Interview mit NRW-Minister Laumann„Die Geringverdiener bleiben wieder außen vor“

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Karl Josef Laumann

 Karl Josef Laumann (CDU) 

  • NRW-Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) wirft der Bundesregierung vor, bei ihren Entlastungspaketen ausgerechnet die Menschen mit kleinem Einkommen zu vergessen.

Ein Tag Arbeit nur für die Tankfüllung – das kann nicht gerecht sein, sagt Landessozialminister Karl-Josef Laumann. Im Interview mit Matthias Korfmann fordert der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels (CDA) soziale Korrekturen bei der Kilometerpauschale. Hat Laumann Recht?

Herr Minister, Sie sagen, der Bund verliere bei seinen Entlastungspaketen gegen die Folgen des Ukraine-Kriegs einen Teil der Menschen aus dem Blick. Wen meinen Sie?

Die, die wenig verdienen und dementsprechend auch in geringem Umfang Steuern zahlen. Sie sind aus fast allen Entlastungen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat und nach den bisher bekannten Aussagen noch bringen möchte, rausgefallen. Wir reden hier über etwa 1,6 Millionen Menschen in NRW, die für den Mindestlohn oder wenig mehr arbeiten. Von den zwölf Euro Mindestlohn in der Stunde, die es ab dem 1. Oktober dieses Jahres geben wird, bleiben nach Sozialversicherungsbeiträgen 9,60 Euro übrig. Nehmen wir an, der Arbeitnehmer braucht in der Woche eine Tankfüllung Benzin. Bei meinem Auto kostet die ungefähr 70 Euro. Wenn du 9,60 verdienst und 70 Euro für Sprit bezahlst, dann arbeitest du fast einen Tag in der Woche nur für die Tankfüllung. Und weil diese Menschen keine oder nur wenig Steuern bezahlen, haben sie von der Erhöhung der Kilometerpauschale praktisch nichts.

Unzufriedenheit wächst

Angesichts stark steigender Preise wirft eine Mehrheit der Bürger der Bundesregierung in einer Umfrage vor, zu wenig für eine Entlastung zu tun. Dies beklagten im aktuellen ZDF-„Politbarometer“ 58 Prozent der 1389 Befragten, wie die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte. 30 Prozent finden die getroffenen Maßnahmen gerade richtig. Fünf Prozent meinen, es werde dafür sogar zu viel getan.

Bei den Anhängern aller Parteien überwiegen die Kritiker der Regierung, am stärksten aber bei AfD (80 Prozent) und Linken (71 Prozent), am wenigsten bei Union, Grünen und SPD (je 52 oder 53 Prozent). Nur noch 55 Prozent halten ihre eigene finanzielle Situation für gut – Anfang 2022 waren es 65 Prozent. 37 Prozent sagen teils/teils, acht Prozent halten sie für schlecht.

Noch nie haben so viele – 40 Prozent – erwartet, dass ihre eigene wirtschaftliche Lage in einem Jahr schlechter sein wird als heute. 49 Prozent gehen von einer unveränderten persönlichen Situation aus. 10 Prozent erwarten eine Besserung. (dpa)

Haben Sie ein Beispiel?

Wer den niedrigsten Steuersatz von 14 Prozent bezahlt und theoretisch 2000 Euro Kilometerpauschale absetzen kann, der bekommt 280 Euro über die Steuer zurück. Wenn jemand, der viel verdient und den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlt, 2000 Euro Kilometerpauschale absetzen kann, bekommt er 840 Euro zurück. Dabei ist statistisch betrachtet der Weg von Niedriglohnempfängern zum Arbeitsplatz im Durchschnitt sogar weiter als der von Gutverdienenden. Darum möchte ich als Arbeits- und Sozialminister eine Debatte anstoßen. In einer Zeit des Arbeitskräftemangels müssen wir ein Interesse daran haben, dass die, die für zwölf Euro in der Stunde arbeiten, nicht die Brocken hinwerfen und sagen: Dann arbeite ich lieber gar nicht und lebe von Transferleistungen. Diese Menschen müssen auch und deutlich von den steigenden Preisen entlastet werden. Andere Bürger, die ebenfalls große Probleme mit den explodierenden Preisen haben, werden vom Bund besser berücksichtigt: Wohngeldempfänger bekommen einen Heizkostenzuschuss. Die Grundsicherungsämter bezahlen die Heizkosten für die Hartz-IV-Empfänger.

Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern?

Unsere Sicherungssysteme müssen für den Menschen da sein und nicht umgekehrt. Und das System Kilometerpauschale passt bei den Geringverdienern nicht. Diese Menschen benötigen eine an ihre Lebensumstände angepasste, bessere Entfernungspauschale. Wenn ein Gutverdiener 840 Euro für Fahrten erstattet bekommt und ein Beschäftigter im Niedriglohnbereich 280 Euro, dann stimmt was nicht.

Von der Energiepreispauschale über 300 Euro, vom Kinderbonus, vom 9-Euro-Ticket und von der gesenkten Energiesteuer auf Kraftstoffe profitieren auch Geringverdiener.

Von der einmaligen Energiepreispauschale kann man drei- oder viermal tanken. Das Billigticket für Bus und Bahn läuft in Kürze aus und der Sprit wird voraussichtlich bald wieder teurer. Die Bundesregierung hat mit ihren Entlastungspaketen Wohltaten mit der Schrotflinte verteilt. Was ich damit sagen will: Die Maßnahmen sind nicht zielgenau, die unterschiedliche Dringlichkeit wird nicht berücksichtigt. Auch Oberstudienräte und Minister profitieren zum Beispiel vom 9-Euro-Ticket. Ich werbe dafür, vor allem Geringverdienern durch diese Zeit zu helfen.

Die SPD-Landtagsfraktion schlägt ein Kündigungsmoratorium für Mieter vor, die ihre Wohnnebenkosten nicht mehr bezahlen können, außerdem Energiegutscheine für Geringverdiener. Eine gute Idee?

Völlig klar: Die Menschen müssen davor geschützt werden, dass sie ihre Wohnung verlieren. Aber für diese Dinge ist die Bundesregierung zuständig.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant einen Inflationsausgleich für mittlere und hohe Einkommen. Was halten Sie davon?

Ich gönne das ja den Menschen, die entlastet werden. Aber: Die Geringverdiener bleiben wieder außen vor, und gerade sie haben jetzt die größten Sorgen. Das „Entlastungspaket Lindner“ hilft vor allem dem Teil der Bevölkerung, der die teuren Strom-, Gas- und Lebensmittelpreise einigermaßen schultern kann.

Rechnen Sie mit Protesten im Winter?

Wir müssen aufpassen, dass die Gesellschaft in der Mitte zusammenbleibt. Die Menschen müssen von ihren Löhnen leben können. Und sie haben empfindliche Antennen dafür, ob es im Staat gerecht zugeht oder nicht. Starke Schultern müssen gerade in einer Krise mehr tragen als schwache.

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