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Interview

Mützenich über Beziehungen zu Russland
„Man kann zu begrenzten Verabredungen kommen“

Lesezeit 3 Minuten
Rolf Mützenich bei einem Wahlkampf-Auftritt in seiner Heimatstadt Köln 2025. Von 2019 bis 2025 war der Kölner Abgeordnete SPD-Fraktionschef im Bundestag.

Rolf Mützenich bei einem Wahlkampf-Auftritt in seiner Heimatstadt Köln 2025. Von 2019 bis 2025 war der Kölner Abgeordnete SPD-Fraktionschef im Bundestag.

Nach einem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland kommen: Ein Manifest prominenter SPD-Politiker sorgt für Aufsehen. Der frühere SPD-Chef Rolf Mützenich sagt, warum ihn das wundert - und warum er neben Verteidigungsanstrengungen auch „über Wege zur Koexistenz und zu belastbaren Beziehungen“ nachdenken möchte.

Herr Mützenich, das außen- und sicherheitspolitische Manifest, das Sie mit weiteren prominenten Parteifreunden veröffentlicht haben, hat ganz schön für Aufsehen gesorgt …

Zu meiner Überraschung!

Warum Überraschung?

Weil wir so etwas schön öfter veröffentlicht und gesagt haben, ohne dass es auf großes Aufsehen gestoßen wäre. Aber vielleicht ist es jetzt ja an der Zeit.

Sie schreiben, nach dem Schweigen der Waffen in der Ukraine müsse man wieder ins Gespräch mit Russland kommen – auch über eine von allen getragene und respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung. Aber vom Schweigen der Waffen sind wir doch weit entfernt, Russland verlangt faktisch die Kapitulation der Ukraine. Gerade ist der Regimekritiker Lew Schlosberg festgenommen worden, der eine Waffenruhe forderte.

Das ist richtig. Das verkenne ich nicht. Aber es wäre auf der anderen Seite nicht angemessen, wenn man nicht immer wieder versuchen würde, zwar einerseits auf die notwendige Verteidigungsfähigkeit und die Unterstützung der Ukraine zu blicken, andererseits aber auch über Wege zur Koexistenz und zu belastbaren Beziehungen nachzudenken. Nichts anders wird in diesem Papier beschrieben.

Glauben Sie, dass das mit der aktuellen russischen Führung geht?

Es wird schwer. Anderseits wurde gerade wieder ein Gefangenenaustausch vereinbart, in der Vergangenheit gab es auch ein Abkommen über Getreidelieferungen. Man kann also zu begrenzten Verabredungen kommen. Die russische Führung hat das Völkerrecht gebrochen und Hunderttausende Tote zu verantworten. Das ist offensichtlich. Dies darf uns aber nicht daran hindern, weiterhin zu versuchen, perspektivisch eine europäische Sicherheitsordnung zu schaffen, die stabiler ist als das, was wir heute haben.

Es geht eben nicht nur um militärische Sicherheit, wir müssen auch politische Fragen beantworten.
Rolf Mützenich

Aber gerade die Erfahrung mit den Getreidelieferungen zeigt doch, wie wenig haltbar selbst solche Detailvereinbarungen sind. Es gibt russische Angriffe auf die Getreideverladung in Odessa, und dass die Ukraine exportieren kann, liegt doch daran, dass sie sich den Seeweg freigekämpft hat. Auch mit westlichen Waffen.

Das stelle ich doch gar nicht in Frage. Und die letzte, SPD-geführte Bundesregierung war an der militärischen Unterstützung aktiv beteiligt. Wir haben ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Wir waren nicht tatenlos. Trotzdem weise ich auch auf diese Vereinbarung hin, die in Istanbul auf den Weg gebracht wurde mit Hilfe verschiedener Regierungen und der Vereinten Nationen. Es geht eben nicht nur um militärische Sicherheit, wir müssen auch politische Fragen beantworten. Verteidigung und Kooperationsangebote – so stand es schon 1967, mitten im Kalten Krieg, im sogenannten Harmel-Bericht zur Lage der Nato.

Sie warnen in dem Papier vor einem Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg. Sind denn die Warnungen unter anderem vom BND aus der Luft gegriffen?

Die sind auf jeden Fall ernst zu nehmen. Die Aggression gegen die Ukraine und die aggressiven Töne gegenüber den Nachbarn Russlands beeinflussen die Diskussion. Ich erinnere aber an das Beispiel Helmut Schmidts. Der setzte die Stationierung von US-Mittelstrecken durch, aber verbunden mit dem Angebot von Gesprächen über Rüstungskontrolle. Jetzt sollen US-Mittelstreckenraketen kommen, aber es gab kein Gesprächsangebot. Ich bin nicht naiv, ich weiß auch nicht, ob Russland so ein Angebot akzeptieren würde. Aber demokratische Staaten müssen immer wieder versuchen, auch mit Mitteln der Kooperation und der Friedenspolitik, neue Türen zu öffnen.

Diese Waffen sind Systeme mit extrem kurzen Vorwarnzeiten, die den Primat der Politik erschweren.
Rolf Mützenich

Nun reden wir aktuell nicht über nukleare Mittelstreckenwaffen wie damals, sondern über konventionelle Waffen, die einen potenziellen Angreifer abschrecken sollen: Wenn Du glaubst, Nato-Territorium aus der Tiefe Deines Raumes mit Luftangriffen überziehen zu können, dann können wir Deine Basen ausschalten.

Aber Sie wissen doch auch, dass es heute keine klare Trennung mehr zwischen konventionell und nuklear bestückten Waffen gibt. Diese Waffen sind Systeme mit extrem kurzen Vorwarnzeiten, die den Primat der Politik erschweren. Dass das die Spannungen erhöht, wird ja nicht einmal von der US-Regierung bezweifelt.

Aber wenn Sie an Helmut Schmidt erinnern: Im russisch-ukrainischen Krieg gibt es doch das vom Westen unterstützte Angebot einer bedingungslosen Waffenruhe. Russland will sie nicht.

Ich weiß das. Aber es geht doch nicht nur darum, solche Angebote zu unterbreiten, sondern sie auch mit einer nachhaltigen Politik zu unterstützen, also das Militärische politisch einzubetten. Unser Papier bedeutet nicht einfach Kritik, sondern Unterstützung für solche Bemühungen.

Sie sind selbst ehemaliger SPD-Fraktionschef, einer ihrer prominentesten Parteifreunde ist Verteidigungsminister. Was macht so ein Papier da mit Ihrer Partei?

Es ist eine Diskussion, die wir in der SPD eigentlich schon immer geführt haben. Und auch Boris Pistorius hält solche Diskussionen für notwendig und begrüßt sie.

Aber Pistorius geht davon aus, dass wir in fünf bis sieben Jahren auf Ausgaben von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung und verteidigungsrelevante Infrastruktur kommen müssen.

Das ist aus Sicht des Verteidigungsministers natürlich nachvollziehbar. Aber das Geld, das so gebunden würde, stünde für andere Investitionen dann nicht mehr zur Verfügung. Darüber müssen wir reden.

Aber kommen wir darum herum? Die USA sagen uns klar, dass die Europäer künftig für ihre konventionelle Sicherheit selbst aufkommen müssen. Wie sollen wir das finanzieren?

Die Ankündigungen sind zweifellos da, aber bisher haben die USA ihr Engagement in Europa nicht eingeschränkt. Neu ist die Situation ohnehin nicht. Wir wissen seit Barack Obama, dass das US-Augenmerk sich viel stärker auf Asien richtet.

Aber müssen wir uns dann eben nicht darauf einstellen und mehr aufwenden, anstatt abzuwarten, was die USA wirklich tun werden? Müssen wir jetzt nicht etwas dafür tun, die Fähigkeiten selbst zu entwickeln, die wir bisher von den USA gestellt bekommen?

Ja, wir müssen diese Fähigkeiten haben, am besten gemeinsam in Europa. Anders als bei den Mittelstreckenraketen, die nur in Deutschland stationiert werden. Wir brauchen eine Lastenteilung in Europa. Und wir müssen darüber sprechen, wie die Verteidigungsausgaben gestemmt werden können und wir trotzdem in Wirtschaft und Arbeitsplätze investieren können. Denn das Geld ist nicht grenzenlos da.