Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten wird womöglich auch das Kräfteverhältnis im Ukraine-Krieg verschieben. Moskau kann sich davon mehr erhoffen, als es befürchten muss.
Russland profitiertIsrael-Iran-Krieg könnte Kräfteverhältnis im Ukraine-Krieg verschieben

Die Telefonate zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin häufen sich.
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Die Telefonate zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin häufen sich. Am 14. Juni, Trumps 79. Geburtstag, sprachen die zwei Staatschefs erneut miteinander, nachdem sie erst zehn Tage zuvor zum Hörer gegriffen hatten. Es war das dritte Telefongespräch Trumps mit Putin innerhalb eines Monats und das fünfte in diesem Jahr.
Danach veröffentlichte das Weiße Haus eine Mitteilung zum Inhalt des Austausches, die man als Kritik an der Heuchelei des Kremls interpretieren konnte – wenn man wollte: Trump teilte mit, Putin habe ihn angerufen, um „mir zum Geburtstag zu gratulieren, aber vor allem, um über den Iran zu sprechen, ein Land, das er sehr gut kennt. Er ist wie ich der Meinung, dass der israelisch-iranische Krieg beendet werden sollte, worauf ich ihm erklärt habe, dass auch sein Krieg aufhören soll.“
Mit der letzten Bemerkung im Kontext mit der Aussage, dass Putin in Israel und im Iran Frieden wolle, nahm Trump – absichtlich oder nicht - Bezug auf die offenkundige Scheinheiligkeit Russlands. Denn das russische Außenministerium hatte Israels „unprovozierte Militärschläge“ auf „friedliche, schlafende Städte“ im Iran verurteilt, während die eigene Armee seit mehr als drei Jahren ukrainische Städte angreift, wobei Tausende Zivilisten getötet wurden, viele von ihnen bei nächtlichen Angriffen auf Wohnhäuser fernab der Front.
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Mögliche Sanktionen gegen Russland geraten in den Hintergrund
Den Tod unschuldiger Zivilisten im Iran vor Augen geführt zu bekommen, wird Moskau allerdings kaum dazu bewegen, die tödlichen Angriffe auf die Ukraine einzustellen – zumal der israelisch-iranische Krieg Russland in die Hände spielen könnte. Denn wie der Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 und der darauf folgende Gaza-Krieg lenken auch die Kämpfe zwischen Israel und dem Iran die Aufmerksamkeit des Westens von Russlands Einmarsch in die Ukraine ab - und das zu einem wichtigen Zeitpunkt.
Der ist gekommen, weil vor allem die Europäische Union (EU) im Augenblick darüber nachdenkt, ob sie härtere Sanktionen gegen Moskau verhängen soll als bislang. Kiew und die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs sind der Ansicht, dass Moskau nicht einmal an einem Waffenstillstand Interesse hat und versucht, den von Trump angestoßenen Friedensprozess in die Länge zu ziehen, um die Position der eigenen Streitkräfte auf dem Schlachtfeld zu verbessern, die langsam vorrücken.

Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Donald Trump (rechts) während eines bilateralen Treffens beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G20.
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Die Haltung der USA gegenüber Russland ist weniger eindeutig. Im US-Senat gibt es eine breite parteiübergreifende Mehrheit für die Verhängung weiterer Strafmaßnahmen gegen Russland: 80 oder 81 der 100 Senatoren, sowohl Republikaner als auch Demokraten, unterstützen einen Gesetzesentwurf, der ein neues, weitreichendes Sanktionspaket vorsieht. Das Gesetz muss allerdings von Präsident Trump unterschrieben werden, und der zeigte sich in der Frage bislang zurückhaltend.
Schon jetzt weniger westliche Flugabwehrmunition für die Ukraine
Entscheidungen über Sanktionen und andere Fragen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sollten denn auch eines der Kernthemen des G7-Gipfels in Kanada bilden. Doch nach der frühen Abreise Trumps konnten sich die G7 auf keine weiteren verschärften Sanktionen gegen Russland einigen. Das Thema wurde vom Israel-Iran-Krieg verdrängt, der Gegenstand einer Erklärung war, die auf dem Gipfel überraschend zustande kam.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war extra zum G7-Gipfel nach Kanada gereist, um mit Trump zu sprechen. Das Treffen fiel wegen der Abreise Trumps aus, und so konnte Selenskyj dem US-Präsidenten seine Sorgen nicht direkt ins Gesicht sagen: Am vergangenen Wochenende hatte er bereits die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass der Druck auf Russland wegen der Verschiebung der Aufmerksamkeit in den Nahen Osten nachlassen könnte. Er wies außerdem darauf hin, dass es bei den direkten Kämpfen, zu denen es zwischen Israel und dem Iran schon in der Vergangenheit gekommen ist, Verzögerungen bei der Militärhilfe für die Ukraine gegeben habe.
Das ukrainische Fachportal „Defense Express“ meldete in einem aktuellen Bericht, dass schon jetzt weniger Flugabwehrmunition für die Ukraine aus dem Westen zur Verfügung stehe. 20.000 Flugabwehrraketen für das US-Abwehrsystem Vampire, die nach Kiew geliefert werden sollten, seien stattdessen nach Israel gegangen.
Iran könnte als Waffenlieferant Moskaus ausfallen
Entsprechend wird in Moskau bereits darauf spekuliert, dass die Waffenhilfe der USA für die Ukraine nachlassen könnte: „Ein neuer Krieg im Nahen Osten wird nicht nur die Aufmerksamkeit der Welt (von Russlands Einmarsch in der Ukraine, Anm. d. Red.) ablenken, sondern wohl auch dazu beitragen, dass sich die Vereinigten Staaten endgültig auf die militärische Unterstützung Israels umorientieren“, schrieb Ruslan Puchow, Direktor des kremlnahen „Zentrums für die Analyse von Strategien und Technologien“, im offiziellen russischen Amtsblatt „Rossijskaja Gaseta“.
Andererseits könnte der Iran, der Russland bislang mit Shahed-Drohnen versorgt hat, als Waffenlieferant Moskaus ausfallen oder zumindest an Bedeutung verlieren. Allerdings stellt Russland eine eigene Variante der Shahed-Drohne inzwischen selbst in großer Stückzahl her und verwendet die Originaldrohne aus dem Iran nur noch zu einem kleineren Teil: „Ich denke, die Auswirkungen für Russland in der Ukraine werden im besten Fall gering sein, schrieb Hanna Notte, Leiterin das Eurasien-Programm des “James Martin Centers for Nonproliferation Studies” in den USA auf X.
Russland profitiert vom gestiegenen Ölpreis
Die Verschärfung des Nahost-Konflikts könnte für Russland aber auch abseits des unmittelbaren Kampfgeschehens in der Ukraine von Vorteil sein. Denn wie Analysten und Beobachter übereinstimmend hervorheben, wird Moskau vom steigenden Ölpreis ökonomisch profitieren, der als Folge der militärischen Eskalation zwischen Israel und dem Iran steil in die Höhe geschossen ist. Kostete ein Fass der russischen Sorte Urals Anfang Juni noch 54 US-Dollar, so war es am Dienstag mit 66,98 Dollar um 24 Prozent teurer. Die Exporteinnahmen Russlands, das Öl in großem Stil nach China und Indien liefert, dürften also deutlich steigen und Moskau die Finanzierung des Krieges in der Ukraine erleichtern.
Zudem versucht der Kreml, politisch gestärkt aus dem Konflikt zwischen Jerusalem und Teheran hervorzugehen. So hat sich Putin als Vermittler zwischen den Konfliktparteien angeboten. Das stieß bei den europäischen Regierungschefs beim G7-Gipfel auf Ablehnung: „Ich sehe persönlich nicht, dass der russische Staatspräsident in diesem Konflikt eine vermittelnde Rolle spielen könnte“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz nach seiner Ankunft in Kanada. Allerdings zeigt sich Donald Trump für die Idee offen, nachdem er Putin bereits Anfang Juni als Vermittler im Atomstreit mit Teheran ins Spiel gebracht hatte. In der Ukraine befeuert das die Sorge, dass Moskau die Situation dazu nutzen könnte, die USA stärker an sich zu binden und den Westen zu Ungunsten der Ukraine gegen einander auszuspielen. (rnd)