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Politiker für Hitzeschutz„Andere Länder sind im Umgang mit Hitze deutlich weiter als wir“

6 min
Ein Mann geht durch den Wassernebel in der Südstadt. Unter dem Motto „Cooling Cologne“ bietet die Stadt Köln in der Südstadt die Möglichkeit für eine Abkühlung mit Schläuchen an, die feinen Wassernebel versprühen.

Ein Mann geht durch den Wassernebel in der Südstadt. Unter dem Motto „Cooling Cologne“ bietet die Stadt Köln in der Südstadt die Möglichkeit für eine Abkühlung mit Schläuchen an, die feinen Wassernebel versprühen.

 Tagelang ächzt Deutschland unter Temperaturen von bis zu 40 Grad – mit Folgen nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Gesundheit der Bürger. Auf landes- wie auf kommunalpolitischer Ebene werden die Rufe nach Konsequenzen lauter.

Kaffee gefällig? „Bei dem warmen Wetter lieber nicht, entwässert nur.“ Rodion Bakum (34) ist schon bei der Begrüßung gleich im Thema. Der SPD-Landtagsabgeordnete aus Mülheim ist einer von nur zwei Ärzten im 195-köpfigen Düsseldorfer Parlament. Bakum kümmert sich um Hitzeschutz als landespolitische Gesundheitsaufgabe, was in der Klimakrise längst kein Nischenthema mehr ist. Ein Gespräch mit Tobias Blasius.

Herr Bakum, Sie sind Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Wie kommen Sie dazu, sich politisch mit Hitze und Hautkrebs zu befassen?

Meine Beschäftigung mit der gesamten Themenpalette des Hitzeschutzes hat im Grunde mit einem persönlichen Interesse und einer politischen Beobachtung zu tun. Privat lese ich viele wissenschaftliche Veröffentlichungen und bin dabei immer wieder auf Gefahren im Umgang mit intensiver Sonnenstrahleinwirkung und hohen Temperaturen gestoßen. Als ich 2022 in den Landtag gewählt wurde, stellte ich schnell fest, dass hier die Klimakrise fast ausschließlich aus der Perspektive der Planetenrettung oder unter dem Aspekt einer für viele Menschen eher abstrakten Generationengerechtigkeit diskutiert wurde. Da wollte ich deutlich machen: Die Klimakrise ist kein Nischenthema für Weltverbesserer, es geht um unsere Gesundheit, und zwar ganz konkret hier und heute.

Sie sind mit dem Hitzeschutz-Thema eine Art politischer Saisonarbeiter: Nur wenn es sehr warm ist, gibt es Interesse an Ihren Forderungen…

Das Interesse steigt leider immer mit der Außentemperatur. Wenn es heiß ist, gibt es die größte politische Aufmerksamkeit für den Sonnen- und Hitzeschutz. Dabei wäre es aus ärztlicher Sicht ratsamer, auch zu anderen Jahreszeiten vor UV-Strahlen zu warnen. Eine große Gefahr für Hautkrebs besteht im Winter, weil es kleine Ozonlöcher gibt und wir uns nicht schützen. Da bekommen sie es aber nicht transportiert, weil es nicht heiß ist und die Leute nichts merken.

Warum ist Hitzeschutz für Sie überhaupt ein politisches Thema?

Es geht nicht darum, der Miesepeter zu sein, der bei schönem Wetter vor der Klimakrise als Gesundheitsrisiko warnt. Aber andere Länder sind im Umgang mit Hitze deutlich weiter als wir. Das fängt mit der Bürgerinformation an. In den Mittelmeer-Anrainern, aber auch bei unseren Nachbarn in den Niederlanden, gibt es viel mehr öffentliche Anzeigen zur Temperatur, UV-Belastung und Luftfeuchtigkeit. Viele Menschen vergessen zum Beispiel, dass wir bei hoher Luftfeuchtigkeit schlechter schwitzen können und schneller kollabieren.

Was fordern Sie konkret von der Landesregierung?

Das Land muss sich endlich dazu bekennen, dass Klimaschutz als Gesundheitsschutz eine Pflichtaufgabe für Kommunen wird und dann auch entsprechende Maßnahmen auf kommunaler Ebene aus dem Sondervermögen des Bundes mitfinanzieren. Es gibt im Landeszentrum für Gesundheit zwar eine Abteilung für hitzebezogenen Gesundheitsschutz, die Kommunen bei der Erarbeitung von Hitzeaktionsplänen hilft. Doch im letzten Jahr hatten nur 19 von 54 Städten und Kreisen überhaupt mal angefragt – und nur die Stadt Köln und der Kreis Kleve ein Hitzeschutzkonzept in der Umsetzung. Oft haben die Stadtverwaltungen halt noch zahlreiche andere Themen und schlicht kein Geld dafür.

Was kann die öffentliche Hand bei steigenden Temperaturen für das Wohl der Bürger tun?

Hitzegefahren müssen bei der Stadtplanung in Zukunft viel konsequenter mitgedacht werden. Bäume, Wasserflächen, Fassadenbegrünung, UV-abweisende Farben – das sind alles keine rein ästhetischen Fragen mehr, sondern sie sind im aufgeheizten Stadtklima bitter notwendig. Oder nehmen Sie öffentliche Trinkwasser-Brunnen, die in Südeuropa völlig normal sind. In NRW fehlen Kommunen oft die Mittel, solche Quellen anzubieten. In den Niederlanden haben sich öffentliche Sonnencreme-Spender etabliert, die daran erinnern, sich zu schützen.

Muss es der Staat nicht in der privaten Verantwortung belassen, einen Sonnenhut aufzusetzen und Lichtschutzfaktor aufzutragen?

Einfach laufen lassen ist für mich keine Option. Ich sehe in Deutschland zwei parallele Entwicklung: Immer mehr Kinder leiden unter Vitamin-D-Mangel, weil sie zu wenig an der frischen Luft sind. Gleichzeitig steigt die Hautkrebsrate, weil sich die Menschen zu häufig ungeschützt der Sonnenstrahlung aussetzen. Meine ärztliche Erfahrung ist, dass es in allen gesellschaftlichen Milieus sehr hohe Wissensdefizite gibt. Die Information über Sonnengefahren muss einfach aufbereitet sein. Wenn ich einkaufen gehe, sehe ich am Nutriscore, was gesund ist und was nicht. So müsste es auch beim Hitzeschutz sein: Wenn ich rausgehe und sehe, die öffentliche Hitze- und UV-Strahlenampel steht auf Gelb, wird mir bewusst, dass ich mich schützen muss.

Nehmen viele Menschen die Gefahren von erhöhter Sonnenstrahlung erst wahr, wenn die Hautkrebs-Diagnose da ist?

Dass man auch krank werden kann, weil man sich selbst nicht geschützt hat, wischt jeder Mensch gern beiseite. So sind wir alle. Mein Psychiatrie-Chef hat mal das psychologische Konzept der kognitiven Dissonanz so beschrieben: Wir steigen morgens in die zu eng gewordene Jeans und sind sicher, dass die Hose in der Wäsche eingelaufen ist, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass wir zugenommen haben. Gegen diesen kleinen täglichen Selbstbetrug kommt natürlich auch keine Politik an, aber wir können in NRW zumindest die Infrastruktur im Hitzeschutz deutlich verbessern.

Eine Ihrer politischen Initiativen endete vor zwei Jahren in der Schlagzeile: „SPD fordert Siesta“…

Das haben wir damals gar nicht getan. Wenn wir aber auf mediterrane Temperaturen zulaufen, die bis vor wenigen Jahren nur in Frankreich, Italien und Spanien normal waren, müssen wir über eine Anpassung der Arbeitszeiten diskutieren. Bauarbeiter oder Paketzusteller, die nicht im klimatisierten Büro sitzen, verdienen an extrem heißen Tagen einfach mehr Schutz.

Über Klimaanlagen würden sich auch viele Einrichtungen für vulnerable Gruppen wie Krankenhäuser und Pflegeheime freuen...

Das ist in der Tat eine weitere Investitionsaufgabe des Landes. Die Förderung von Klimaanlagen mit umweltschonender Technik in Alteneinrichtungen und Krankenhäusern wäre wichtig. Aus eigener Erfahrung als Arzt weiß ich: Außer dem OP und der Notaufnahme sind in vielen Krankenhäusern die Abteilungen nicht klimatisiert. Da können sie im Sommer nicht mal im Nachtdienst ein Auge zumachen.

Der Klimawandel wird seit vielen Jahren wissenschaftlich erforscht. Wie steht es um Ableitungen für den Gesundheitsschutz der heute lebenden Generationen?

Ich sehe da in NRW deutlich Luft nach oben. Ein Beispiel: Durch die Klimaveränderung verschieben sich die Lebensräume von Insekten und Schädlingen. Die Landesregierung in Sachsen-Anhalt hatte dazu die Forschung zur Verbreitung von Zecken und den zugehörigen Erkrankungen gefördert. Der Magdeburger Professor Antonios Katsounas arbeitet mittlerweile am Knappschaftskrankenhaus in Bochum, zusammen mit Professor Ali Canbay, bei dem ich selbst in Essen studiert habe. Es ist schon heute absehbar, dass wir durch die Hitzeentwicklung vermehrt Borreliose und FSME-Fälle haben werden. Hier Forschung, Behandlungs- und Therapieangebote zu fördern, wäre auch kluge Hitzeschutzpolitik.

Haben Sie als Arzt eigentlich einen Geheimtipp für heiße Tage?

Jedenfalls nichts Geheimes, aber ich glaube, dass viele Menschen nicht wissen, dass sie bei Hitze lieber etwas Körperwarmes trinken sollten. Die Beduinen konsumieren ja nicht zufällig Tee in der Wüste. Eiskalte Drinks, auf die wir uns an heißen Tagen so freuen, müssen im Magen erst wieder auf die Kerntemperatur von 36,5 Grad gebracht werden, was für den Körper Arbeit ist und uns noch mehr Schwitzen lässt.