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Interview

Schulministerin Feller
„KI wird auf Dauer Lehrkräfte und Schulkinder entlasten“

6 min
Düsseldorf: Dorothee Feller (CDU), Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Düsseldorf: Dorothee Feller (CDU), Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen

Das Schuljahr ist vorbei, die Vorbereitungen für das nächste laufen. Bleibt die Lage in den Schulen angespannt, oder ist Besserung in Sicht? Die NRW-Schulministerin spricht über Lehrkräftemangel, Abordnungen, die Mittelstufenprüfung und Künstliche Intelligenz im Unterricht.

Frau Ministerin, das Schuljahr ist vorbei. Läuft es in den Schulen jetzt besser als vor einem Jahr?

Verbesserungen sind eine Daueraufgabe, doch einiges ist schon gelungen. Das Handlungskonzept Unterrichtsversorgung wirkt: Heute arbeiten rund 9500 mehr Menschen an unseren Schulen als Ende 2022: Lehrkräfte, Alltagshelfer, Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen; wir stärken mit verschiedenen Maßnahmen die Basiskompetenzen, wir optimieren Lehreraus- und -fortbildung, wir legen einen Schwerpunkt auf Demokratiebildung, überarbeiten das sogenannte AO-SF-Verfahren, um Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf bestmöglich zu fördern, und vieles mehr. Die wesentlichen Maßnahmen haben wir jetzt in unserem Schulkompass NRW 20230.

Ist das Ziel aus dem Koalitionsvertrag, 10.000 zusätzliche Lehrkräfte ins System zu bringen, erreichbar?

Wir sind auf einem guten Weg. Wir drehen auf der Grundlage unseres Schulkompasses NRW 2030 an vielen Stellschrauben und haben dabei auch die Lehrkräfteausbildung im Blick, zusammen mit dem Wissenschaftsministerium und den Universitäten.

Was soll sich da ändern?

Viele Lehramtsanwärterinnen und-anwärter wünschen sich mehr Praxis im Studium – das nehmen wir ernst. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie wir etwas Druck aus dem Referendariat nehmen und die angehenden Lehrkräfte früher auf das wahre Schulleben vorbereiten können. Auch daran arbeiten wir.

Sie haben den traditionell späten Sommerferienbeginn in Bayern kritisiert. Bewegt sich da was?

Die aktuelle Ferienregelung gilt bis 2030. Die Gespräche über die Zeit danach haben in der Bildungsministerkonferenz gerade erst begonnen. Dabei gebe ich der bayerischen Kollegin den freundlichen Hinweis, dass wir uns eine gleichberechtigte Regelung für alle Länder wünschen.

Und sie lehnt das dann ab, oder?

Nein, sie lacht freundlich. NRW hätte auch gerne mal einen späteren Ferienstart. Und die Begründung, in Bayern müssen die Schulkinder bei der Ernte helfen, zieht nicht mehr.

NRW will die Zahl der Lernstandserhebungen von zwei auf fünf erhöhen. Bedeutet das nicht noch mehr Druck für die Lehrkräfte? Und was machen Sie mit diesen Erkenntnissen, wo doch Personal für die Förderung fehlt?

Ich habe ja eingangs bereits darauf hingewiesen. Innerhalb von zweieinhalb Jahren ist es uns gelungen, 9500 mehr Beschäftigte an Schulen zu haben. Das ist ein großer Erfolg. Das ändert nichts daran, dass wir weiter hart daran arbeiten, noch mehr qualifiziertes Personal einzustellen. Ungeachtet dessen: Es reicht noch nicht, aber es ist schon mehr Personal in den Schulen. Es wird auch schon jetzt gezielter gefördert, in der Grundschule zum Beispiel mit einer Stunde mehr Mathematik und Deutsch und der zusätzlichen Lesezeit. Länder wie Hamburg und Baden-Württemberg, aber auch andere Staaten wie Kanada zeigen, dass mehr Lernstandserhebungen nicht mit zusätzlichem Druck verbunden sein müssen. Im Gegenteil: Sie führen dazu, dass die Basiskompetenzen der Kinder im Rechnen, Schreiben und Lesen gezielter gefördert werden können.

Weiß eine Lehrkraft nicht auch so, welche Kinder Probleme haben?

Lernstandserhebungen sind keine Klassenarbeiten, bei denen der aktuelle Stoff abgefragt wird. Sie erfassen grundlegende Kompetenzen, über die ein Schüler in einem bestimmten Alter verfügen sollte. Viele Schulen in NRW nutzen bereits eigene Lernstandserhebungen, um auf Grundlage dieser Daten gezielter zu fördern.

Meinen Sie nicht, dass viele Lehrkräfte dann sagen: Was soll ich denn noch alles machen?

Niemand wird überfordert, im Gegenteil. Wir legen den Schulkompass auf fünf Jahre an. Die erste Lernstanderhebung ist freiwillig und beginnt erst im übernächsten Schuljahr 2026/27.

Ist die Hauptschule zu retten? Vor 20 Jahren gab es in NRW 730, heute noch knapp 160.

Hauptschulen sind und bleiben eine wichtige Stütze unseres vielfältigen Schulsystems.

Dennoch sollen Hauptschulbildungsgänge an Realschulen eingerichtet werden. Warum?

In einigen Regionen ist die nächste Hauptschule für manche Kinder zu weit entfernt von ihrem Wohnort. In solchen Fällen kann eine Realschule einen Hauptschulbildungsgang anbieten.

Es werden immer noch Lehrkräfte abgeordnet, etwa vom Münsterland ins Ruhrgebiet. Im vorigen Schuljahr war die Aufregung darüber groß. Wie ist die Lage jetzt?

Ja, Abordnungen gibt es weiterhin, weil mancherorts der Lehrkräftemangel besonders spürbar ist. Schulen mit großem Personalmangel profitieren davon. Für betroffene Lehrkräfte ist das oft eine Umstellung. Sie verlassen den gewohnten Arbeitsplatz, müssen womöglich weiter fahren und sich auf etwas Neues einlassen. Ich höre aber inzwischen auch von abgeordneten Lehrkräften viel Verständnis. Sie sehen, dass sich mit ihrer Hilfe die Lage an der neuen Schule entspannt, sie sammeln wichtige Erfahrungen für ihren Beruf, und manche bleiben später auch dort.

Der Lehrkräfte-Protest gegen die Mittelstufenprüfung ZP10 nimmt zu. Früher gab es die Mittlere Reife zum Ende der 10. Klasse ohne Prüfung. Was spricht gegen eine Rückkehr zu dieser Regel?

Die ZP10 erfüllt einen wichtigen Zweck: Sie hilft dabei, das Wissen aus der Mittelstufe zu wiederholen und zu festigen. Dadurch ist es später in der Oberstufe präsenter. Aber ich nehme natürlich wahr, dass es andere Meinungen gibt.

Schimmern da leichte Zweifel bei Ihnen durch?

Ich bin grundsätzlich immer offen dafür, etwas zu überdenken, wenn es fundierte Kritik gibt.

NRW führt zum neuen Schuljahr ein digitales Sprachstand-Screening ein. Was bedeutet das?

Bereits im vergangenen Jahr hatten wir allen Grundschulen ein analoges Screening an die Hand gegeben. Das wollen wir jetzt durch ein digitales Screening ersetzen. Damit erfahren Eltern bei der Schulanmeldung, wie fit ihre Kinder für die Grundschule sind und wo es Förderbedarf gibt. Sie erhalten außerdem die Empfehlung, diese Informationen an ihre Kita weiterzugeben. Schon heute arbeiten viele Grundschulen mit den Kitas in ihrer Umgebung zusammen.

Müsste das nicht verbindlich sein, um sicher zu stellen, dass sich die Eltern wirklich darum kümmern?

Dafür bräuchte es eine gesetzliche Grundlage. Bisher geht es nur über Empfehlungen.

Werden alle Grundschulen das Screening im Herbst anwenden?

Es ist zunächst ein Angebot, um Erfahrungen zu sammeln. Zum Schuljahr 2026/27 könnte das Screening verpflichtend werden.

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Wie wird KI die Schulen verändern?

Allen Lehrkräften in NRW wird im neuen Schuljahr eine modulare Fortbildung zur Künstlichen Intelligenz angeboten. Es läuft auch ein Pilotversuch mit der Universität Siegen zur lernförderlichen Nutzung von KI im Mathematik- und Deutschunterricht.

Viele Schüler sind bei KI schon weiter. Muss man nicht Prüfungen, Hausaufgaben, die ganze Schule neu erfinden?

Ja, Schule wird sich sehr verändern. Wir müssen uns fragen, wie wir künftig mit Hausaufgaben, Referaten, Prüfungen umgehen. Früher hat die Oma geholfen, heute Chat GPT. Wichtig ist, dass Kinder lernen, mit diesen Werkzeugen zu arbeiten. Und Lehrkräfte müssen über gezielte Fragen herausfinden können, ob der Stoff verstanden wurde. Daneben bin ich mir sicher, dass KI auf Dauer Lehrkräfte und Schulkinder entlasten wird.

Wenn die Zukunft der Schule so digital ist: Ist es da nicht abenteuerlich, Smartphone-Verbote an Schulen zu fordern?

In der aktuellen Debatte geht es nur um die private Handynutzung in Schulen. Im Unterricht können sie gezielt genutzt werden – das entscheidet die Lehrkraft. Wie wollen wir Kinder vor Cyber-Grooming schützen, wenn wir ihnen das nicht erklären? Sie brauchen Medienkompetenz. In den Grundschulen gehört das Handy in die Tasche. In den weiterführenden Schulen braucht es differenzierte Lösungen. Social Media, exzessive Handynutzung, Jugendschutz sind kein rein schulisches, sondern ein gesellschaftliches Thema. Ein Schüler an einer allgemeinbildenden Schule ist im Schnitt 110 Stunden in der Woche wach. Davon verbringt er 28 Stunden in der Schule. Die Probleme entstehen oft außerhalb von Schule.