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Russen mangelt es sogar an ZwiebelnWirtschaft macht Putin zunehmend Probleme – „Kartoffeldiktator“ als Vorbild?

Lesezeit 4 Minuten
Wladimir Putin lässt sich 2015 bei einem Besuch die Ernte zeigen. (Archivbild) Zehn Jahre später sind die Kartoffelpreise auf einem ganz anderen Niveau.

Wladimir Putin lässt sich 2015 bei einem Besuch die Ernte zeigen. (Archivbild) Zehn Jahre später sind die Kartoffelpreise auf einem ganz anderen Niveau. 

In Russland werden Kartoffeln allmählich zum Luxusgut, auch andere Wirtschaftszweige brechen ein. Wladimir Putin gesteht Probleme ein.

In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen. Das Defizit hat sogar Präsident Wladimir Putin bemerkt. „Es hat sich herausgestellt, dass uns Kartoffeln fehlen“, klagte der Kremlchef vor wenigen Wochen. Auch bei Zuckerrüben und einigen Gemüsesorten gebe es Engpässe, räumte er ein.

Zuvor waren die Preise für Kartoffeln in den russischen Geschäften durch die Decke gegangen. Innerhalb des letzten Jahres haben sie sich offiziellen Angaben nach fast verdreifacht, der Preis für Zwiebeln verdoppelt. Kohl kostet über 50 Prozent mehr als vor einem Jahr, hat die Statistikbehörde Rosstat ausgerechnet. Gefühlt ist der Anstieg noch höher.

Hohe Inflation drückt Lebensstandard der Russen

Etwas mehr als einen Euro mussten die Russen im Juni für ein Kilo Kartoffeln ausgeben. Bei Durchschnittseinkommen von laut Rosstat knapp 1.000 Euro vor Steuern und bei Renten von etwas mehr als 200 Euro ist das nicht wenig. Die anziehenden Lebensmittelpreise sind einer der Haupttreiber der Inflation in Russland. Derzeit liegt die laut Wirtschaftsministerium bei 9,6 Prozent. Wie die „Moscow Times“ berichtet, schwenken viele Russen auf Nudeln und Brot als Grundnahrungsmittel um.

Die Zentralbank versucht, die Inflation mit einem hohen Leitzins unter Kontrolle zu bekommen – derzeit sind es 20 Prozent. Das Kalkül dahinter: Wird es wegen der hohen Zinsen schwerer, Kredite aufzunehmen, sinkt die Geldmenge, die im Umlauf ist. Weniger Geld bedeutet weniger Nachfrage und sinkende Inflation.

Putins Probleme mit der Wirtschaft: „Dem Empfinden nach haben wir eine Rezession“

Doch damit ist Russland nun auf weitere Komplikationen gestoßen. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow hat auf Putins großer Schaubühne, dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg (SPIEF), ungewöhnlich deutlich vor Problemen für die einheimische Wirtschaft gewarnt: „Den Zahlen nach haben wir eine Abkühlung, den aktuellen Empfindungen der Unternehmer nach sind wir schon an der Grenze zum Übergang in eine Rezession“, sagte er.

Kartoffeln und Zwiebeln an einem Lebensmittelstand in Moskau. In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen.

Kartoffeln und Zwiebeln an einem Lebensmittelstand in Moskau. In Russland, dem Staat mit der potenziell größten Anbaufläche für Landwirtschaft, sind Kartoffeln und Zwiebeln ausgegangen.

Das derzeitige Zinsniveau demotiviere Unternehmer zu investieren, sagte Reschetnikow. Im dritten und vierten Quartal könnten die Investitionen nach Schätzung des Ministers unter dem Vorjahresniveau liegen.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte in einem Interview mit Iswestija auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg vor „dramatischen und rücksichtslosen“ Entscheidungen der Wirtschaftsbehörden. Diese seien gefährlich und inakzeptabel. Finanzminister Anton Siluanov gestand auf dem Forum laut Staatsagentur Tass ein, dass die russische Wirtschaft „abkühle“.

Zentralbankchefin: Ressourcen sind aufgebraucht

Zentralbankchefin Elvira Nabiullina prognostizierte ebenfalls Schwierigkeiten. „Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind, und wir müssen über ein neues Wachstumsmodell nachdenken“, sagte sie.

Wir müssen verstehen, dass viele dieser Ressourcen tatsächlich aufgebraucht sind.
Zentralbankchefin Elvira Nabiullina

In der Tat hat sich die russische Wirtschaft nach dem von Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine erstaunlich gut gehalten – trotz der westlichen Strafmaßnahmen. In erster Linie ist dies auf eine rigorose Umstellung der Wirtschaft auf Kriegsproduktion zurückzuführen. 

Rüstung boomt, viele zivile Sektoren kränkeln

Zivile Sektoren hingegen kränkeln seit geraumer Zeit. Sie kämpfen mit hohen Kosten, Personalmangel und technologischem Rückstand, der sich durch die Sanktionen nur noch manifestiert. Der Bau- und Immobiliensektor etwa ist stark in der Krise. Auch der Autobau stockt, seitdem westliche Produzenten und Zulieferer Russland den Rücken zugewendet haben. China verkauft zwar vermehrt Autos in Russland, produziert aber vor Ort nicht selbst.

Stillstand bei Automobilen

Der zum Tschemesow-Imperium gehörende Lada-Produzent Avtovaz konnte die von westlichen Autobauern hinterlassene Lücke nicht füllen. Auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg stellte der Konzern zwar sein neuestes Modell, den Lada Azimut, vor, der ab kommendem Jahr in Serienproduktion gehen soll. Doch in den Lagern stapeln sich noch die Vorgängermodelle wegen fehlender Nachfrage. Avtovaz prognostiziert auch für das Gesamtjahr einen Markteinbruch von 25 Prozent.

Krise auch beim Landmaschinenbauer Rostselmasch. Der Produzent von Mähdreschern und Traktoren hat gerade mehr als 15.000 Mitarbeiter in Zwangsurlaub geschickt. Schon im März wurde Kurzarbeit in der Fabrik angesetzt, im April wurden 2.000 Arbeiter entlassen.

Paradox: Auch Rostselmasch kann nicht vom weitgehenden Rückzug der westlichen Konkurrenz profitieren. Im Lager von Rostselmasch stauen sich 40 Prozent der Jahresproduktion. Den Bauern fehlt das Geld für neue Technik. Hohe Kreditzinsen und steigende Produktionskosten machen ihnen zu schaffen.

Wirtschaft lahmt: Bauern haben von Rekordernte in Russland nicht profitiert

Und das hat Auswirkungen auf die Ernte. Im ersten Kriegsjahr 2022 hatte Putin noch stolz von einer Rekordernte beim Getreide berichtet. In den vergangenen beiden Jahren sanken die Erträge jeweils.

Zwar hat der Kremlchef angeordnet, bis 2030 die Getreideernte auf 170 Millionen Tonnen und den Export auf 80 Millionen Tonnen hochzufahren. „Aber ausgehend von den jüngsten Tendenzen geht die Bewegung bei uns in die entgegengesetzte Richtung“, warnte der für den Agrarsektor verantwortliche Vizepremier Dmitri Patruschew. Dies müsse schnell korrigiert werden.

Immerhin hofft die Regierung auf eine bessere Ernte als im Vorjahr. Die Kartoffeln sollen dabei schon ab kommender Woche gerodet werden. Durch das steigende Angebot könnten die Preise vorläufig wieder fallen.

Ansonsten muss Putin auf das Rezept seines langjährigen Verbündeten zurückgreifen, des als „Kartoffeldiktator“ verschrienen Machthabers von Belarus, Alexander Lukaschenko. Der hatte seinen Untertanen vor ein paar Tagen empfohlen, Kartoffeln nur noch ein- oder maximal zweimal pro Woche zu essen. Ansonsten würden sie zu dick, sagte Lukaschenko, der selbst nicht als Leichtgewicht gilt. (pst mit dpa)