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Junger Afghane in Berlin„Meine Familie steht auf der Todesliste“

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Manche wollen auch zurück: Afghanische Flüchtlingsfamilien, die auf dem Weg zurück in ihr Heimatland sind, versammeln sich in Pakistan neben Lastwagen, die mit ihren Habseligkeiten beladen sind.

Manche wollen auch zurück: Afghanische Flüchtlingsfamilien, die auf dem Weg zurück in ihr Heimatland sind, versammeln sich in Pakistan neben Lastwagen, die mit ihren Habseligkeiten beladen sind. 

Ein 26-jähriger Afghane protestiert vor dem Auswärtigen Amt in Berlin. Seine Angehörigen haben Aufnahmezusagen der Bundesregierung, stecken aber in Pakistan fest. Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer.

„Wenn Deutschland meiner Familie rechtzeitig Visa erteilt hätte, würde mein Papa noch leben.“ Abu zieht die Kapuze seines roten Hoodies hoch, er steht in Berlin vor dem Auswärtigen Amt. Dort hat der 26-jährige Afghane ein Protestcamp aus Zelten und Transparenten errichtet, genehmigt bis einschließlich Freitag. „Meine Familie steht auf der Todesliste der Taliban“, erzählt er. „Sie haben zum Teil als Ortskräfte von 2005 bis 2021 für die Bundeswehr und die Nato gearbeitet. Alle haben sie Aufnahmezusagen der Bundesregierung. Warum werden sie nicht endlich herausgeholt?“

2000 Afghanen warten in Pakistan auf deutsche Visa

Abu zückt sein Handy zeigt Fotos der Dokumente mit amtlichem Stempel und dem Briefkopf des Auswärtigen Amtes. Elf Namen stehen darauf, darunter seine Mutter, zwei Brüder, zwei Schwestern, Onkeln, Schwager, auch zwei Babys seien dabei. Sie alle befänden sich derzeit in Pakistan. So wie rund 2000 weitere Afghanen, die auch auf ihre Aufnahme in Deutschland warten, derweil sich die Situation in Pakistan für sie verschärft. Laut dem Auswärtigen Amt wurden in den vergangenen Tagen mehr als 450 afghanische Staatsangehörige mit deutscher Aufnahmezusage verhaftet.

Gefährliches Leben für Afghanen in Pakistan

„Meine Familie versteckt sich zurzeit im Wald“, sagt Abu. Er sei via Handy mit seinem Bruder in Kontakt. „Alle haben Angst. Sie mussten immer wieder nachts vor Razzien fliehen. Meine Mutter hat Diabetes, sie braucht Insulin.“ Sein Bruder, der bei ihr ist, habe als Arzt für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet. Nach der Machtübernahme 2021 hätten die Taliban ihn inhaftiert und gefoltert. „Wir haben ihnen Lösegeld gezahlt und zwei Autos, dann haben sie ihn uns zurückgegeben“, sagt Abu. „Sie haben ihn so brutal gefoltert, dass er drei Monate im Koma lag. Als er erwachte, hat er nur noch unsere Mama erkannt.“

Leidvolle Schicksale und sichere Zukunftshoffnung

Sein Vater habe 2022 bei einer gewaltsamen Hausdurchsuchung durch die Taliban einen Herzinfarkt erlitten, an dem er kurz danach verstarb: „Sie haben meine Familie mit Gewehren geschlagen, geschossen, mit Schaufeln den Garten umgegraben und alles nach Dokumenten durchsucht, die eine Verbindung zur Bundeswehr oder Nato belegen.“ Eine seiner Schwestern sei schwanger auf der Flucht gewesen und habe dann ihr Baby verloren.

Nowshera: Afghanische Flüchtlingsfamilien, die auf dem Weg zurück in ihr Heimatland sind

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Was Abu erzählt, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Er sagt, dass er 2015 als 16-Jähriger mit einem seiner Brüder, der als Übersetzer gearbeitet hatte, nach Deutschland floh. Inzwischen habe er ein Abschiebeverbot, was aber jederzeit wieder aufgehoben werden könne. Seit 2021 setze er sich in Berlin als Aktivist für seine Familie und andere afghanische Flüchtlinge ein. Der Berliner Flüchtlingsrat, für den er mehrere Jahre gearbeitet hat, bestätigt das. Auch dass Abu aus Sicherheitsgründen immer mal wieder unter anderem Namen agiere – um seine Familie nicht noch mehr in Gefahr zu bringen.

Kontakte zu Politikern bringen Hoffnung

Am Wochenende hat Abu den Tag der offenen Tür der Bundesregierung genutzt und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Außenminister Johann Wadephul (CDU) direkt mit dem Schicksal seiner Familie konfrontiert. Er zeigt Videos davon. Beide Minister äußern Bedauern und sage vage zu, helfen zu wollen. Dobrindt bittet ihn um eine Liste der Namen. Wadephul nutzt Abus Frage vor Publikum dazu auszuholen, was die Bundeswehr alles Gute am Hindukusch getan habe: „Deutschland hat viel investiert in dieses Land. Es waren 20 gute Jahre für Afghanistan.“ Er dankt den Soldaten für die „tolle Arbeit“.

Abu steigen Tränen in die Augen, als er das Video zeigt: „Und was ist mit den zurückgebliebenen Ortskräften, die von den Taliban verfolgt werden? Kein Dank, nichts.“ Seit Jahren höre er schon dasselbe, vage Versprechen. Aber vielleicht kommt nun doch Bewegung in die ganze Sache: Wie die „Welt“ an diesem Dienstag berichtet, lenkt die Bundesregierung ein. So sollen bereits in den kommenden Tagen afghanische Familien nach Deutschland kommen dürfen. Laut Zeitung sollen sie per Linienflug in die Bundesrepublik einreisen.

Unterstützung von der Bevölkerung und unermüdlicher Einsatz

Beim Protestcamp sitzen ein paar Unterstützer bei Tee und Kaffee auf einer Picknickdecke. Wie die Resonanz bisher sei? „Menschen, die hier vorbeigehen, sagen uns, dass sie sich für Deutschland schämen, weil es den Afghanen immer noch nicht hilft.“ Ob er Hoffnung habe, mit dem Protest etwas zu erreichen? Abu zuckt mit den Schultern: „Ich werde nicht aufgeben. Ich kämpfe für meine Familie.“ (kna)