Rundschau-Debatte des TagesDrohen im Winter schärfere Corona-Maßnahmen?
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Ein auf dem Boden liegender Mundschutz (Symbolbild)
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Berlin – Angesichts der deutlich steigenden Corona-Infektionen raten viele Experten zum Impfen. Doch dies ging in Deutschland zuletzt nur noch schleppend voran. Bisher haben sich laut den offiziellen Daten knapp 70 Prozent mindestens eine Dosis gegen Covid-19 spritzen lassen. Gut 66 Prozent gelten als vollständig geimpft. Reicht das angesichts der Pandemie-Entwicklung? Die Inzidenz hat den Wert von 100 erreicht.
Herdenimmunität nicht realistisch
Der Anteil der Geimpften kann Erinnerungen wecken an die frühe Phase der Pandemie 2020: Damals hatten Fachleute davon gesprochen, dass zum Erreichen der Herdenimmunität ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung durch Impfung oder Infektion immun geworden sein müssten. Diese Schwelle wäre nun ungefähr erreicht – allerdings gilt die Annahme seit dem Aufkommen der ansteckenderen Delta-Variante als überholt. Heißt für den Einzelnen: Man kann sich nicht darauf verlassen, durch ein geimpftes Umfeld geschützt zu werden.
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Prognosen nur schwer möglich
Was kann also noch bevorstehen in diesem Herbst und Winter? Sind ein extrem steiler Anstieg der Fallzahlen-Kurve, ein anhaltender Anstieg bei den Patientenzahlen in Kliniken und ein erneuter Lockdown ausgeschlossen? Die Antworten, die Fachleute geben, lassen sich auf die kurze Formel bringen: Es ist gerade schwer vorherzusagen. Das liegt nicht nur an Daten-Unschärfen, etwa die Impfquote betreffend. Auch das Verhalten der Bevölkerung, politische Entscheidungen und etwaige Veränderungen des Virus ließen sich schwer abschätzen.
In jedem Fall bestehe noch eine Impflücke bei der am stärksten gefährdeten Gruppe über 60, erklärte Ralf Bartenschlager, Präsident der Gesellschaft für Virologie. Man müsse bedenken, dass in dieser Altersgruppe etwa 20 Prozent aller übermittelten Covid-19-Fälle stationär versorgt werden müssten. „Daher sollten wir sehr darauf achten, dass ältere Menschen geimpft sind und, wenn die vollständige Immunisierung bereits länger als sechs Monate zurückliegt, eine dritte Immunisierung erhalten.“ Bezogen auf die Gesamtbevölkerung haben mehr als 25 Millionen keinen Impfschutz – darunter 9,2 Millionen Kinder unter zwölf Jahren, für die es bislang in Europa keinen zugelassenen Impfstoff gibt.
In Österreich droht Lockdown für Ungeimpfte
Die Drohung mit einem Lockdown für Ungeimpfte soll in Österreich die Bereitschaft für eine schützende Injektion steigern. Ab 600 von Covid-Patienten belegten Intensivbetten darf diese Gruppe nach dem neuen Stufenplan der Regierung nicht mehr ohne triftigen Grund auf die Straße. Ab 500 belegten Intensivbetten ist ihr der Besuch von Lokalen, von Kultur- und Sportveranstaltungen sowie die Nutzung von Hotels untersagt. Es gebe noch zu viele „Zögerer und Zauderer“, sagte Kanzler Alexander Schallenberg mit Blick auf die Impf-Skeptiker. Die Schwelle von 600 wurde in der Pandemie nach Angaben der Zeitung „Kurier“ bisher zweimal erreicht.
Unterdessen setzt sich der Trend zu deutlich steigenden Corona-Zahlen fort. Binnen 24 Stunden wurden 3624 Neuinfektionen gezählt. Das sind 60 Prozent mehr als eine Woche zuvor. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100000 Einwohner kletterte auf 255. Zugleich blieb die Lage in den Kliniken stabil. Auf den Intensivstationen liegen rund 220 Menschen.
Kaum Spielraum bei Impfbereiten
Resultate der Cosmo-Erhebung, für die seit März 2020 regelmäßig 1000 Erwachsene befragt werden, lassen es fraglich erscheinen, ob die Impflücken geschlossen werden können: Demnach haben sich fast alle Impfbereiten unter 75 bereits die Spritzen geben lassen. Nur noch sechs Prozent seien impfbereit. „30 Prozent der Ungeimpften sind zögerlich, 64 Prozent sagen, sie wollen sich auf keinen Fall impfen lassen.“ Die RKI-Zielimpfquoten lauten: 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und 90 Prozent bei Über-60-Jährigen. Zudem werden Maske und Abstand bis zum Frühjahr empfohlen.
Infektionszahlen dürften steigen
In der Annahme, dass die Infektionszahlen nun im Herbst weiter deutlich steigen dürften, sind sich viele Experten einig. Die Zeit, in der sich die Menschen viel drinnen aufhalten, wo das Ansteckungsrisiko höher ist, hat schließlich begonnen. „Es wird sich sehr wahrscheinlich ein sehr heterogenes Bild in Deutschland zeigen“, erwartet Bartenschlager. RKI-Daten zeigen schon jetzt verschiedene Lagen je nach Bundesland, nicht nur bei Inzidenzen. Zwischen Spitzenreiter und Schlusslicht bei der Impfquote liegen satte 20 Prozentpunkte.
Der Immunologe Carsten Watzl zeigte sich trotzdem vorsichtig optimistisch angesichts der vom RKI vermuteten Untererfassung bei der Impfquote. „Wir könnten es mit den aktuellen Maßnahmen schaffen, gut durch den Winter zu kommen.“ Aber man müsse die Situation genau beobachten und Maßnahmen, etwa von 3G auf 2G verschärfen, sollte es einen deutlichen Anstieg der Krankenhausbelegung geben. (dpa)