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Interview

Juso-Chefin in NRW
„Dieser Koalitionsvertrag ist nicht zustimmungsfähig“

Lesezeit 4 Minuten
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD mit der Überschrift ‚Verantwortung für Deutschland‘ ist auf dem Foto zu sehen.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD mit der Überschrift ‚Verantwortung für Deutschland‘ ist auf dem Foto zu sehen.

Die Chefin des SPD-Parteinachwuchses in NRW, Nina Gaedike, kritisiert den Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Am Dienstag beginnt die Mitgliederbefragung der SPD zum Koalitionsvertrag. Der Parteinachwuchs (Jusos) in NRW empfiehlt, den Koalitionsvertrag in der heutigen Fassung abzulehnen. Die Juso-Landesvorsitzende Nina Gaedike erklärt im Gespräch mit Matthias Korfmann, warum.

Frau Gaedike, Parteichef Lars Klingbeil hält den Koalitionsvertrag für „vernünftig“. Warum raten Sie den SPD-Mitgliedern dagegen zu stimmen?

Dieser Koalitionsvertrag ist nicht zustimmungsfähig, weil er weit hinter unseren Erwartungen zurückbleibt. Eine neue Bundesregierung hat einen wichtigen Auftrag: Sie muss dafür sorgen, dass bei der nächsten Bundestagswahl nicht wieder jeder Fünfte eine rechtsextreme Partei wählt. Mit diesem Koalitionsvertrag kann der Auftrag nicht erfüllt werden.

Was fehlt?

Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen muss es spürbar besser gehen als bisher.

Die Tatsache, dass ein großes Infrastrukturpaket geschnürt wurde, ist doch ein Riesenerfolg der SPD, oder? Das kann den Alltag vieler Menschen erleichtern, die Straßen benutzen, Ämter besuchen und schulpflichtige Kinder haben.

Absolut. Aber das reicht nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Studierende können sich ihr Studium nicht mehr leisten, weil Wohnungen so teuer sind. Azubis verdienen viel zu wenig. Familien haben kein Geld für Nachhilfe. Das Infrastrukturpaket ändert erstmal nichts daran.

Was ärgert Sie besonders?

Dass im Koalitionsvertrag wirklich alles unter Finanzierungsvorbehalt gestellt wird. Im Vertrag steht, dass kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlastet werden sollen, aber nun scheint selbst das nicht mehr sicher zu sein. Und der Mindestlohn soll, so zuletzt auch Merz, eben nicht garantiert auf 15 Euro steigen. Da macht sich die SPD leider nicht ganz ehrlich. Sie verkauft diese Dinge als große Erfolge, obwohl sie sich auf nicht eindeutige Formulierungen eingelassen hat. Das ärgert mich sehr. Und beim Bürgergeld sowie beim Thema Asyl stehen sogar rechtswidrige Forderungen im Vertrag.

Was meinen Sie?

Beim Bürgergeld sind Totalsanktionen geplant, also eine Herabsetzung auf null Euro. Das Bundesverfassungsgericht hat längst festgestellt, dass das nicht geht, weil man damit den Sanktionierten das Recht auf ein Leben in Würde nimmt. Ich finde es fatal, dass sich die Sozialdemokratie auf solche Experimente einlässt. Und das Kapitel zu Zuwanderung schockiert mich. Die geplanten Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Binnengrenzen sind ein Angriff auf das individuelle Grundrecht auf Asyl. Rechtlich ist das nicht haltbar.

Wir sehen, dass ein großer Teil der Bevölkerung für eine Begrenzung von Zuwanderung ist. Die Vorgänger-Regierung hat das nicht geschafft, oder?

Unter der Ampel-Regierung wurden so viele Menschen abgeschoben wie schon lange nicht mehr. Union und SPD dürfen sich aber nicht von der Lüge der AfD, Migrantinnen und Migranten die Schuld für alles in die Schuhe zu schieben, und von der aufgeheizten Stimmung treiben lassen. Das ist Populismus.

NRW-SPD-Chef Achim Post und Landtagsfraktionschef Jochen Ott halten den Vertrag für einen ordentlichen Kompromiss. Wie tief ist der Graben zwischen Ihnen und der Landesparteispitze?

Da gibt es keinen Graben. Als Jusos und Landespartei sind wir uns im Gegensatz zu früheren Groko-Diskussionen einig, dass es, um die Demokratie zu retten, möglich sein muss, mit der Union zu koalieren. Klar müssen wir dafür Kompromisse eingehen. Aber der Rechtsbruch beim Bürgergeld und bei Asyl sind eben rote Linien.

SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warnt: Ein Scheitern des Koalitionsvertrages wäre ein Spiel mit dem Feuer. Haben Sie keine Angst, dass Deutschland dann auf eine Staatskrise zusteuern könnte?

Es wäre möglich, nach einem Nein der SPD-Mitglieder mit der Union nach dem 30. April unverzüglich nachzuverhandeln.

Müsste diese Nachverhandlung nicht auch wieder durch die Mitgliederbefragung? Wie lange kann sich Deutschland diesen Schwebezustand leisten?

Die Mitgliederbefragung ist und bleibt Teil unserer Kultur der Mitbestimmung in der SPD. Deutschland hat eine geschäftsführende Bundesregierung und bleibt weiter handlungsfähig.

Was halten Sie von den Plänen, die Wehrpflicht wieder einzuführen?

Wir Jusos sind grundsätzlich gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Im Koalitionsvertrag steht, das schwedische Modell solle ein Vorbild sein, aber das ist im Kern auch eine Wehrpflicht. Wichtig ist uns das Prinzip der Freiwilligkeit, sei es bei der Bundeswehr oder bei sozialen Diensten. Wenn Sicherheit eine Priorität ist, dann müssen wir die Reihen der Bundeswehr durch ein attraktives Arbeitsumfeld schließen und nicht mit zwangsverpflichteten Schulabgängerinnen und Schulabgängern.