NRW-Schulministerin im Interview„Ich kann nicht jede Schule kontrollieren“

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Yvonne Gebauer

 Yvonne Gebauer (FDP), Schulministerin von Nordrhein-Westfalen.

Düsseldorf – Seit einem Jahr ist Yvonne Gebauer (FDP) jetzt nordrhein-westfälische Schulministerin. Mit Gebauer sprachen Kirsten Bialdiga und Frank Vollmer.

Frau Gebauer, an diesem Freitag beginnen die Sommerferien. In vielen Schulen findet aber schon seit Wochen kaum noch geregelter Unterricht statt. Was unternehmen Sie dagegen?

Diese Einschätzung teile ich nicht. Mein Ziel ist, dass Unterricht bis zum letzten Schultag spannend gestaltet wird. Aber ich kann und möchte auch nicht in jeder Schule kontrollieren, wie das vor Ort abläuft, sondern kann nur appellieren.

Bayern hat an Flughäfen Familien kontrolliert, ob sie mit ihren Kindern zu früh in die Ferien gestartet sind. Können Sie sich das auch für Nordrhein-Westfalen vorstellen?

Nein.

Warum nicht?

Das ist nicht unser Stil. Wenn Eltern aufgrund eines billigen Urlaubsflugs ihre Kinder früher aus der Schule nehmen, dann ist das ein Verstoß gegen die Schulpflicht und nicht akzeptabel. Wir gehen an den Flughäfen in NRW aber nicht auf die Pirsch nach Schulschwänzern.

Wer soll ein solches Verhalten dann sanktionieren? Niemand?

Die Schulen sollen Auffälligkeiten anzeigen. Das wird dann verfolgt, und von der Schulaufsicht kann ein empfindliches Bußgeld verhängt werden.

Ab dem neuen Schuljahr beteiligen sich alle Schulen an der Messung des Unterrichtsausfalls...

...alle außer den Förderschulen und den Berufskollegs ...

... wie gehen Sie dann mit den Schulen um, die besonders hohe Ausfallquoten haben?

Wir werden uns die Daten in aller Ruhe anschauen. Ab dem zweiten Halbjahr werden wir die Ergebnisse dann veröffentlichen, zugänglich für jedermann.

In welchem Turnus?

Alle drei Monate digital, jedes Halbjahr mit einem schriftlichen Bericht vonseiten des Schulministeriums, und die Schulen bekommen die Daten ebenfalls zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

Ich kann sehen, welche Schule welche Ausfallquote hatte?

Ja. Es besteht aber für die Schulen die Möglichkeit, Sondersituationen aufzuzeigen, wenn zum Beispiel mehrere Lehrerinnen gleichzeitig schwanger sind.

Die letzte offizielle Quote für den ersatzlos ausgefallenen Unterricht betrug 1,8 Prozent. Welches Ergebnis wäre für Sie mit der neuen Methode eine positive Überraschung?

Diese 1,8 Prozent wurden von mir und vielen anderen immer angezweifelt. Alles unter fünf Prozent wäre für mich eine positive Überraschung.

Was ist nun mit Schulen, an denen sehr viel Unterricht ausfällt?

Diese Schulen müssen wir gezielt unterstützen. Die Schulaufsicht wird das in Zukunft auf Grundlage unserer Erhebung noch deutlich besser können.

Der Landtag hat die Abkehr vom Turbo-Abi beschlossen. Haben Sie schon einen Überblick, wie viele Schulen bei G8 bleiben?

Nein, die genauen Zahlen kann es noch nicht geben. Die werden wir erst kennen, wenn die Schulen nach den Sommerferien entscheiden, ob sie der Leitentscheidung folgen und zu G9 zurückkehren oder bei G8 bleiben wollen.

Das G9-Gesetz gibt den Rahmen vor. Es sind aber noch viele Einzelfragen offen, auf deren Beantwortung die Schulen derzeit dringend warten. Künftig soll es an den Gymnasien zum Beispiel nach Klasse 10 eine Zwischenprüfung zum mittleren Schulabschluss geben. Warum dieser zusätzliche Aufwand?

Alle anderen Schulformen haben auch eine Prüfung in der Klasse 10. Ich möchte hier eine Vergleichbarkeit herstellen.

Aus den Eckpunkten zur Inklusion, die Sie jüngst vorgestellt haben, konnte man den Eindruck gewinnen: Gymnasien müssen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Handicap nur anbieten, wenn sie Lust dazu haben.

Es können alle Gymnasien Inklusion machen, die das wollen. Über 100 Gymnasien unterrichten derzeit auch inklusiv.

Und die, die nicht wollen, müssen auch nicht.

Die müssen auch nicht. Ich freue mich aber über jedes Gymnasium, das sich beteiligt.

Es soll auch die Möglichkeit geben, Förderschulen wiederaufzubauen. Dann fehlen aber doch an den Regelschulen noch mehr Sonderpädagogen als bisher schon. Verschärfen Sie die Lage damit nicht noch?

Nein. Wir bringen mit den neuen Standards jetzt Qualität an die Regelschulen und geben massiv neue Ressourcen dorthin. Die Formel dafür lautet: 25 Kinder in einer Klasse, davon drei mit Förderbedarf, und eine halbe Stelle zusätzlich pro Klasse. Wir schaffen rund 5800 zusätzliche Stellen bis 2025 und investieren dafür 1,4 Milliarden Euro.

An Regelschulen ohne gemeinsamen Unterricht sollen eigene Förderschulgruppen möglich sein. Da sind doch Hänseleien programmiert.

Warum? Ich halte eine solche Lösung für gelebte Inklusion, weil so Kinder aus den Förderschulgruppen permanent in Kontakt mit anderen Kindern aus Regelschulen kommen. Es gibt zum Beispiel einen gemeinsamen Pausenhof, die Kantine, Schulfeste und so weiter.

Läuft nicht Ihre Politik insgesamt dem Geist der Inklusion zuwider?

Nein, das weise ich entschieden zurück. Ich bekenne mich klar zur Inklusion als Menschenrecht, und wir werden diesen Weg der schulischen Inklusion auch weitergehen. Wir brauchen aber weiter Förderschulen, denn sie sind für manche Kinder der Ort, wo sie bestmöglich gefördert werden. Und das Wahlrecht der Eltern ist ein hohes Gut.

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