Was ist vom neuen Papst Leo XIV. zu erwarten? Und welche Voraussetzungen bringt der bisherige Kardinal Robert Francis Prevost für seine neue Aufgabe mit? Fragen an den Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller von der Universität Münster.
Kirchenrechtler Schüller über Leo XIV.„Kardinäle haben einen Coup gelandet“

„Ja, das freut mich, dass wir einen Kirchenrechtler auf dem Stuhl Petri haben“: Prof. Thomas Schüller.
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Der neue Papst ist gebürtiger US-Amerikaner. Natürlich hat er Glückwünsche vom US-Präsidenten bekommen. Aber kann Donald Trump mit ihm glücklich sein? Und sein bekennend katholischer Vize JD Vance, von dessen eigenwilligem Verständnis von Nächstenliebe sich der Kardinal Prevost noch kürzlich distanziert hatte?
Nein, die beiden können nicht zufrieden sein. Die Kardinäle haben im Hinblick auf die Weltpolitik einen Coup gelandet. Sie haben eine äußerst kluge Wahl getroffen, denn Leo XIV. vertritt die Gegenposition zu Trumps Politik. Er betont die Weltgemeinschaft, die Geschwisterlichkeit aller Menschen, die gemeinsame Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung. Das könnte einen ähnlichen Schub auslösen wie damals die Wahl von Johannes Paul II. im kommunistisch regierten Polen. Robert Francis Prevost wurde in den USA geboren, hat zudem die peruanische Staatsangehörigkeit und europäische Wurzeln. Dass wir jetzt so jemanden haben, einen US-Amerikaner als Papst, der auch den reaktionären Teil des US-Episkopats zum Nachdenken bringen wird und diesem egozentrischen, narzisstischen Präsidenten Trump die Stirn bietet – das ist eine politisch äußerst kluge Wahl.
Viele Beobachter hatten ein schwieriges und möglicherweise langwieriges Konklave erwartet. Was vermuten Sie: Warum gelang die Einigung so außerordentlich schnell?
Ich vermute mehrere Faktoren. Erstens: Leo XIV. ist eindeutig ein Mann von Franziskus, der ihn ja erst vor zwei Jahren an die Kurie geholt und mit dem wichtigsten Amt dort betraut hat: Chef des Bischofsdikasteriums. Er war zuständig für die Suche nach neuen Bischöfen. Zweitens: Franziskus kannte ihn aus Lateinamerika, auch aus der dortigen Bischofskonferenz CELAM. Der Bischof und spätere Kardinal Prevost hatte das Profil der vielen neuen Bischöfe, die Franziskus von den Rändern der Welt berufen hat, aus Lateinamerika, Afrika, Asien: Nähe zu den Armen, Bewahrung der Schöpfung, Evangelisierung, dabei theologisch solide konservativ. Das ist wichtig, so kann er Brücken bauen. Drittens: die Gruppendynamik im Kardinalskollegium. Es ist gewiss nicht zu spekulativ, wenn man daran denkt, wie im Vorkonklave die Lateinamerikaner, mit den Asiaten, den Afrikanern gesprochen haben. Und ich glaube, dass die Kardinäle Christoph Schönborn und Walter Kasper wichtige Vermittlungsarbeit geleistet haben, vor dem eigentlichen Konklave, denn diese beiden sind ja nicht mehr wahlberechtigt. Schönborn hat ja schon gesagt, dass Prevost sein Favorit war.
Was ein Kirchenrechtler im Papstamt leisten kann
Der neue Papst ist Ihr Kollege, ehemaliger Professor für Kirchenrecht. Freut Sie das?
Ja, das freut mich, dass wir einen Kirchenrechtler auf dem Stuhl Petri haben. Ich erinnere an Paul VI. Das war der letzte Kirchenrechtler als Papst vor Leo XIV. Nach dem zweiten Vatikanum gab es eine gewaltige Aufbruchstimmung, aber niemand wusste, wie man die oft kompromisshaft und vage gehaltenen Texte jetzt in eine Rechtsform gießen könnte. Und Paul VI. hat das großartig gemacht. Jetzt haben wir das Projekt einer synodalen Kirche, das Franziskus bisher nur angekündigt hat mit einem Zeitablauf 2028. Leo XIV. mit seinem diplomatischen Talent könnte das in eine verbindliche rechtliche Form bringen. Dazu hat er alle nötigen Erfahrungen und Fähigkeiten.
Diplomatisches Talent, sagten Sie. Wird Leo XIV. vorsichtiger sein als der oft schroffe Franziskus?
Ja, ich glaube, dass er vorsichtiger und verbindlicher sein wird als Franziskus. Bei der Setzung innerkirchlicher Normen, aber auch nach außen. Die Welt brennt, wir haben Kriege, die Schöpfung geht zugrunde. Da wird er konzilianter als sein Vorgänger, in der Sache aber genauso entschieden auftreten. Er ist ein Glücksfall.
Und was wird aus dem synodalen Projekt und anderen innerkirchlichen Reformen?
Er wird das synodale Projekt ebenso fortführen wie das der Evangelisierung, der mutigen Weitergabe des Glaubens. Bei anderen, in Europa sehr stark betonten Themen wie Genderfragen und queeren Lebensrealitäten, etwa Homosexualität, da war er als Kardinal immer sehr zurückhaltend. Da wird er die Linie von Franziskus fortsetzen: Wir verurteilen die Menschen nicht, wir verhalten uns pastoral, barmherzig. Wirklich lehrmäßig neue Weichenstellungen wird er bei diesen Themen wohl nicht vornehmen. Das gilt auch für die Rolle von Frauen: Er wird weiter wie Franziskus Frauen in Leitungsämter berufen, denn er weiß als Kirchenrechtler, dass das auch ohne Weihe geht. Aber er wird niemals die Weihe von Frauen zulassen, denn er ist wie Franziskus der Auffassung, damit würde man sie nur unnötigerweise klerikalisieren. Das hat er wirklich so gesagt, da erwarte ich also keine Bewegung.
Die Europäer haben sich unter Franziskus ohnehin ein bisschen vernachlässigt gefühlt. Könnte sich das ändern?
Die Eltern des neuen Papstes kommen aus Europa, er hat französische, italienische und spanische Wurzeln. Ich glaube, dass er ein viel stärkeres Verständnis für Europa hat als sein europakritischer Vorgänger. Er ist durch seine Missionarstätigkeit in Peru zwar durch und durch lateinamerikanisch sozialisiert. Aber ich bin sicher, dass er auch mit den Europäern, die ja sehr unterschiedlich sind, sehr respektvoll umgeht. Im Unterschied zu seinem Vorgänger.