Wenn Mama zum Chef renntErster Job des Kindes – wann Eltern sich einmischen dürfen und wann nicht

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Ein jugendlicher Sohn und seine Mutter bei einem Gespräch mit dem Chef

Wenn Mama mit zum Jobgespräch kommt, ist das nicht immer gern gesehen.

Wie eng sollten Eltern ihr fast erwachsenes Kind beim Berufsstart begleiten? Eine Ausbilderin und ein Erziehungsexperte geben Tipps.

Endlich erwachsen – oder? Für junge Menschen ist der Übergang von der Schule hin zur Ausbildung, in die Lehre oder ins Studium ein ganz wichtiger. Viele sind da gerade erst zwischen 16 und 18 Jahre alt. Und doch müssen sie nun vieles selbst angehen und bewältigen, was in der Schulzeit fest geregelt war oder ihnen abgenommen wurde. Doch wie viel Selbständigkeit ist eigentlich nötig, was sollte man im späten Jugendalter schon alleine können – und wo dürfen Eltern noch helfen?

„Mit 16 können viele kleine Dinge des Lebens schon alleine geregelt werden“, sagt Erziehungsexperte Ulric Ritzer-Sachs von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), „eine Krankmeldung abholen oder einen Arztbesuch telefonisch vereinbaren, das sollte ein junger Mensch zum Beispiel schon können.“ Für die ersten Schritte in den Beruf sind außerdem grundsätzliche Fähigkeiten gefragt, in der Arbeitswelt spricht man hier von der sogenannten Ausbildungsreife. Dazu zählen unter anderem, dass junge Menschen sich selbst organisieren, Regeln zuverlässig einhalten und Eigenverantwortung übernehmen können.

Ulric Ritzer-Sachs

Ulric Ritzer-Sachsist Sozialpädagoge und berät seit 15 Jahren Jugendliche und Eltern in der bke-Onlineberatung.

Arbeitgeber müssen Auszubildenden mehr helfen als früher

„Die Mehrzahl der Jugendlichen heute kann vieles davon schon gut“, sagt Ritzer-Sachs, „aber ich kenne auch total unreife 19-Jährige.“ Die Unterschiede seien groß. „In der Tendenz ist die Zahl der jungen Bewerber gestiegen, die noch nicht voll ausbildungsreif sind und noch Betreuung und Hilfe brauchen“, sagt Ulrike Bohner, sie ist Ausbildungsbeauftragte der HDI und dort, gemeinsam mit einer Kollegin, für rund 110 Auszubildende und Dual-Studierende im Alter ab 16 Jahren zuständig. Gerade bei den Jüngeren müssten sie als Arbeitgeber im ersten Ausbildungsjahr viel mehr Zeit investieren als noch vor zehn Jahren, um zentrale Fähigkeiten zu vermitteln.

„Gleichzeitig sind viele Bewerber heute sehr selbstbewusst, das hat in den letzten Jahren zugenommen.“ Nicht immer passe der selbstsichere Auftritt dann zu dem, was die jungen Leute tatsächlich könnten. „In manchen Fällen grenzt das an Selbstüberschätzung.“

Ulrike Bohner

Ulrike Bohner ist Ausbilderin bei der HDI in Köln und mitverantwortlich für rund 110 Azubis und Dual-Studierende im Rheinland und im Ruhrgebiet.

Viele junge Leute können nicht richtig kommunizieren

Was sie dagegen häufig vermisse, sei die Begeisterung für den gewählten Beruf. „Junge Menschen haben heute so viele Möglichkeiten, dass sie oft unentschlossen bleiben und dann nicht mit vollem Herzen dabei sind.“ Dabei sei gerade Engagement in der Ausbildung wahnsinnig wichtig. „Manche wissen jedoch gar nicht, was sie gut können und bei welchen Dingen ihr Herz aufgeht, sie haben nicht einmal ein Hobby, für das sie brennen.“ Sie empfehle jungen Menschen deshalb, im Rahmen der Berufsfindung das eigene Potenzial genau unter die Lupe zu nehmen.

Wenn man seine Begabungen und Ziele kenne, sei es auch leichter, eigene Vorstellungen zu vertreten. „Vielen jungen Menschen fehlt dagegen heute die Fähigkeit, richtig zu kommunizieren“, sagt Ulrike Bohner, „sie trauen sich zum Beispiel nicht, eine Rückmeldung zu geben, wenn sie etwas nicht verstehen oder ein Problem haben.“ Das berichteten ihr sowohl die Hochschulen als auch die Ausbilder. „Deshalb sind wir regelmäßig in Kontakt und Austausch mit den jungen Leuten, um sie zu begleiten. Wir machen das gerne, aber es ist schon ein Mehraufwand.“

Eltern fällt es schwer, ihr jugendliches Kind loszulassen

Warum aber fehlt es Jugendlichen heute oft an Selbständigkeit? „Manche haben so große Angst, selbständig zu werden, dass sie keine Lust darauf haben, es überhaupt zu versuchen“, sagt Ulric Ritzer-Sachs, „die meisten aber wollen gerne autonom sein und Dinge alleine tun – wenn die Eltern sie denn lassen.“ Denn ob es mit der Selbständigkeit in der Jugend klappe, das werde schon früh in der Erziehung angelegt. „Bereits ab dem Babyalter müssen Eltern ausbalancieren, wie viel sie ihrem Kind zutrauen können und wo es noch Unterstützung braucht.“

Und das setze sich in der Jugend fort. „Sie sollten zum richtigen Zeitpunkt loslassen und sich heraushalten können – genau das aber fällt vielen heute schwer.“ Das könne im Extremfall auch richtig schiefgehen: „Ich hatte eine 18-Jährige in der Beratung, die sich die Schuhe nicht binden konnten, weil das vorher immer Mama gemacht hat.“

Auf der anderen Seite gebe es auch Jugendliche, die viel zu früh in ihrem Leben alleingelassen werden. Orientierung und Zuspruch bräuchten nämlich auch fast erwachsene Kinder noch sehr. „Eltern dürfen auch dann nicht damit aufhören, sich für ihr Kind zu interessieren“, sagt Ritzer-Sachs, „gerade rund um den Berufsstart sollten sie es begleiten und bestärken.“ Um dabei die richtige Dosis zu finden, brauche es aber Fingerspitzengefühl. „Sie sollten ihr Kind fragen, welche Unterstützung es braucht, müssen aber auch akzeptieren, wenn es Dinge alleine machen will.“

Mit Rollenspielen in der Familie Jobsituationen simulieren

In der Erfahrung seien viele Jugendliche jedoch froh, wenn die Eltern ein bisschen Anschubhilfe leisteten und zum Beispiel bei der Bewerbung für einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz ihre Hilfe anböten. „Besonders Telefonieren ist für junge Menschen heute oft eine Hürde“, sagt Ritzer-Sachs, „solche Anrufe oder Bewerbungsgespräche lassen sich aber zu Hause in Rollenspielen gut üben.“ Dann mimten die Eltern den Arbeitgeber und das Kind schalte sich aus dem Nebenraum zu und übe Fragenstellen. „Das kann ja auch als Familie Spaß machen.“

Wichtig sei aber, die Eigeninitiative des Kindes zu unterstreichen. „Eltern sollten es nicht in rosa Watte packen, sondern es dazu befähigen, die wichtigen Schritte alleine zu gehen, also selbst die Bewerbung zu formulieren oder den Anruf zu tätigen.“ Nur so komme es weiter. „Ich glaube zudem, es ist für jeden Arbeitgeber beeindruckender, wenn ein Jugendlicher souverän alleine kommt, als wenn Mama dabei ist.“

Wenn das Kind Probleme im Job hat, mischen sich Eltern eher ein

Selbst wenn das Kind Probleme im Betrieb habe, sollten sich Eltern zunächst zurückhalten. „Wenn der Jugendliche zum Chef ‚Chill mal, Alter‘ gesagt hat, muss er selbst die Verantwortung für sein Handeln übernehmen und das in einem Gespräch ohne Eltern klären.“ Auch wenn es mit Papas Einwirkung vielleicht leichter wäre. „Es gibt aber auch Dinge, die man mit 16 oder 17 noch nicht unbedingt alleine regeln kann“, sagt Ritzer-Sachs, „wird das Kind im Betrieb gemobbt oder muss ständig nur Kaffee- und Botendienste machen, kann ein gemeinsames Gespräch zwischen Eltern und Arbeitgeber sinnvoll sein.“ Die Jugendlichen sollten aber immer beteiligt werden. „Es geht nicht, dass dann nur die Eltern alleine zum Chef rennen.“

Letztlich hängt es auch immer von der Situation und vom Anlass ab, wann Eltern sich einschalten sollten. „Je jünger unsere Bewerber sind, desto mehr bringen sich bei uns auch die Eltern regelmäßig mit ein“, sagt Ulrike Bohner, „und das finde ich auch gut und richtig.“ Sind die Kinder schon älter, hielten sich die Eltern erfahrungsgemäß zurück. „Nur bei Konflikten mischen sie sich doch eher mal ein und suchen eine Lösung bei uns als Arbeitgeber, weil sie ihr Kind schützen wollen.“ Manchmal fehle es ihnen dabei an Kritikfähigkeit dem eigenen Kind gegenüber.

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