NRW-Gesundheitsminister Laumann„Es darf keine Debatte sein um Mensch versus Profit“

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Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen

Kurz bevor er weiter in die Staatskanzlei muss, um das NRW-Kabinett über die aktuelle Corona-Lage zu informieren, empfängt Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in seinem Ministerium zum Interview – in einem Besprechungsraum mit dem vom Robert Koch-Institut empfohlenen Abstand. Mit Laumann sprach Maximilian Plück.

Herr Minister, wie stark schlagen sich die Maßnahmen zur Kontaktreduzierung schon in den Neuinfektionszahlen wieder?

Es geht voran, die Richtung stimmt. Ehe sich die Zahl der Infizierten verdoppelt, vergehen in NRW derzeit 11,1 Tage. Das ist ein Tag mehr als im Bundesschnitt. Wir haben rund 21 500 Infizierte, von denen 529 beatmet werden müssen. Bliebe es bei der derzeitigen Ansteckungsgeschwindigkeit, hätten wir Mitte Mai etwa 200 000 Infizierte und müssten wohl 5000 beatmen. Schaffen wir eine Streckung auf 16 Tage, wären es nur 97 000 Infizierte und etwas mehr als 2400 Beatmungspatienten. Wir tun derzeit alles, um die Beatmungskapazitäten auszubauen.

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Sie vergeben aber gleichzeitig Betten an Italiener, Franzosen und Niederländer, die jetzt bei uns behandelt werden.

Die sind aller Voraussicht nach wieder genesen, wenn bei uns der Höhepunkt der Erkrankungswelle einsetzt. Ich will mir nicht in der Rückschau von niederländischen Geschichtsbüchern vorwerfen lassen, dass es dort Todesraten von knapp unter zehn Prozent gab und in Westfalen ungenutzte Intensivbetten zur Verfügung standen. Da ist Solidarität gefragt, solange es die Kapazitäten zur Versorgung unserer eigenen Bevölkerung zulassen.

Werden all die Strukturen, die Sie jetzt aufbauen die Zeit der Krise überdauern?

Wir sind ja lange für unsere ausgeprägten Krankenhausstrukturen in Deutschland und insbesondere in NRW kritisiert worden. Jetzt machen sie sich bezahlt. Aber natürlich müssen wir zur Steigerung der Behandlungsqualität und in Zeiten knapper Ressourcen nach der Pandemie weiter zentralisieren und Kliniken mit Behandlungsschwerpunkten schaffen. Aber eine Krisenerkenntnis gibt es: In der Fläche werden wir weiter sehr starke Intensivstationen vorhalten müssen. Daran darf nicht gespart werden.

Wie viele Beatmungsplätze gibt es in NRW?

In den Kliniken haben wir fast 4800 Beatmungsplätze. Zudem lassen wir gerade prüfen, wie viele Narkosegeräte sich schnell in Beatmungsgeräte umfunktionieren lassen.

Die dann aber im Betrieb fehlen.

Wir haben doch schon heute schätzungsweise 30 bis 40 Prozent Leerstand in den Krankenhäusern, weil alle derzeit nicht notwendigen Operationen verschoben wurden. Diese Geräte stehen also zur Verfügung und sollten jetzt für die Vorbereitung des Ernstfalls identifiziert werden.

Wie lange müssen die Patienten in NRW im Schnitt beatmet werden?

Das ist individuell sehr unterschiedlich. Die Ärzte sagen mir aber, in der Regel 14 bis 21 Tage.

Wie hoch ist die Zahl der Genesenen?

Die Kommunen haben uns bislang 8500 gemeldet.

Müsste man stärker dazu übergehen, alle Menschen auf Antikörper zu testen?

Kurzfristig gibt es gar keine ausgereiften Tests dafür. Und selbst wenn: Wir stoßen mit dem Testen auch an Grenzen. Es liegt nicht am Geld oder Personal, sondern schlicht an Reagenzien. Die werden zwar in Deutschland produziert und das derzeit auch rund um die Uhr inklusive Wochenende, aber die Kapazitäten waren nicht für eine solche Zahl ausgelegt. Realistisch sind auf absehbare Zeit bundesweit Tests von 90 000 bis 100 000 am Tag möglich. Eine deutliche Steigerung halte ich für unrealistisch.

Wie hoch ist die Zahl der Toten in Nordrhein-Westfalen?

Wir haben aktuell 347 Tote. Mehr als die Hälfte davon sind älter als 80 Jahre. Wir haben es mit einem Virus zu tun, der betagte Menschen mit einer Vorerkrankung überdurchschnittlich hart trifft.

Es gibt schon erste Rufe, man müsse die Risikogruppe separieren und für die übrige Bevölkerung das normale Leben wieder langsam hochfahren. Wäre das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Die Pflegeheime sind ganz klar unsere Sorgenkinder. Wir müssen dort unter allen Umständen eine Ausbreitung verhindern – mit sehr weitreichenden Besuchsverboten und seit Neuestem auch mit weitreichenden Testungen von Bewohnern und Beschäftigten. Wir sehen aber leider auch, dass es selbst in exzellent geführten Häusern zu einer Ausbreitung kommen kann. Ungeachtet dessen können wir als Gesellschaft aber nicht einfach die Freiheitsrechte der älteren Generation über einen längeren Zeitraum aushebeln. Sie können es den 170 000 Menschen in unseren Pflegeheimen nicht zumuten, dass für sie über ein halbes oder ganzes Jahr hinweg ein Besuchsverbot gilt, sie weder Ehepartner, Kinder oder Enkel sehen können.

Was ist denn die Alternative zu diesem Besuchsverbot?

Ich habe ganz aktuell bei mehreren Wissenschaftlern Praxisvorschläge in Auftrag gegeben, wie wir das Leben in den Heimen trotz des Virus weiter aufrechterhalten können. Die Vorschläge werden schon in Kürze vorliegen und dann auch schnell umgesetzt. Wie auch immer geartete Besuche müssen wieder möglich sein. Andersherum müssen wir uns alle auch darüber im Klaren sein: Wir können es uns nicht leisten, die Wirtschaft dauerhaft auszubremsen. Jeder Rentner muss beispielsweise auch im Blick halten, dass genug Menschen arbeiten müssen, um die Rentenbeiträge zu bezahlen. Sonst haben wir hier bald ganz andere Diskussionen. Auch die enormen Ausgaben der Krankenkassen müssen gedeckt werden. Aber am Ende darf es keine Debatte sein Mensch versus Profit.

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