Moskaus Hardliner rasseln mal wieder mit dem Atom-Säbel. Experten rechnen derweil mit Attacken, aber nicht mit Nuklearwaffen.
„Es gibt keinen anderen Weg“Putin droht nach Angriff mit Vergeltung – Warnungen vor „barbarischer Rache“

Kremlchef Wladimir Putin hat in einem Gespräch mit US-Präsident Donald Trump eine Reaktion auf „Operation Spinnennetz“ angekündigt. (Archivbild)
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Welche Antwort folgt auf den ukrainischen Drohnen-Großangriff? Lange hat Kremlchef Wladimir Putin nach den jüngsten ukrainischen Erfolgen geschwiegen. Nach der verheerenden Attacke auf die russische Luftwaffe folgte ein Angriff auf die Krim-Brücke, die als eines der großen Prestigeprojekte des Kremlchefs gilt. Putin kommentierte auch diese Attacke nicht, ehe er am Mittwochnachmittag sein Schweigen brach.
Zunächst verzichtete der russische Präsident dabei allerdings darauf, die jüngsten Attacken zu erwähnen, sondern widmete sich ausführlich den zwei Zügen, die am Sonntag in Russland entgleist waren. Russland beschuldigt die Ukraine der Sabotage.
Wladimir Putin kündigt Vergeltung für „Operation Spinnennetz“ an
Diesen Kurs behielt auch Putin bei, sprach von „Terrorismus“, beschimpfte Wolodymyr Selenskyj als „verlottert“ und stellte erneut die Legitimität des ukrainischen Präsidenten infrage. Im gleichen Atemzug erteilte Putin einem Waffenstillstand und Gesprächen eine Absage.
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Der Grund für die Kommunikationspolitik des Kremlchefs scheint naheliegend: Putin spreche „ausschließlich über die Sabotageakte gegen die Eisenbahn in Kursk und Brjansk und nicht über die Luftwaffenstützpunkte“, weil es nach offizieller Lesart des Kremls bei dem ukrainischen Großangriff „keine Schäden“ gegeben habe, schrieb der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski dazu auf der Plattform X.
Donald Trump: „Putin hat erklärt, dass er reagieren muss“
Kurz nach seiner Wortmeldung telefoniert der Kremlchef dann am Mittwoch mit Donald Trump – und äußerte sich dabei nach Angaben des US-Präsidenten doch noch zu „Operation Spinnennetz“, dem ukrainischen Großangriff auf die russische Luftwaffe. „Präsident Putin hat mit Nachdruck erklärt, dass er auf den jüngsten Angriff auf die Flugplätze reagieren muss“, berichtete Trump.

Dutzende russische Flugzeuge wurden nach ukrainischen Angaben Opfer der „Operation Spinnennetz“ am Sonntag (1. Juni). (Archivbild)
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Damit ist auch klar: Der ukrainische Großangriff hat Russland empfindlich getroffen. Die russische Bevölkerung soll das jedoch offenbar nicht im Detail erfahren, darauf deutet das Verhalten des Kremls hin, der sich nach der Attacke zunächst ebenso schweigsam präsentierte wie Putin persönlich.
Warnung vor Vergeltungsangriff während Merz-Besuch bei Trump
Dass Moskau nach der Demütigung seiner Luftwaffe nicht auf eine Antwort verzichten wird, scheint nun allerdings auch klar zu sein. Auch in Brüssel scheint man mit einer massiven Antwort aus Moskau zu rechnen, wie „Bild“ am Donnerstag unter Bezug auf Regierungskreise berichtet. Besonders brisant: Putins Vergeltungsschlag könnte nach den Informationen der Boulevardzeitung noch während des Besuchs von Bundeskanzler Friedrich Merz in Washington gestartet werden.
In Russland drängen Hardliner unterdessen bereits seit Tagen auf eine massive Antwort aus Moskau. In den Telegram-Gruppen der Kriegsblogger und in den TV-Studios der russischen Propagandisten werden dabei erneut Atomschläge ins Spiel gebracht.
Putins Propagandisten rasseln mit dem Atom-Säbel
„Dies ist nicht nur ein Vorwand, sondern ein Grund, einen Atomschlag gegen die Ukraine zu starten“, hieß es etwa in einem populären Kanal, den bei Telegram mehr als eine Million Menschen abonniert haben. Der bekannte Kriegsblogger Alexander Kots forderte, dass Russland nun „mit aller Kraft zuschlagen muss, ungeachtet der Konsequenzen“, während der populäre TV-Moderator Wladimir Solowjow befand, dass „Operation Spinnennetz“ ein „Grund für einen Atomangriff“ gewesen sei.
Es gibt aber gemäßigtere Stimmen in der russischen Propaganda-Maschinerie: So mahnte der Politikanalyst Sergei Markow in dieser Woche zu Vorsicht. Der Einsatz von Atomwaffen werde Russland „zu einer echten politischen Isolation führen“, warnte Markow.
Atom-Drohungen aus Moskau sind nicht neu: „Politische Drohung“
Das atomare Säbelrasseln – ob bei Telegram, in TV-Studios oder sogar von Ex-Präsident Dmitri Medwedew – ist unterdessen nicht neu. Seit Kriegsbeginn hat Russland auf Rückschläge oder militärische Erfolge der Ukraine immer wieder mit schrillen Drohungen reagiert. Auch Atomschläge gegen Städte in Europa werden im russischen Staats-TV regelmäßig diskutiert. Den Worten folgten bisher jedoch nie Taten.
Die russischen Atomwaffen dienten dem Kreml vielmehr als Werkzeug zur „politischen Drohung“, hatte der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ bereits 2023 eingeordnet, was Moskau mit den schrillen Tönen bezweckt. Russland wolle damit eine „Form der Selbstabschreckung“ im Westen bewirken, erklärte Jäger. So wolle der Kreml die Verbündeten der Ukraine von weiterer Unterstützung des Landes abbringen. Die immer wieder angedrohte Gefahr „besteht aus meiner Sicht aber nicht“, stellte Jäger damals klar.
Trump-Gesandter warnt vor „Risiko“ – und bekommt Gegenwind
Gilt das auch nach „Operation Spinnennetz“? Der US-Sender CNN warnte nun in einer Analyse, dass die Zerstörung mehrere russischer Atombomber durch die Ukraine von Moskau als „Überschreiten der nuklearen Schwelle“ gewertet werden könnte. Auch der amerikanische Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, fand zuletzt mahnende Worte – und behauptete, durch den ukrainischen Angriff steige das „Risiko-Level“ für eine Eskalation.
Dafür bekam Kellogg prompt scharfen Gegenwind von einem Landsmann. „Können wir bitte echte Experten in diese Regierung holen, die verstehen, wer und was Russland ist?“, kommentierte der ehemalige Oberkommandierende der US-Armee in Europa, Ben Hodges, die Worte von Kellogg – und widersprach dem Trump-Mitarbeiter vehement. „Die Gefahr einer russischen Eskalation steigt eigentlich nur, wenn wir schwach und zögerlich sind und vor ihren Drohungen zittern“, erklärte der ehemalige Top-General der US-Armee.
Nato rechnet mit konventionellen Vergeltungsmaßnahmen
Auch bei der Nato rechnet man offenbar nicht mit einer kompletten Eskalation durch den Kreml. Russland werde zwar „sicherlich Vergeltungsmaßnahmen ergreifen“, zitierte das russische Exil-Medium „Moscow Times“ einen hochrangigen Beamten des Verteidigungsbündnisses, diese würden jedoch wahrscheinlich in stärkeren Luftangriffen resultieren, hieß es weiter.
„Russland wird dies nutzen, um weitere, schwerere Angriffe zu rechtfertigen und die Verhandlungen zu verzögern“, zitierte die „Moscow Times“ ihre Quelle weiter. Bei der Nato habe man zudem bereits Kenntnis über „Einzelheiten“ der geplanten russischen Vergeltungsmaßnahmen, könne diese aber noch nicht veröffentlichen, hieß es weiter. Grundsätzlich bestehe jedoch im Krieg aber „immer die Gefahr einer Eskalation“, fügte der Informant an.
„Putin hat oft gezeigt, dass er zu Rache greift“
Dass Putin auf den Großangriff auf seine Luftwaffe reagieren werde, ist derweil auch für den früheren russischen Vizeminister Wladimir Milow offensichtlich. Mit einem Atomschlag rechnet der ehemalige stellvertretende Energieminister, der Russland mittlerweile verlassen hat, jedoch ebenfalls nicht.
„Die Leute reden über den möglichen Einsatz von Atomwaffen und so weiter – ich glaube nicht, dass das zur Debatte steht“, sagte Milow gegenüber CNN. „Aber Putin hat schon oft gezeigt, dass er zu Rache greift.“ Der Kreml werde deshalb mit „barbarischen“ Angriffen mit konventionellen Raketen und Drohnen reagieren, die sich gegen die ukrainische Zivilbevölkerung richten werden, prognostizierte der ehemalige Kreml-Insider. „Es gibt keinen anderen Weg, denn Russland ist nicht in der Lage, eine massive Militäroffensive zu starten. Ihnen fehlt das nötige Personal“, fügte Milow an.