Berlin – Mario Draghi, der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), ist gestern mit dem Großkreuz des Bundesverdienstordens ausgezeichnet worden. Ausgerechnet der Mann also wird geehrt, der für die Niedrigzinsen im Euroraum verantwortlich ist – so sehen das viele Bürger in Deutschland.
Warum erhält Draghi das Bundesverdienstkreuz?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Ehrung Draghis damit begründet, dass der frühere Zentralbankchef „in stürmischen Zeiten den Euro und die Europäische Union zusammengehalten“ habe: „Damit haben Sie sich um Europa verdient gemacht. Und damit haben Sie – das sage ich ganz bewusst – auch meinem Land einen großen Dienst erwiesen.“Unabhängig davon ist es schlicht üblich, dass die Präsidenten der EZB nach ihrem Abgang von der Buindesrepublik geehrt werden. Auch Draghis Vorgänger Wim Duisenberg und Jean-Claude-Trichet erhielten das Großkreuz.
Was sagen Kritiker zu dieser Ehrung?
Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, sprach von einem „Schwarzen Freitag“ für die deutschen Sparer, die durch Draghis Zinspolitik viel Geld verloren hätten. Ähnlich sieht es Carsten Linnemann, Sprecher der CDU-Mittelstandsvereinigung: Die Auszeichnung könne „Wunden aufreißen“.
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Steinmeier ging darauf gestern indirekt ein. Kritik an der EZB sei legitim, sagte er: „Aber bitte in einer sachlichen Debatte mit Respekt und Anstand.“ Kritiker sollten sich übrigens fragen, was geschehen wäre, wenn die Eurozone zerbrochen wäre.
Warum hat Draghi die Zinsen so stark gesenkt?
Zunächst hatte die EZB die Zinsen gesenkt, weil sie in der Finanzkrise für ausreichend flüssiges Geld sorgen wollte. Sie blieb dann dabei, um die Unternehmen zur Aufnahme von Krediten anzuregen. Das sollte die Wirtschaft beleben und so die Inflationsrate steigen lassen, die eine Zeitlang nur knapp über null Prozent lag. Die Notenbank fürchtete eine Deflation, eine Preisspirale nach unten. Ihr Ziel, eine Teuerungsrate von knapp zwei Prozent, hat die EZB bisher nicht erreicht. Weltweit drücken Globalisierung und Digitalisierung auf die Preise. Nicht umsonst haben auch andere Notenbanken ihre Zinsen stark gesenkt.
Welche Folgen haben die niedrigen Leitzinsen?
Sie führen dazu, dass die Zinsen für Anleihen und Bankguthaben ebenso sinken wie für Kredite. Banken müssen für die Einlagen bei der EZB sogar Strafzinsen zahlen und geben sie diese mehr und mehr auch an Kunden mit hohen Guthaben weiter. Umgekehrt profitieren die Kreditnehmer, Staaten ebenso wie Unternehmen und Privatleute. Und: Sachanlagen wie Aktien und Immobilien werden teurer. Die Deutschen investieren hier aber im Vergleich zu anderen Europäern zurückhaltend, profitieren also entsprechend wenig von Wertsteigerungen.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Er nennt die Niedrigzinspolitik „ein notwendiges Übel“. Siee habe Preisstabilität und eine recht gut laufende Wirtschaft mit mehr Beschäftigung und steigenden Einkommen gebracht.
Waren die Zinsen in Vergangenheit jemals so niedrig?
Nominal betrachtet nein. Aber früher waren auch die Teuerungsraten höher. So gab es, darauf weist die Bundesbank immer wieder hin, auch bei hohen Nominalzinsen häufig Situationen, in denen die Sparer real Geld verloren. Die Zinsen glichen die Teuerung nicht aus.