Der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala ist in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken berufen worden. Wie er seine Rolle sieht.
Carlo Masala„Der Vatikan kann nicht Akteure, die Aggression wollen, vom Gegenteil überzeugen“

Carlo Masala, Politikwissenschaftler
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Die weltweiten militärischen Konflikte haben Carlo Masala zu einer Person des öffentlichen Lebens gemacht. Der an der Universität der Bundeswehr in München lehrende Politikwissenschaftler gilt als geschätzter Gesprächspartner. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat den klugen Kopf erstmals in seine Reihen berufen. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit dem 57-Jährigen über Kirche und Krieg, Pazifismus und darüber, warum er nie gedient hat - am Altar zumindest.
Professor Masala, Sie sind ins Zentralkomitee der deutschen Katholiken gewählt worden. Sollen Sie als Militärexperte die Kirche kriegstüchtig machen?
Nein. Von mir wird wohl vielmehr erwartet, dass ich meine sicherheits- und verteidigungspolitische Expertise in die Diskussionen des Gremiums zu Fragen von Krieg und Frieden in der internationalen Politik einbringe. Die Berufung ist mir eine große Ehre.
Vor gut einem Jahr veröffentlichten die deutschen Bischöfe ein neues Papier zur Friedensethik. Haben Sie das schon gelesen?
Ich kenne es nur in Grundzügen.
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Darin spricht sich die katholische Kirche in Deutschland dafür aus, die Bundeswehr angemessen auszustatten. Zugleich wird vor einem neuen internationalen Wettrüsten gewarnt. Wie sehen Sie das?
Gerade hat das Stockholmer Institut für Internationale Friedensforschung seinen neuen Bericht vorgelegt. Daraus geht hervor, dass auf der Welt immer mehr für Militär und Verteidigung ausgegeben wird. Wir befinden uns gerade in einer Aufrüstungsspirale. Diese birgt natürlich auch Gefahren, weshalb es richtig ist, vor den Risiken einer solchen Politik zu warnen. Zugleich lässt sich nicht negieren, dass jene, die die liberalen Demokratien bedrohen, ebenfalls massiv aufrüsten. Man muss deshalb für den Extremfall verteidigungsbereit sein und die Bundeswehr entsprechend ausstatten.
Papst Leo XIV. hat jüngst mit Putin telefoniert und an ihn appelliert, eine Geste des Friedens zu zeigen. Könnte der Vatikan möglicherweise vermitteln?
Die Rolle der katholischen Kirche ist es, basierend auf den christlichen Glaubensgrundsätzen bestimmte Prinzipien in der internationalen Politik immer wieder zu betonen. Der Vatikan ist aber nicht in der Position, Akteure, die Aggression wollen, vom Gegenteil zu überzeugen. Er kann eine unterstützende Rolle spielen, wenn die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen schon vorhanden ist. Sie selbst zu erzwingen, dürfte zu schwierig für ihn sein.
Also bleibt nur das ständige Mahnen?
Das ist die Rolle der Kirchen. Ich hätte ein Problem, wenn sie plötzlich in Hurra-Patriotismus verfallen würden und wieder anfingen, Waffen zu segnen. Wichtig bleibt, die politisch Verantwortlichen immer wieder an ethische Grundsätze zu erinnern, die man nicht verletzen sollte. Über moralische Autorität hinaus ist die Macht der Kirche aber begrenzt.
Gilt also weiter Stalins spöttische Frage: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“
Ja. Aber das Zitat verkennt die Rolle der Kirche. Sie ist keine Institution, die drohen kann, nach dem Motto: Wenn du dein Verhalten nicht änderst, bin ich bereit, meine Kräfte einzusetzen. Dennoch sollte man das moralische Argument nicht unterschätzen. Am russischen Aggressionskrieg sieht man, dass das Argument, hier würden grundlegende Prinzipien der Menschlichkeit verletzt, auch viele überzeugt, die sich für internationale Politik sonst nicht interessieren. Erinnert sei an die kirchliche Gemeinschaft Sant'Egidio. Beharrlich hat sie Konfliktparteien immer wieder an einen Tisch gebracht im Versuch, einen grundsätzlichen Konsens zu finden. Manchmal mit Erfolg.
Ist Pazifismus als konsequenter Verzicht auf Gewalt auch im Verteidigungsfall eine respektable Option oder einfach naiv?
Da muss man unterscheiden. Die radikale Version, die Gewalt unter jeglichen Umständen ausschließt, ist naiv. Anders beim aufgeklärten Pazifismus, der Völkern, wenn sie angegriffen werden, ein Selbstverteidigungsrecht zugesteht. Dieser sieht Gewalt immer noch als die schlechteste Lösung an und strebt danach, Konflikte gewaltfrei zu lösen.
In der Bergpredigt fordert Jesus: „Wer dich auf die linke Wange schlägt, dem halte die rechte hin.“ Wie verstehen Sie diese Botschaft?
Ich bin kein Experte für Bibelauslegung. Aber war es nicht Jesus, der die Händler aus dem Tempel geworfen hat? Ich glaube nicht, dass die Bergpredigt, die auf das Individuum bezogen ist, so zu verstehen ist, auch noch die andere Wange hinzuhalten, wenn ein anderer den eigenen Bruder umbringt. Die Bergpredigt wird gerne plakativ benutzt, um eine Position zu rechtfertigen, die meines Erachtens zutiefst amoralisch ist.
Die deutschen Bischöfe halten die Selbstverteidigung der Ukraine für in Ordnung. Dennoch sei zu überlegen, wie ein solcher Konflikt enden könne. Meist geschieht dies wohl am Verhandlungstisch und jeder wird dann Kröten schlucken müssen ...
Viele Konflikte enden in einer militärischen Niederlage und einem Sieg. Bei anderen kommt es am Verhandlungstisch zu einem Kompromiss. Dieser nimmt beiden Seiten etwas, aber er gibt ihnen auch etwas. Eine solche Situation haben wir in der Ukraine noch lange nicht. Die eine Seite zeigt eine Kompromissbereitschaft, das ist Selenskyj, und die andere zeigt überhaupt keine, das ist Putin.
Militärseelsorge - eine gute Sache?
Die ist extrem wichtig. Ich habe immer wieder erlebt, wie in Einsätzen die Militärseelsorge der perfekte Anlaufpunkt selbst für jene war, die nicht an Gott glauben. Hier haben die Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit, mit Menschen zu reden, über alles, was sie belastet.
Kriegsdienstverweigerung auch?
Das ist ein natürliches Recht, das es in jeder Demokratie geben muss. Da gibt es nichts zu verhandeln.
Kulturhistorisch betrachtet erzeugt Gewalt Gegengewalt. Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?
Als Realist muss ich sagen: Da wird man nicht ausbrechen können. Man kann nur Vorkehrungen treffen, dass der Einsatz von Gewalt minimiert wird. Und es ist immer klug, sich gegen eine Gewaltanwendung zu wappnen.
Wie wichtig war der katholische Glaube in Ihrer Familie mit einem Italiener als Vater und einer Österreicherin als Mutter?
Meine Mutter ist Protestantin und musste bei ihrer Heirat mit einem Katholiken das berühmte Schriftstück unterschreiben, dass die Kinder im katholischen Glauben erzogen werden. Ich bin in einen katholischen Kindergarten gegangen, in meiner Jugendzeit sang ich im Kirchenchor.
Am Altar gedient haben Sie nicht?
Nein. Ganz ehrlich: Mir ist vom Weihrauch immer schlecht geworden. Ich wäre jedes Mal beim Gottesdienst umgekippt. Bis heute bin ich aber durch die Kirche und die Grundsätze des katholischen Glaubens geprägt. (kna)