„Hotel Mama“Wie man seine erwachsenen Kinder dazu bringt, von zuhause auszuziehen

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Für viele junge Erwachsene ist es bequem, möglichst lange bei den Eltern wohnen zu bleiben.  

Köln – Es gibt Jugendliche, die können es kaum erwarten, von zuhause auszuziehen und ihr eigenes Leben zu leben. Aber es gibt auch solche, die bis Mitte 20 (oder sogar noch länger) bei ihren Eltern wohnen. Sie verstehen sich gut mit ihnen, haben genug Platz und Freiheit und gleichzeitig Halt und Fürsorge. Praktisch und bequem. Doch was ist, wenn Eltern gerne möchten, dass ihr Kind das gemütliche Nest verlässt? Und gibt es ein Alter, zu dem man spätestens auf eigenen Beinen stehen sollte?

Wann junge Menschen von zuhause ausziehen, hängt zum einen damit zusammen, wie gut sie sich mit den Eltern verstehen, zum anderen davon, wo sie studieren oder eine Ausbildung machen. Zudem entscheiden auch die finanziellen Möglichkeiten darüber, ob ein junger Erwachsener sich eine eigene Wohnung oder ein WG-Zimmer leisten kann. Denn solange das Kind noch unterhaltsberechtigt ist, müssen die Eltern dessen Wohnung finanziell mittragen. Bis zur Volljährigkeit haben Eltern zudem das Erziehungsrecht. Dieses schließt auch das sogenannte „Aufenthaltsbestimmungsrecht“ ein, wonach die Eltern bestimmen können, wo das Kind wohnt. Erst mit 18 kann es auch ohne Zustimmung der Eltern von zuhause ausziehen. Allerdings wohnen die meisten jungen Erwachsenen deutlich länger bei ihren Eltern.

Söhne bleiben länger zuhause wohnen als Töchter

In Deutschland betrug das durchschnittliche Alter beim Auszug aus dem Elternhaus 2020 bei Frauen 23,0 Jahre, bei Männern 24,6. Im EU-Durchschnitt lag das durchschnittliche Auszugsalter von Frauen bei 25,4 Jahren und Männern bei 27,4 Jahren, wie Statista im Januar 2022 mitteilte. Im Jahr 2020 lebte dem Statistischen Bundesamt zufolge mehr als ein Viertel (28 Prozent) der 25-Jährigen in Deutschland noch im elterlichen Haushalt. Die Söhne lassen sich mit dem Auszug besonders viel Zeit: Im Alter von 25 Jahren lebten noch gut jeder Dritte (35 Prozent) bei den Eltern. Bei den Töchtern war es gut jede Fünfte (21 Prozent).

Alles zum Thema Bundeskonferenz für Erziehungsberatung

Im europäischen Vergleich sind die jungen Erwachsenen in Deutschland noch recht früh dran. Nach Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen Union lag das durchschnittliche Alter beim Auszug aus dem Elternhaus in Deutschland 2020 mit 23,8 Jahren etwas niedriger als im EU-Durchschnitt (26,4). Vor allem in den nordeuropäischen Ländern ziehen Kinder früh von zu Hause aus. Mit 17,5 Jahren hatte Schweden das niedrigste Auszugsalter. Auch in Dänemark (21,2 Jahre) und Finnland (22,0 Jahre) verließen Kinder das Elternhaus vergleichsweise früh. Im Gegensatz dazu ist das Auszugsalter in den süd- und osteuropäischen Ländern vergleichsweise hoch. Der höchste durchschnittliche Wert wurde mit 32,4 Jahren in Kroatien gemessen. Aber auch in der Slowakei (30,9), in Italien und Malta (je 30,2) sowie Portugal (30,0) zogen Kinder spät bei den Eltern aus. Überall in der EU, mit Ausnahme Schwedens, zogen Töchter früher aus als Söhne.

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Wie bringt man seine erwachsenen Kinder dazu, sich eine Wohnung zu suchen?

Damit sich die Kinder nicht herausgeworfen fühlen, sollten Eltern mit ihnen in Ruhe über das Thema Auszug sprechen. „Wenn die Kinder so lange zuhause bleiben, sollte man davon ausgehen können, dass der Kontakt zu den Eltern so gut ist, dass man vernünftig miteinander reden kann“, meint die Sozialpädagogin und systemische Familientherapeutin Dorothea Jung von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke).

Zur Person

Dorothea Jung ist Diplom-Sozialpädagogin, systemische Familientherapeutin und fachliche Leiterin der Online-Beratung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke). Hier können sich alle Eltern mit Kindern bis zum Alter von 21 Jahren mit Fragen rund um Schule und Erziehung hinwenden – anonym und kostenfrei. 

Sie schlägt für das Gespräch Fragen wie diese vor: „Was meinst du, ist es nicht langsam Zeit, auszuziehen? Du bist doch jetzt alt genug und selbstständig. Ich traue dir das zu“ und rät: „Machen Sie Ihrem Kind Mut! Motivieren Sie es, auf eigene Beine zu kommen!“ Anschließend sollte gemeinsam besprochen werden, was sich das Kind vorstellen kann, was der nächste Schritt wäre, was das Kind dafür benötigt und wie man es als Eltern unterstützen kann. Für den Anfang ist eine Wohngemeinschaft gut geeignet, weil man dort nicht alleine ist und weniger Miete zahlen muss. Nach Jungs Ansicht sollten die Kinder spätestens nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung alleine wohnen.

Und umgekehrt? Wenn die Eltern nicht wollen, dass das Kind auszieht?

„Wenn Eltern nicht möchten, dass das eigene Kind das Nest verlässt und es bedingungslos gut finden, dass es noch zuhause wohnt, dann sollten sie sich fragen, ob sie vielleicht Angst vor dem Alleinsein haben. Das ist dann ein Problem der Eltern und nicht des Jugendlichen“, gibt Jung zu bedenken. Eltern sollten deshalb schon im Vorfeld anderen Dingen in ihrem Leben wieder mehr Platz geben. Das könne besonders für alleinerziehende Mütter schwierig werden, doch auch Partnerschaften müssten sich neu strukturieren, wenn keine Kinder mehr im Haus sind. Die Eltern müssten jeweils für sich selbst und für sich als Paar Verantwortung übernehmen. „Dazu gehört auch der Schritt, dass Kinder erwachsen werden und das Elternhaus verlassen. Eltern sollten lernen, das Kind auch gehen lassen zu können“, sagt Jung. Wenn das noch schwer fällt, hilft vielleicht diese Erfahrung von Dorothea Jung: „Oft ist es so, dass sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern verbessert, wenn die nervigen Kleinigkeiten und Streitereien des alltäglichen Zusammenlebens nicht mehr da sind. Eltern und Kinder kommen dann viel besser miteinander klar, wenn sie getrennte Wohnungen haben.“ 

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