Mindestens 16 Menschen sterben bei einem antisemitischen Angriff auf eine jüdische Feier in Australien. Der Vorfall befeuert die Debatte über Waffenkontrollen und den dramatischen Anstieg antisemitischer Gewalt seit dem Gaza-Krieg.
Zerbrochenes SelbstbildWie ein Terroranschlag Australien in Schock versetzt

Sydney: Ein Mann legt einen Tag nach der Schießerei vor dem Bondi Pavilion am Bondi Beach in Sydney Blumen für die Opfer nieder. Australien trauert, nachdem zwei bewaffnete Männer am Bondi Beach eine jüdische Feier angriffen und 16 Menschen töteten.
Copyright: Mark Baker/AP/dpa
Mindestens 16 Menschen, darunter ein zehnjähriges Mädchen, ein Rabbiner und ein Holocaust-Überlebender, wurden bei dem Angriff auf eine jüdische Chanukka-Feier am Sonntagabend am Bondi Beach in Sydney getötet. Dutzende Menschen wurden zudem verletzt; zwei Polizisten befinden sich nach dem Einsatz in kritischem, aber stabilem Zustand im Krankenhaus.
Die Ermittler stuften die Tat offiziell als Terroranschlag ein. Australiens Premierminister Anthony Albanese sprach von einem „bösartigen antisemitischen Akt“ und von einem gezielten Angriff auf jüdische Australier.
Besonders verstörend sind die Details zu den mutmaßlichen Tätern. Nach Angaben der Polizei handelte es sich um einen 50-jährigen Mann und seinen 24-jährigen Sohn, dem bereits Verbindungen zur Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) vorgeworfen wurden. Der Vater ist unter den Toten – er wurde am Tatort von der Polizei erschossen, sein Sohn liegt mit Verletzungen im Krankenhaus.
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Weitere Verdächtige werden nicht gesucht. Der 50-Jährige verfügte über eine gültige Waffenlizenz und besaß sechs registrierte Schusswaffen. Zudem fanden Ermittler zwei improvisierte Sprengsätze, die funktionsfähig waren, jedoch nicht detonierten. Sie wurden sichergestellt und entschärft.
Was sagt dieser Terrorakt über Australien aus?
Der Anschlag wirft damit nicht nur Fragen nach extremistischer Ideologie auf, sondern auch nach staatlicher Kontrolle. Wie konnte ein lizenzierter Waffenbesitzer einen derart schweren Anschlag vorbereiten, ohne zuvor ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten?
Der Premier von New South Wales, Chris Minns, erklärte auf einer Pressekonferenz, es sei zum jetzigen Zeitpunkt zu früh, von einem Systemversagen zu sprechen. „Es wird eine umfassende Untersuchung geben“, sagte Minns. Man müsse den genauen Hergang aufklären, „um Maßnahmen ergreifen zu können, damit sich so etwas nicht wiederholt“. Dazu gehöre „mit ziemlicher Sicherheit eine Gesetzesreform“, aber auch eine breitere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus.
Währenddessen fährt der Staat die Sicherheitsmaßnahmen hoch. Unter dem Namen „Operation Shelter“ waren allein in Bondi 328 Polizeibeamte im Einsatz. Die Polizei kündigte an, ihre Präsenz an jüdischen Gebetsstätten und anderen Orten der jüdischen Gemeinde landesweit zu erhöhen.
Einfluss der Waffenlobby
Der Anschlag trifft Australien an einem empfindlichen Punkt seines Selbstverständnisses. Nach dem Massaker von Port Arthur im Jahr 1996, bei dem 35 Menschen getötet wurden, reagierte das Land mit Entschlossenheit.
Die damalige konservative Regierung setzte sich gegen die Waffenlobby durch, verbot halbautomatische Waffen, verschärfte Lizenzauflagen und führte die Pflicht ein, einen „triftigen Grund“ für Waffenbesitz nachzuweisen. Eine landesweite „Waffenamnestie“ ließ die Zahl der Schusswaffen drastisch sinken. Über Jahre galten diese Reformen als internationaler Goldstandard.
Doch dieses Bild ist brüchig geworden. Heute gibt es in Australien mehr als vier Millionen Schusswaffen – fast doppelt so viele wie 2001. Pro Woche gelangen mindestens 2000 neue Waffen legal in Privatbesitz, wie die australische Ausgabe des „Guardian“ berichtete. Trotz Bevölkerungswachstums ist die Waffendichte pro Kopf inzwischen höher als unmittelbar nach Port Arthur.
Australien: Bis heute kein Waffenregister
Zwar existiert ein nationales Waffenabkommen, doch zentrale Elemente wurden nie vollständig umgesetzt. Ein versprochenes nationales Waffenregister fehlt bis heute. Stattdessen gelten uneinheitliche Regelungen in den Bundesstaaten und Territorien – Lücken, die ausgenutzt werden können und dazu beitragen, dass legale Waffen für Verbrechen genutzt werden.
Hinzu kommen neue Bedrohungen: Waffen aus dem 3D-Drucker sowie Bewegungen, die sich gegen mehr staatliche Kontrolle aussprechen. Die Waffenlobby sieht sich derweil wieder im Aufwind. Sie spricht offen davon, den politischen Kampf gegen restriktive Gesetze zu „gewinnen“, und mobilisiert Waffenbesitzer.
Besonders scharf kritisierte sie Reformen in Westaustralien, wo unter anderem die Anzahl erlaubter Waffen pro Lizenz begrenzt und psychologische Eignungstests verschärft wurden. Die dortige Polizei bezeichnete diese Regeln hingegen als neuen Maßstab für öffentliche Sicherheit.
Parallel zur Waffenfrage rückt Antisemitismus in den Mittelpunkt der Debatte um den Anschlag. „Das ist der schlimmste Albtraum der jüdischen Gemeinde“, sagte Alex Ryvchin, Co-Geschäftsführer des Exekutivrats des australischen Judentums (ECAJ), gegenüber Sky News. „Es hat sich lange unter der Oberfläche abgespielt, und jetzt ist es tatsächlich passiert.“ Rabbiner Levi Wolff aus der Central Synagogue in Sydney sprach gegenüber Reportern von einem bitteren Gefühl der Unvermeidlichkeit: „Das Unvermeidliche ist nun geschehen.“ Die Zahlen stützen diese Einschätzung. In den zwölf Monaten bis Ende September registrierte der ECAJ 1654 antisemitische Vorfälle – etwa dreimal so viele wie in den Jahren vor dem Gaza-Krieg seit dem 7. Oktober. In einem aktuellen Bericht warnt der Dachverband, Antisemitismus habe die gesellschaftlichen Ränder verlassen und sei in der Mitte angekommen. Er spricht von einer „zunehmenden ideologischen Annäherung“ zwischen Neonazis, Teilen der antiisraelischen Linken und Islamisten.
Terrorakt ist kein isolierter Ausbruch
Terrorismusexperten betonen, dass Radikalisierung nicht im luftleeren Raum entsteht. Internationale Organisationen wie das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) beschreiben gewalttätigen Extremismus als komplexen Prozess, geprägt von individuellen Erfahrungen, Gruppendynamiken und einem polarisierten gesellschaftlich-politischen Umfeld. Gewalt wie in Bondi ist demnach kein isolierter Ausbruch, sondern Ausdruck tieferliegender Spannungen.
Gesetze und Richtlinien allein können Antisemitismus kaum eindämmen, sagt Rebecca Wickes, Direktorin des Griffith Criminology Institute. Auch Bildungs- oder Präventionsmaßnahmen reichen ihrer Meinung nach nicht aus. „Letztendlich müssen wir in allen Bereichen der Gesellschaft zusammenarbeiten, um starke normative Schutzmechanismen gegen Hass und Vorurteile gegenüber allen Menschen zu etablieren.“
Die subtilen rassistischen Andeutungen mancher Politiker und Medien, die Vorurteile gegenüber ethnisch-rassischen Minderheiten schürten, seien äußerst schädlich und normalisierten die Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen, so die Expertin. „Um solchen Schaden zu verhindern, brauchen wir eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Hass und Diskriminierung jeglicher Art.“

