Köln – Am 4. September 1998 gründeten Larry Page und Sergey Brin die Firma Google Inc. Seit 20 Jahren gibt es die Suchmaschine also heute auf den Tag genau. Das Verb „googeln“ ist längst in den Duden aufgenommen, als Synonym für die Suche im Internet. Doch im Gespräch mit ihren Eltern, erfuhr unsere Autorin, dass ihre Eltern weiterhin ganz gut ohne Google leben können. Ein Gespräch mit Vater Willi (66) und Mutter Ilsemarie (63), beide Lehrer im Ruhestand.
Mama, als ich vergangene Woche herkam, lag ein Atlas auf dem Küchentisch. Ich habe dich gefragt, was du damit gemacht hast und du meintest, du hättest etwas nachgeguckt, um ein Rätsel zu lösen…
Mama Ja, man sollte in einem Buchstabensalat 33 Mittelmeerinseln finden. 13 habe ich so gefunden. Dann habe ich im Atlas nachgeguckt, welche es noch gibt.
Jeder andere, den ich kenne, hätte das vermutlich gegoogelt.
Mama Aber das ist meine gelernte Methode, einfach an Informationen zu kommen. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, das im Internet nachzugucken. Dann hätte ich ja erst den Computer anmachen und die richtige Seite suchen müssen. Das war mir zu lästig.
Wenn du ein Smartphone hättest, würde das schneller gehen.
Mama Das glaube ich nicht. Ich will auch kein Smartphone.
Warum nicht?
Mama Weil ich die Technik, die dahintersteht, nicht verstehe. Ich kann nur Vertrauen in etwas aufbauen, wenn ich wenigstens in Grundzügen weiß, worum es geht und was mit meinen Informationen passiert. Deshalb benutze ich Google nur ganz selten und wenn es sich vermeiden lässt, gar nicht.
Aber du hast schon mal gegoogelt?
Mama Ja, klar. Aber eigentlich nur irgendwelche Urlaubssachen.
Was würdest du sagen, wie oft im Monat benutzt du Google?
Mama So zwei bis fünf Mal. Manchmal nutze ich es auch einen ganzen Monat gar nicht.
Und wie ist das bei dir, Papa?
Papa Ich sehe das etwas lockerer. Am Handy gucke ich über Google zum Beispiel nach, wie das Wetter wird. Da interessiert die Mama sich dann auch für.
Ach, das interessiert sie?
Papa Ja, genau. Oder ich schaue nach den Bundesliga-Ergebnissen. Das Handy ist für mich sinnvoll, wenn ich schnell nachgucken will. Wenn ich etwas gefunden habe, gehe ich an den Computer – da ist der Bildschirm einfach größer.
Ich kenne es ja gar nicht anders, aber ich finde, dass es Google gibt, ist schon eine Erleichterung. Findest du das auch gut?
Papa Ich sage mal so: Das ist ein dummer Trottel, der mir schnell Informationen liefert. Wenn ich früher bestimmte Sachen gesucht habe, dann musste ich in den entsprechenden Büchern nachgucken. Das geht heute einfacher. Ich hatte zum Beispiel mal eine Abituraufgabe in Biologie, da war von einer bestimmten Substanz die Rede, die in keinem Lehrbuch stand, die hab ich dann gegoogelt. Das ist schon praktisch.
Wenn gerade etwas auf der Welt passiert, schaue ich oft auf Google-News. Da sieht man die aktuellsten Artikel aus den verschiedenen Medien. Macht ihr das auch?
Mama Ne, das machen wir im Videotext.
Papa Bevor ich abends ins Bett gehe, schalte ich schnell mal den Videotext ein, da kenne ich auch die Seiten auswendig. Auf Seite 120 stehen zum Beispiel die wichtigsten politischen Nachrichten und die kann ich dann in Ruhe in einer bestimmten Größe lesen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Macht ihr das so, weil ihr es gewöhnt seid? Videotext gab es in eurer Jugend ja auch noch nicht.
Mama Aber das haben wir gelernt, als wir noch jünger waren.
Papa Ich weiß oft gar nicht, wie man bestimmte Sachen am Handy einrichtet. Ein Bekannter hat mir zuletzt erzählt, dass man einen Reiseführer für Rheinland-Pfalz, wo wir ja öfter Urlaub machen, herunterladen kann. Das hab ich dann mit ihm zusammen gemacht.
Immerhin interessierst du dich dafür und fragst Leute, Papa. Du kommst gar nicht auf die Idee, dich damit zu beschäftigen, Mama.
Mama Ne, weil ich es unheimlich finde und nicht verstehe.
Aber verstehst du, wie das Festnetztelefon funktioniert, das du total viel benutzt?
Mama Natürlich verstehe ich das nicht im Detail, aber ich weiß zumindest, dass es Gesetze gibt, dass man ein Telefon nicht einfach abhören darf. Für das ganze Internetzeug gibt es ja kaum Regeln, da hantiert jeder, wie er will.
Mein Handy kann auch nicht einfach abgehört werden.
Papa Ich bin da auch vorsichtig. Ich würde sehr private Sachen wie Geldabsprachen nie per Mail oder Whatsapp verschicken.
Mama Der Papa macht das nicht, aber ich lese fast jeden kritischen Bericht in der Zeitung über Konzerne wie Google, Amazon und was die so angestellt haben. Das bestärkt mich in meiner Meinung, dass da vieles nicht richtig läuft.
„Ich vermisse nichts“
Das heißt, die Vorteile, die man durch Google hat, sind dir egal.
Mama Ich muss ehrlich sagen: Ich vermisse nichts.
Ich hab mal überlegt, was ich am häufigsten im Alltag googele. Ganz oft ist es so, dass mir nicht einfällt, wie ein Film oder ein Buch hieß. Mir lässt das dann keine Ruhe. Wie schaut ihr das nach?
Papa Zuletzt hab ich so einen alten Western gesehen, da hab ich mich gefragt, in welchem Film der Schauspieler noch mitgespielt hat. Aber ich wüsste gar nicht, wie ich das herausfinde.
Mama Wenn mir was nicht einfällt, dann sage ich das einfach.
Habt ihr gar nicht das Bedürfnis, das herauszufinden?
Mama Nö, es ist ja nicht lebenswichtig zu wissen, wo irgendein Schauspieler noch mitspielt. Aber wenn ich zum Beispiel in der Zeitung ein Wort lese, das ich nicht kenne, dann gucke ich im Lexikon oder im Duden nach.
Papa Dazu wäre ich mittlerweile zu faul.
Früher konnte man sich ja gar nicht entscheiden, ob man googelt oder nicht – weil es einfach nichts anderes gab. Wie habt ihr das in der Uni und im Job gemacht?
Papa Naja, in der Studienzeit hatten wir unsere Lehrbücher. Die wichtigsten kaufte man sich, obwohl die teuer waren. Aber die standen dann zu Hause und du konntest immer nachgucken und damit auch lernen.
Mama Du warst froh, wenn du vom Professor einen Tipp bekamst. Sonst hast du Stunden damit verbracht, in Büchern zu schauen, ob da zu deinem Thema etwas drin steht. Oft haben wir Bücher über die Fernleihe bestellt. Da konnte es sein, dass bei zehn Büchern fünf dabei waren, mit denen du gar nichts anfangen konntest.
Das könnte Sie auch interessieren:
So ähnlich war es bei mir auch: Ich war froh, wenn ich einen Tipp bekam. Zusätzlich hab ich natürlich Stichworte zu meinem Thema gegoogelt und so Bücher gefunden.
Papa Bei bestimmten Themen haben wir auch überlegt: Wer könnte dir da helfen? Ich hab mal ein Referat zum Thema Fremdenverkehr und Campingplätze gemacht. Dann habe ich den ADAC angeschrieben. Der hat mir einen Campingführer umsonst geschickt.
Wie lief es dann als Lehrer? Ihr musstet ja auch Informationen zusammensuchen, um den Unterricht vorzubereiten und zu aktualisieren. Wie habt ihr recherchiert?
Papa Wir waren früher Jäger und Sammler. Sobald irgendetwas in der Zeitung stand, was interessant für den Unterricht sein könnte, hab ich das ausgeschnitten und in die Unterrichtsvorbereitung einsortiert. Manchmal denke ich heute beim Zeitunglesen noch, dass ich was ausschneiden müsste.
Mama Ihr seid in einer anderen Welt groß geworden. Bei euch gab es das Internet und Google ja schon – zumindest in Ansätzen. Aber wir haben gelernt, so klar zu kommen. Und wir haben ja auch unseren Abschluss geschafft. Auch, wenn wir dafür vielleicht mehr Zeit aufgewendet haben. Ich denke, das Problem an der ganzen Sache ist, dass jeder von jedem erwartet, dass er mit Google arbeitet.
Ja, das stimmt: Die Tatsache, dass es schnell gehen kann, bedeutet, dass es schnell gehen muss.
Mama Wir mussten zwei Wochen warten bis das Buch ankam. Das fanden wir auch nicht schön, aber es ging halt nicht anders. Bei euch ist jede Information sofort verfügbar und ihr guckt alle fünf Minuten auf das Handy. Ihr könnt ja gar nicht sagen: Ne, jetzt bin ich mal einen Tag nicht erreichbar.
Dass Informationen sich so schnell verbreiten führt – vor allem in meinem Beruf dazu – dass alles viel schneller gehen muss. Wenn was passiert, dann muss die Nachricht so schnell wie möglich online sein. Ich merke: Wenn ich mir für einen Artikel ein paar Tage Zeit nehme, dann wird’s oft besser.
Mama Ja, deine Kollegen haben vor 30 oder 40 Jahren auch gute Artikel veröffentlicht.
Darüber habe ich mich mit einer Kollegin unterhalten. Ich hab gefragt: Wie seid ihr früher an Information gekommen? Sie meinte, sie musste oft zum Archiv und zur Korrektur laufen und Bücher wälzen.
Mama Aber du bist ja heute auch im Stress.
Papa Ich denke, durch die ganzen neuen Medien, ob das jetzt Fernsehen rund um die Uhr ist, oder Computer und Handys, ist alles schnelllebiger geworden. Die Leute versetzen sich heutzutage dauernd in Stress. Die gehen auf eine Veranstaltung und haben ihr Handy dabei, damit ihr Chef sie erreichen kann. Du guckst auch ständig etwas nach. Mein Handy liegt dahinten. Ich hab da zum letzten Mal heute Morgen draufgeschaut.
Ich glaube, dass man heute so mit Informationen zugeballert wird, ist für viele Leute ein Problem. Manche glauben ja, die Welt wäre schlechter als vor 20 Jahren.
Papa Ja, weil alles so vernetzt ist. Vor 20 Jahren gab es auch Krieg im Kongo. Aber das war weit weg. Früher hat es lange gedauert, bis eine Nachricht durchgesickert ist.
Wenn ich morgens auf mein Handy gucke, dann stehen da oft schon drei furchtbare Nachrichten.
Mama Du stumpfst auch ab, wenn du ständig damit konfrontiert wirst. Gerade wird doch jede Woche von den Flüchtlingen vor Italien berichtet, die ihre Schiffe nicht verlassen dürfen. Du kannst nicht mit jedem mitleiden. Das würde dich ja fertig machen.
Das ist ja eine Blase. Bei Google und den sozialen Netzwerken siehst du Dinge oben, die oft geklickt werden. Oder für die jemand viel Geld bezahlt hat. Dann denkt man, das sei das wichtigste Thema.
Papa Das wird gepusht, aber drei Tage später hörst du nichts mehr davon. Das war früher nicht so.
Mama Das ging ja auch gar nicht. Es gab die Tagezeitungen, drei Radiosender und erstes und zweites Programm. Kein Internet, kein Google. Und heute bieten Google und andere Plattformen Menschen wie Donald Trump die Möglichkeit, ihre Meinung so schnell und in diesem Ausmaß zu verbreiten – und damit andere zu beeinflussen.
Gleichzeitig hat man heute mehr Möglichkeiten, sich kritisch auf vielen Kanälen zu informieren und ein eigenes Resümee zu ziehen. Es kommt halt darauf an, wie man mit den Informationen umgeht.