nur die Pflanzung gedeckt. Die Pflege des jungen Waldes steckt da noch gar nicht drin.“

2900 Hektar groß ist der Nesselrodesche Waldbesitz. Die Familie gehört damit zu den ganz großen unter den zwei Millionen deutschen Privatwaldbesitzern: Nur 13 Prozent von ihnen besitzen mehr als 1000 Hektar (zehn Quadratkilometer), die Hälfte hat 20 Hektar oder weniger. Im gräflichen Wald stehen zu 60 Prozent Laubholz und zu 40 Prozent Nadelholz. Bis vor einiger Zeit haben Fichten 25 Prozent davon ausgemacht, das entsprach dem bundesweiten Schnitt.

Trockenschäden und der Borkenkäfer

Nach drei Jahren extremer Trockenheit und enormer Schäden durch den Borkenkäfer ist es noch ein Prozent. Trockenschäden zeigen sich häufig zuerst beim Nadelholz, lässt von Nesselrode durchblicken. „Laubbäume brauchen in der Regel länger, um zu zeigen, wie es ihnen geht. Bei den Nadelbäumen geht es schneller, weil die immer grün sind.“

Das Ergebnis lässt sich unübersehbar in Deutschlands Wäldern beobachten. Meterhoch stapeln sich die toten Bäume. Durch die Fällungen ist in den letzten Jahren eine Menge Holz aus den Wäldern entnommen worden. Trotzdem steht es finanziell schlecht um die Forstwirtschaft. Warum eigentlich?

Abfließen nach Übersee

Die hohe Nachfrage auf dem Weltmarkt verursache ein Abfließen des Holzes nach Übersee, sagt von Nesselrode. Vor allem China und die USA kauften jede Menge (Säge-)Holz zu hohen Preisen vom deutschen Markt. Davon profitierten Sägewerke und Händler – die Rohholzpreise in Deutschland stiegen aber laut Statististischem Bundesamt nur leicht und lagen etwa im Februar 2021 immer noch 27 Prozent niedriger als 2015. Am Ende bleibe der Forstwirtschaft nicht viel anderes übrig, als ihr Holz trotzdem zu verkaufen, sagt von Nesselrode: „Blieben die toten Bäume einfach stehen, wäre es aus mit der eigenen Produktions- und Ernährungsgrundlage.“ Es gebe aber noch einen weiteren Grund: die Sache mit der Verkehrssicherung.

„Als Waldbesitzer bin ich nach jetziger Rechtslage dafür zuständig, dass auf öffentlichen Flächen von meinem Wald keine Gefahr für andere ausgeht“, sagt von Nesselrode. „Wenn ein abgestorbener Ast zum Beispiel auf die Straße fällt und dabei irgendeine Art von Schaden entsteht, den ich hätte vermeiden können, muss ich dafür haften.“ Gut findet der Forstwirt das nicht. Der Wald leide wegen der Umweltveränderungen, die durch jeden Einzelnen sowie durch Industrie und Verkehr entstünden.

Aufgabe der Allgemeinheit

Das Fällen dadurch absterbender Bäume müsse demnach Aufgabe der Allgemeinheit sein. „Als Waldbesitzer leisten wir unseren Beitrag mit der Bereitstellung des Rohstoffes Holz, mit sauberer Luft, dem Wald als Erholungsort und sauberem Wasser. Ich denke, das muss erst mal von Politik und Gesellschaft finanziell anerkannt werden, damit wir Waldbauern die notwendigen Wiederaufforstungen überhaupt stemmen können. Und die brauchen wir für unser Klima!“

Laut Deutschem Forstwirtschaftsrat seien die Soforthilfeprogramme von Bund und Ländern richtig, deckten aber mit 1,5 Milliarden Euro nur einen Bruchteil der bereits entstandenen Schäden. Sie seien außerdem auf vier Jahre befristet. Ein langfristiges Anschlussprogramm sei nötig, „denn die Bewältigung der Waldkrise ist eine Jahrhundertaufgabe“, so DFWR-Präsident Georg Schirmbeck.

Bäume, die besser mit Hitze klarkommen

An die nächsten Jahrhunderte denkt auch von Nesselrode. Er will in Zukunft verschiedenste Baumarten in seinem Wald wachsen lassen – solche, die eine mögliche Hitzeperiode besser aushalten als andere Baumarten. Welche das sein können? Der Graf sagt: „Zum Beispiel die Esskastanie, die Douglasie, vielleicht die Roteiche, die Zeder oder weitere Kiefernarten.“

Es gehe um eine nachhaltige Waldwirtschaft. Wie das bei ihm konkret aussieht? „Wir wirtschaften in Anlehnung an die Grundsätze der naturgemäßen Waldwirtschaft. Vereinfacht heißt das: Lass die Natur machen und greife nur ein, wenn es dich für Artenvielfalt und Strukturreichtum braucht. Bei uns heißt das: Pass auf die Buche auf.“ Weil in seinem Wald die Buche besonders stark wachse, müsse darauf geachtet werden, dass es dabei nicht zu Monokulturen kommt. „Das bedeutet auch, junge Buchen zu ernten.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Jeder Forstbetrieb könne mit Fachleuten festlegen, was jährlich maximal eingeschlagen werden darf, damit so viel nachwächst, wie geerntet wurde, erklärt der Graf. „Und wenn nicht eine Trockenheit wie 2018 bis 2020 dem Wald das Leben schwer macht und viel zu viel Holz auf den Markt schüttet, halten wir uns an diese Zahlen.“

Eigentlich stammt der Begriff der Nachhaltigkeit ohnehin aus der Waldwirtschaft, definiert hat ihn der sächsische Bergbau- und Forstexperte Hans Carl von Carlowitz im frühen 18. Jahrhundert. Wie dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz sieht von Nesselrode die beste Ökologie in einer nachhaltigen und langfristigen Ökonomie. „Ob die Entscheidungen, die wir heute treffen, richtig sein werden, sehen wir erst in ein paar Jahrzehnten.“ Im Wald läuft die Zeit anders.

Rundschau abonnieren