Während die Spannungen an der Ostflanke der Nato zunehmen, übernimmt Deutschland im Baltikum neue militärische Verantwortung. Die dauerhafte Stationierung von Truppen in Litauen markiert einen historischen Wandel in der Verteidigungspolitik. Ein Besuch.
Deutsche Soldaten in Litauen„Wenn der Krieg kommt, sind wir da“

Litauen, Vilnius: Bundeswehr-Soldaten stehen beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45.
Copyright: Michael Kappeler/dpa
Die Kaserne im litauischen Nemenčinė liegt eingebettet zwischen hohen Kiefern, in der Ferne glitzert ein See. Auf den ersten Blick wirkt der Ort idyllisch, beinahe friedlich. Mitten auf dem Gelände, das fast vollständig von einem Zaun umgeben ist, steht ein Panzer. Immer wieder öffnen sich die Türen des trist erscheinenden Eingangsgebäudes. Soldaten gehen ein und aus. Auf ihrem Oberarm: das Schwarz-Rot-Gold der Bundesrepublik.

Vilnius: Alfons Mais, Generalinspekteur des Heeres übergibt die Truppenfahne an Christoph Huber, Kommandeur der Panzerbrigade 45, beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45.
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Danny* ist einer von ihnen. Als Teil der Panzerbrigade 45 ist der 37-Jährige seit Oktober vergangenen Jahres in Litauen stationiert. Für den Soldaten nicht nur beruflich, sondern auch privat ein großer Schritt. Seine Ehefrau und seine zwei Kinder haben ihn in das bis dato unbekannte Land begleitet. Für den Einsatz hat sich Danny freiwillig gemeldet. Er ist hier, um zu dienen – in einem Nato-Partnerland, das geografisch näher an St. Petersburg liegt als an Berlin.
Leuchtturmprojekt der Zeitenwende: Verteidigung der NATO-Ostflanke
Als „Leuchtturmprojekt der Zeitenwende“ hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius die Stationierung angepriesen. Das Ziel: der Schutz und die Verstärkung der Nato-Ostflanke angesichts der Bedrohung durch Russland. Etwa 4800 Soldaten und 200 zivile Mitarbeiter sollen ihr angehören. Ein Präzedenzfall in der Geschichte der Bundeswehr – nie zuvor wurden so viele Soldaten dauerhaft im Ausland stationiert.
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„Wir sind hier, um jeden Zentimeter des Bündnisgebietes zu verteidigen“, erklärt Brigadegeneral Christoph Huber mit klarer Stimme. Seine Aussagen trifft er bei einem Besuch an seinem Arbeitsplatz mit Bedacht, so scheint es. Das Büro der Panzerbrigade 45 befindet sich im oberen Stockwerk eines modernen Bürokomplexes in der Hauptstadt Vilnius.
Immer wieder kreuzen Soldaten im Tarnanzug die Flure. „Durch den russischen Angriffskrieg hat sich die Sicherheitslage in Europa dramatisch zum Schlechteren verändert“, betont Huber. „Die Nato reagiert darauf nicht ohne Grund. Dieser Schutz ist wichtiger als je zuvor.“
Litauens Einstellung zum Krieg und seine Nähe zu Russland
Von der Dachterrasse lässt sich die Stadt überblicken. An Häusern und Straßenecken wehen Ukraineflaggen, auch die Natoflagge wird gezeigt. Die Einstellung der Litauer zum Krieg ist kaum zu übersehen.
Was sie von Putin halten, tun sie offen kund. Auf einem Hochhaus im Stadtteil Šnipiškės prangte noch bis vor wenigen Wochen ein Schild mit dem Schriftzug „Putin, The Hague is waiting for you“ [“Putin, Den Haag wartet auf dich“]. Im Museum der Besatzungen und Freiheitskämpfe befindet sich ein lebensgroßer Putin-Pappaufsteller – hinter Gittern in einer Zelle.

Ein Bundeswehrsoldat steht mit dem Patch der Litauen-Brigade beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 in der litauischen Hauptstadt.
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Mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern gilt Litauen dem deutschen Verteidigungsministerium zufolge als der gefährdetste Staat an der Ostflanke der Nato. 30 Kilometer trennen Vilnius von der belarussischen Grenze. Im Westen grenzt das Land an die russische Exklave Kaliningrad. Zwischen Kaliningrad im Westen und Belarus im Osten verläuft an der Grenze von Litauen und Polen ein schmaler Landkorridor – die Suwalki-Lücke. Um diese könnte es im Falle eines russischen Angriffs auf Nato-Länder zu Kämpfen kommen.
Infrastruktur für deutsche Soldaten und ihre Familien
Für die Soldaten und ihre Familien sollen Wohnquartiere entstehen, Kindergärten und Schulen gebaut sowie eine medizinische Versorgung gewährleistet werden. Für deren Aufbau erklärt sich Litauen verantwortlich. „Eine Mammutaufgabe“, sagt Huber. Soldat Danny hat derweil in der Nähe von Vilnius ein Haus gemietet. In der Küche riecht es hier nach Kaffee, in der Garderobe hängen die Jacken der zwei Kinder, die Familienkatze liegt auf dem Sofa – es sieht nach „Zuhause“ aus. Mindestens drei Jahre bleibt die Familie hier. Wenn möglich, gerne auch länger. In Litauen fühlen sie sich wohl. „Ich bin hier zufriedener als in Deutschland“, erzählt Danny. Diese Zufriedenheit steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Dass der Krieg nicht allzu weit entfernt ist, hat auch die Familie im Hinterkopf. „Aber wir lassen uns davon nicht einschränken und leben unser Leben ganz normal weiter“, erzählt Ehefrau Jacky*. Dass sie und die beiden Töchter mitziehen nach Litauen, stand nie zur Debatte.
Derzeit sind bereits etwa 300 deutsche Soldaten vor Ort. In Nemenčinė und Rokantiskes nutzen sie aktuell die bestehende Infrastruktur der litauischen Streitkräfte. Dies ist jedoch nur eine vorübergehende Lösung. Am künftigen Hauptstandort Rūdninkai, der nur rund zehn Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt liegt, sollen auf einem 170 Hektar großen Gelände des ehemaligen Übungsplatzes der sowjetischen Luftwaffe eine Kaserne und ein Truppenübungsplatz errichtet werden. Der Zeitplan werde eingehalten, sagt Brigadegeneral Huber an einem Frühlingstag.
Unterstützung und Zustimmung in Litauen
Luftbilder zeigen, dass die vorherige Waldfläche mittlerweile gerodet ist. Derzeit sollen die Bodenplatten verlegt werden. Auch die Arbeiten am künftigen Stationierungsort Rukla, nahe der Großstadt Kaunas, kommen wie geplant voran.
Für den großen Teil der Bauphase sollen noch in diesem Jahr Verträge abgeschlossen werden. Erst dann wird klar, ob der Plan auch weiterhin eingehalten werden kann. „Ich persönlich habe momentan keinerlei Anhaltspunkte, dass es zu Verzögerungen kommt“, ist sich der Brigadegeneral sicher.
Litauen selbst sieht sich im Epizentrum der russischen Bedrohung. „Seit der Invasion befinden wir uns in höchster Alarmbereitschaft“, erzählt der litauische Journalist Karolis Vyšniauskas. „Für die Litauer ist das mittlerweile eine neue Normalität geworden.“ Gleichzeitig gebe die Zugehörigkeit zur Nato und die Unterstützung anderer Länder der Bevölkerung Sicherheit.
Litauen ist kein großes Land, deshalb braucht es Unterstützung, so Vyšniauskas. „Die Litauer wissen es zu schätzen, wenn Länder wie Deutschland ihnen diese gewähren.“ Einer Umfrage der Lithuanian Armed Forces zufolge befürworten 82 Prozent der litauischen Bevölkerung den Einsatz der Brigade.
Positive Aufnahme und Freiwilligkeit bei Soldaten
„Die Leute sind hier sehr aufgeschlossen gegenüber dem Militär“, bestätigt auch Soldat Raphael*, der wie Danny im vergangenen Jahr nach Litauen versetzt wurde. Vom Land und seinem „Traumjob“ berichtet auch er in den höchsten Tönen. Dass ihm hier ein „Thank you for your service!“ hinterhergerufen wird, ist keine Seltenheit.
Bei der Rekrutierung setzt Verteidigungsminister Pistorius auf das Prinzip Freiwilligkeit. Bisher gab es sogar mehr Bewerber als momentan vorhandene Stellen. Auswählen konnte Huber dafür aus rund 1800 Freiwilligen. Das stimmt den General zuversichtlich, auch in Zukunft viele Soldaten für den Auftrag gewinnen zu können. Auch daran, dass die Brigade das Material erhält, lässt er keine Zweifel aufkommen. „Die Panzerbrigade hat absolute Priorität, und wir werden alles bekommen, was wir zur Erfüllung unseres Auftrags benötigen.“ Ob er das glaubt oder medienwirksam sagt, bleibt offen. Natürlich müssten immer wieder Anpassungen vorgenommen werden. „Es ist wichtig, dass wir auf den Krieg der Zukunft bestmöglich vorbereitet sind – nicht auf den Krieg der Vergangenheit.“
Aufbau und Übungen für die Einsatzbereitschaft
Die Panzerbrigade 45 ist am 1. April dieses Jahres offiziell in Dienst gestellt worden. Voll einsatzbereit soll sie im Jahr 2027 sein. Erste Übungen haben begonnen. Sie werden nach und nach verstärkt. Im kommenden Jahr folgen weitere große Übungen. „Damit erhöhen wir unsere eigene Professionalität und senden gleichzeitig ein klares Zeichen gegenüber Russland“, erklärt Huber. „Die Vorbereitung auf eine Verteidigung ist die beste Abschreckung.“
An der Kaserne in Nemenčinė fegt der Wind über den stillen See. Vor dem Gebäude wehen drei Flaggen – die litauische, die deutsche und die europäische. Fast wirken sie wie ein Versprechen, als Danny und Raphael davor stehend deutlich machen: „Wenn der Krieg kommt, dann sind wir da.“
Die geopolitische Bedrohung in Litauen ist real, spürbar, greifbar nah. Dass der Krieg sich ausweiten könnte, ist mittlerweile mehr als eine theoretische Möglichkeit. Das wissen auch die beiden Soldaten. Trotzdem sind sie hier – aus Überzeugung.
* Auf die Nennung der Nachnamen der Soldaten und der Angehörigen wird auf Wunsch der Bundeswehr verzichtet.