Psychologische Begriffe sind überall. Hilft das bei der Enttabuisierung oder wird Leiden verharmlost? Wir haben eine Psychotherapeutin gefragt.
Psychotherapeutin„Viele wissen gar nicht, was ‚toxisch‘ oder ‚Narzisst‘ bedeutet – und benutzen es trotzdem“
„Das hat mich echt total getriggert! Aber die Beziehung zu diesem Narzissten war auch echt toxisch!“ Solche Sätze hätten wohl vor einigen Jahren noch viele Fragezeichen hinterlassen – heute fallen sie auf Partys, unter Freunden oder in Social Media ständig. Aber woher kommt der Hype, mit Begriffen aus der Psychologie um sich zu werfen? Und wie verändert das den Blick auf echte psychische Krankheiten? Psychotherapeutin Désirée Beumers im Gespräch.
Narzisst, Trauma, Triggern, toxisch: Warum werden solche Ausdrücke heute so oft genutzt?
Désirée Beumers: Ich glaube, das ist ein Mittel zur Identifizierung. Gefühle, Zustände und Probleme lassen sich dadurch scheinbar erklären. Und die Begriffe schaffen auch Verbindung: Wenn mehrere Leute ein Trauma erlebt haben oder einen Narzissten kennen und dann darüber berichten, fühlen sie sich über das ähnliche Erlebnis miteinander verbunden.
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Welche positiven Effekte kann das haben?
Wenn psychologische Themen zunehmend auch in der Öffentlichkeit besprochen werden, hat das eine entstigmatisierende Wirkung. Diagnosen und Therapien verlieren dadurch ein wenig ihren Schrecken. Es ist heute viel normaler geworden, über solche Dinge zu sprechen. Ich arbeite mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen und sie tauschen sich in den Gruppentherapien ganz offen und angstfrei über ihre psychische Verfassung aus. Ich finde das beeindruckend.
Aber wird heute nicht viel zu schnell mit Diagnosen um sich geworfen – weil man sich irgendwie wichtigmachen will?
Ich würde das nicht so hart bewerten, aber es geht sicher auch ums Gesehenwerden. Manchmal möchten Leute ihrer Persönlichkeit mit einer Selbstdiagnose auch einen kleinen Schnörkel geben. Dann stellt sich mir aber auch die Frage, ob hinter solch einem Verhalten nicht doch eine andere Krankheit steckt. Es ist ja zumindest auffällig, wenn jemand so etwas erfindet.
Wie wirkt sich die inflationäre Benutzung solcher Begriffe auf die Menschen aus, die tatsächlich eine Diagnose haben?
Viele Begriffe werden so leichtfertig verwendet, dass dadurch Dinge bagatellisiert werden. Dann heißt es: Wenn jeder anscheinend schon einmal ein Trauma hatte, kann so eine Traumafolgestörung ja nichts Wildes sein. Wenn der Begriff „Narzisst“ wie Konfetti herumgeschmissen wird, ist es für jene Menschen, die wirklich unter einem narzisstischen Partner leiden, ganz schwer, weil es eben nicht mehr so richtig ernst genommen wird.
Werden psychologische Begriffe auch einfach falsch benutzt?
Ja, sehr oft wissen diejenigen, die die Begriffe benutzen, gar nicht, was sie bedeuten. Dadurch entstehen Fehleinschätzungen und falsche Annahmen. Zum Beispiel glauben viele, dass jeder doofe Unsympath ein Narzisst ist. Das ist natürlich falsch. Jeder Mensch hat narzisstische Anteile, in einem gesunden Ausmaß ist das auch gut und wichtig. Es geht hier darum, wann es krankhaft wird.
Dass Begriffe falsch benutzt werden, ist aber kein neues Phänomen. Zum Beispiel verwenden die Menschen schon seit langem den Begriff „Platzangst“ falsch – das bedeutet nämlich nicht Furcht in engen Räumen, sondern Angst vor weiten Plätzen. Auch der Begriff „Mobbing“ wird heute leichtfertig gebraucht, wenn ein Kind mal geärgert wird – dabei beschreibt er eigentlich ein systematisches, über einen langen Zeitraum existierendes Phänomen.
Welche Folgen kann so ein Halbwissen haben?
Es entstehen Vorurteile, die mit Diagnosen einhergehen. Viele haben zum Beispiel ein vorgefertigtes Bild im Kopf, wie ein Autist sich verhält, dann denken sie an Sheldon aus „The Big Bang Theory“. Geht es um eine Zwangsstörung, kommt vielen „Monk“ aus der gleichnamigen Serie in den Sinn – dann heißt es sogar „benimm dich nicht so monkig“, wenn jemand bestimmte Verhaltensweisen zeigt. In der Realität können Zwangsstörungen oder eine Autismus-Spektrums-Störung ganz unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Bekommt jemand eine solche Diagnose, ist er aber oft mit jenen Vorstellungen konfrontiert, die Laien aus einer TV-Sendung haben.
Wie verändert das Ihre Arbeit als Psychotherapeutin?
Im Privatleben begegnen mir einige Hobby-Psychologen, die meinen, alles über die menschliche Psyche zu wissen – das ärgert mich manchmal. Und in meine Praxis kommen immer wieder Patienten mit einer Selbstdiagnose und ich muss sie enttäuschen, weil sie etwas anderes haben. Für sie sind das oft frustrierende Momente. Denn sie wünschen sich lieber die eigens verordnete Diagnose, weil sie sich darüber schon identifizieren und sie das ja bereits in ihrem Freundeskreis erzählt haben.
Aus dem Kollegenkreis höre ich zudem oft von Eltern, die sich etwa die Diagnose ADHS wünschen, damit sie quasi aus der Verantwortung genommen sind. Ich kann auch gut nachvollziehen, dass man sich eine Erklärung wünscht. Schwierig wird es, wenn es als Entschuldigung und Freibrief verwendet wird.
Oder auch, wenn man eine Diagnose zu laut nach außen trägt?
Ja, es kann gefährlich werden, wenn man mit einer Diagnose kokettiert oder sich zu sehr damit identifiziert. Ich habe eine Weile in einer Klinik gearbeitet, in der viele junge Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung waren. Sie nannten sich die „Bordis“ und haben sich ein wenig damit geschmückt. Natürlich ist es schön, wenn dadurch der Schrecken genommen wird, es kann aber auch dazu führen, dass man gar nicht gesund werden will, weil man sich dann fragt „Wer bin ich denn dann noch?“
Was raten Sie im Umgang mit psychologischen Begriffen und Diagnosen?
Man sollte damit ein bisschen vorsichtiger uns sensibler umgehen. Bevor man Fachbegriffe benutzt, deren Bedeutung man nicht sicher kennt, sollte man sie einfach mal nachschlagen. Auf diese Weise entwickelt man auch mehr Verständnis und Respekt für jene Menschen, die tatsächlich eine solche Diagnose bekommen haben.