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CDU-Generalsekretär im Interview„Es gibt kaum noch Initiativen der Ampel“

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CDU-Generalsekretär Mario Czaja

CDU-Generalsekretär Mario Czaja

Mario Czaja ist seit einem Jahr Generalsekretär der CDU und schaffte es bei der Bundestagswahl, in der einstigen Linken-Hochburg Berlins, Marzahn-Hellersdorf, ein Direktmandat zu gewinnen. Mit ihm sprach Rena Lehmann.

Herr Czaja, Sie kommen aus Berlin, wo es nun eine Große Koalition unter Führung der CDU geben wird. Steht ein solches Bündnis wirklich für eine neue Politik in der Hauptstadt?

Es kommt darauf an, dass die Handschrift der CDU in einer schwarz-roten Regierung deutlich erkennbar wird. Und ich traue Kai Wegner zu, dass er das gut verhandelt. Wir wollen eine gut ausgestattete Polizei, eine gute Verkehrspolitik für die Menschen am Stadtrand und im Zentrum und eine Bildungspolitik, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Kinder gerecht wird. Wir wollen die Verwaltung reformieren, damit die Stadt endlich wieder funktioniert. Das wünschen sich die Berlinerinnen und Berliner, und genau dafür haben sie uns ihr Vertrauen ausgesprochen.

Hat es geschadet oder genützt, dass Friedrich Merz „kleine Paschas“ nach den Silvesterkrawallen in Berlin zum Problem erklärte?

Ich verstehe ihr Interesse, über einen pointierten Begriff zu reden. Im Kern geht es doch um das dahinter liegende Problem. Es ist leider so, dass man immer wieder Respektlosigkeiten gegenüber den Lehrkräften erfährt – sowohl durch Schüler, oft aber leider auch durch Eltern, insbesondere Väter. Meistens sind Lehrerinnen davon betroffen. Kinder, die schon Lehrerinnen nicht respektieren lernen, drohen dazu heranzuwachsen, auch in ihrer Adoleszenz staatliche Institutionen abzulehnen. Das ist ein Problem das auch, aber nicht nur, mit gescheiterter Integration und Sozialisation zu tun hat. Darüber müssen wir ehrlich und ohne Schaum vor dem Mund reden.

Fühlen Sie sich als Opposition im Bund eigentlich manchmal überflüssig, wenn Sie sehen, wie die Ampel über viele Themen streitet?

Als Staatsbürger würde ich mir wünschen, dass die Bundesregierung sich bei wichtigen Themen einigen würde und dieses Land tatsächlich regiert. Die Sitzungswochen werden jedenfalls immer kürzer, weil es kaum noch parlamentarische Initiativen der Ampel-Koalition gibt.

Was müsste die Regierung denn am dringendsten anpacken?

Ein Thema, bei dem die Bundesregierung endlich die Zuschauerränge verlassen muss, ist das Thema Flüchtlinge. Wir erleben seit Monaten einen Zuzug von Geflüchteten, wie wir ihn nicht einmal 2015/2016 erlebt haben. Neben den ukrainischen Kriegsflüchtlingen kommen 30000 Menschen im Monat nach Deutschland. Und die Kommunen werden damit im Stich gelassen. Innenministerin Faeser veranstaltet Gipfelchen, die keine Ergebnisse bringen, weil sie keine einzige Sorge in den Kommunen lösen. Derweil duckt sich der Bundeskanzler vor seiner Verantwortung weg, anstatt das Heft des Handelns von seiner offenkundig überforderten Ministerin zu übernehmen.

Geld zumindest stellt der Bund doch bereit. Was fordern Sie konkret?

Die Kommunen sind am Limit. Es ist bewundernswert, wie sie die Situation bisher meistern. Sie sagen aber auch deutlich, dass sie dringend Unterstützung brauchen, um nicht nur die Unterbringung, sondern auch die Integration der geflüchteten Menschen zu bewerkstelligen. Es fehlt an Wohnungen, Kinder werden zum Teil seit Monaten nicht beschult, weil Personal und Schulplätze fehlen, ebenso wie Kitaplätze. Das hat zur Folge, dass vor allem Mütter keine Deutschkurse belegen können, weil die Kinder nicht betreut und versorgt werden. Die Kommunen haben mehr Geld gefordert, dem hat Innenministerin Faeser eine Absage erteilt. Die Bundesregierung muss dem Problem aber auch endlich strukturell begegnen. Etwa durch einen Turbo für den Ausbau von Infrastruktur durch Sondergenehmigungen für den Bau von Wohnraum, aber auch Schul- und Kitagebäuden. Auch Sonderabschreibungen könnten hier die nötigen Anreize bieten, um auch private Bauvorhaben anzukurbeln.

Wird es eine neue Debatte über Flüchtlings-Obergrenzen geben? Braucht es die?

Es wäre schon ein großer Schritt, wenn die Bundesregierung ihre eigenen Beschlüsse umsetzen würde. In ihrem Koalitionsvertrag hat sie eine Rückführungsoffensive angekündigt. Bisher hat sie lediglich einen Beauftragten eingesetzt. Wir haben für die Geflüchteten aus der Ukraine eine besondere Verantwortung. Der können wir nur gerecht werden, wenn wir dafür die nötigen Kapazitäten schaffen.

Wie soll das geschehen?

Grundsätzlich gilt: Wir brauchen Humanität und Ordnung. Humanität bedeutet, dass wir Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen, selbstverständlich bei uns aufnehmen. Ordnung bedeutet, dass diejenigen, die keinen Anspruch auf ein humanitäres Bleiberecht haben, Deutschland wieder verlassen müssen. Und dass wir die nötige Fachkräftesicherung nicht mit dem Asylrecht vermischen. Diese Trennung von Erwerbs- und Asyleinwanderung muss auch in der staatlichen Organisation besser getrennt werden. Ein Beispiel: In Berlin sind 3200 Moldawier ausreisepflichtig. Der bisherige Senat hatte keine Kraft sie auszuweisen. Stattdessen wohnen sie in Unterkünften, die dringend für ernsthaft schutzbedürftige Menschen benötigt werden.

Kanzler Olaf Scholz versammelt an diesem Wochenende seine Ministerinnen und Minister zur Klausur in Meseberg. Es könnte auch eine Einigung im Streit um die Kindergrundsicherung geben. Wie müsste die aussehen?

So war es angekündigt, aber zurzeit kann man ja gar nicht sicher sein, dass die Ampel darüber überhaupt beraten wird. Offenbar ist der parteipolitische Machtkampf so groß, dass man die wichtigsten Themen außen vor lässt. Das ist bedauerlich und verantwortungslos, denn das geht zulasten der Schwächsten in unserer Gesellschaft.

Was schlagen Sie denn vor?

Für uns gilt: Wenn wir den Teufelskreis der Kinderarmut durchbrechen wollen, dann müssen wir an die Strukturen heran. Denn Kinderarmut ist immer auch Bildungs- und Teilhabearmut. Das eigentliche Problem ist doch, dass Schulen, Träger der Familienhilfe und Behörden nicht in die Lage versetzt werden, optimal zum Wohle der Kinder zusammenzuarbeiten. Wir müssen die Schule als „Lotse im System“ verstehen. Die unionsgeführte Bundesregierung hatte mit ihrem Bildungs- und Teilhabepaket den richtigen Weg eingeschlagen. Aber wir müssen Leistungen einfacher nutzbar und sie frei von Ängsten zugänglich machen. Zum Beispiel über Familienbüros oder die Einführung einer Teilhabeapp, mit der die Kinder die Leistungen, die ihnen zustehen, unkompliziert bekommen – von der Nachhilfe bis zum Sportkurs. Einen strukturellen Graben kann man nicht allein mit Geld begradigen. Wir brauchen ein echtes Kinderchancenpaket.

Wieviel Geld sollte der Staat es sich kosten lassen, Kinderarmut zu bekämpfen?

Es zahlt sich langfristig aus, für gute Schulen, Lehrer und Teilhabe der Jüngsten zu investieren. Wir haben seit Langem einen Stamm von 2,7 Millionen Langzeitarbeitslosen. Es kommen jedes Jahr 50.000 hinzu, meist Jugendliche aus bildungsfernen Familien, die keinen Schulabschluss haben. Diese Kinder und Jugendlichen müssen doch eigentlich unsere Fachkräfte von morgen werden. Dazu müssen wir ihnen helfen, damit sie den oft generationsübergreifenden Armutsbiografien auch nachhaltig entwachsen können.

Muss sich die Ampel-Koalition entscheiden, ob sie die Bundeswehr aufgerüstet oder teure Sozialprojekte auf den Weg bringt?

Nein, es ist doch Quatsch, die sozialen Aufstiegschancen von Kindern und die äußere Sicherheit der Bundesrepublik gegeneinander auszuspielen. Diese Regierung hat in den letzten Monaten sehr viel Geld für unsinnige Projekte wie das Neun-Euro-Ticket oder den Tankrabatt ausgegeben. Ich kritisiere, dass die Ampel-Koalition keine Prioritäten setzt, sondern immer wieder auf das uninspirierte Gießkannenprinzip setzt. Ich empfehle: mehr Fokus auf das Wichtige und weniger finanzpolitische Spielereien und durchsichtige Klientelpolitik.

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