Resilienz-Expertin„Wenn Frauen 80 Prozent geben, reicht das in der Regel völlig aus”

Lesezeit 8 Minuten
Müde Mutter im Homeoffice Getty Images

Die Konzentration lässt schnell nach, wenn das Kind nebenan mit Lego spielt, während Frau im Homeoffice sitzt (Symbolbild). 

  • Im Alltag machen sich Frauen zu viel Stress und haben den Eindruck, alles nur gerade so zu schaffen.
  • Dazu sind vor allem Mütter während dem Lockdown durch Homeschooling und Kinderbetreuung im Homeoffice weiteren Belastungen ausgesetzt gewesen.
  • Wie Frauen (und Männer) widerstandsfähiger werden und welche Eigenschaften uns in der Krise weiterhelfen, erzählt die Psychologin Anke Precht.

Köln – Im Alltag fühlen sich viele zu oft gestresst. Vor allem Frauen haben den Eindruck mit Arbeit, Kindern und Haushalt mehr zu stemmen als eigentlich möglich ist. Und während des Lockdowns der Corona-Pandemie waren gerade Mütter den zusätzlichen Belastungen durch Homeschooling und Kinderbetreuung im Homeoffice ausgesetzt. Doch was genau stresst so und wie kommt man besser damit zurecht? Die Psychologin Anke Precht erklärt im Interview, warum Frauen dringend ihr seelisches Immunsystem stärken sollten.

Fast jeder klagt über zu viel Stress. Halsen wir uns alle zu viel auf?

Anke Precht: Ja und nein. Oft tun wir das. Vor allem wir Frauen machen häufig Dinge, die gar nicht notwendig sind. Wir erledigen nicht nur unsere eigenen Aufgaben, sondern auch die unserer Kinder und unserer Männer gleich mit. Der meiste Stress ist aber kein Aufgabenstress sondern Stress, den man sich im Kopf macht, durch Perfektionismus, Selbstzweifel und Unzufriedenheit. Das sind die häufigsten Auslöser. Eine kleine Sache führt dann dazu, dass man den ganzen Tag grübelt und sich mies fühlt, auch wenn die Geschichte an sich vielleicht schnell geklärt wäre.

2014 anke_portrait jürgen

Psychologin Anke Precht.

Anke Precht ist Diplom-Psychologin, Buchautorin und Speakerin. Sie coacht Leistungssportler und Menschen aus Wirtschaft und Öffentlichkeit. Seit 20 Jahren betreibt Precht eine eigene Praxis in Offenburg, dort lebt sie mit ihrem Partner und drei jugendlichen Kindern in einer Patchwork-Familie.

Durch die Corona-Pandemie und den Lockdown kamen auf sehr viele Menschen, vor allem Mütter, weitere Aufgaben wie Homeschooling und Kinderbetreuung im Homeoffice dazu. Wie meistert man einen solchen dauerhaften Ausnahmezustand am besten?

Precht: Zum Glück sind Menschen sehr anpassungsfähig. Wichtig ist es, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Mütter müssen nicht alles alleine machen. Sie können sich gemeinsam organisieren und zum Beispiel mehrere Kinder zusammen unterrichten. Zwei Tage in der Woche, dann übernimmt eine andere Mutter, und Frau kann sich um andere Aufgaben kümmern oder mal in Ruhe einen Cappuccino trinken. Die neue Zeit fordert mehr Zusammenarbeit, das ist auch eine große Chance, ein bisschen mehr loszulassen. Außerdem gilt es, die Väter stärker in die Verantwortung zu holen und ihnen die Verantwortung auch zuzutrauen. Ich bin sicher: Teamwork wird eine Schlüsselfähigkeit werden, um in der neuen Normalität zurecht zu kommen. Neue Fähigkeiten zu entwickeln, das ist es, was Krisen von uns fordern, und was sie uns auch ermöglichen. Das fordert Mut, und es wird sich auszahlen!

Stressempfinden kann ja sehr subjektiv sein. Geht es denn überhaupt immer um Stress?

Precht: Wenn wir Stress gleichsetzen mit allen Dingen, die gemacht werden wollen, dann geht es natürlich darum. Das subjektive Leiden entsteht aber nicht durch die Herausforderung selber, sondern durch den Abstand zwischen meiner Erwartung und dem was ich in der Realität schaffe. Je mehr meine Vorstellung von der Wirklichkeit abweicht, umso schlimmer fühle ich mich. Das ist aus meiner Erfahrung der größte Stressauslöser, gerade bei Frauen.

Natürlich gibt es bestimmte Lebensphasen, gerade wenn Kinder klein sind, da ist viel los. Aber es ist zu schaffen, wenn man einfach bescheidenere Brötchen backt. Damit fährt man viel besser, als wenn man versucht, die Dinge super zu machen. Dazu kommt, dass Frauen, die mit dieser Gelassenheit unterwegs sind, die Dinge immer noch wirklich gut machen. 80 Prozent reichen und die schaffen Frauen meistens trotz allem ganz gut.

Anke Precht sollte als Speakerin beim Women’s Health Day in Köln aufgetreten. Die Veranstaltung, ursprünglich im April geplant, wurde zunächst auf den 8. und 9. August 2020 verschoben und vor kurzem aufgrund der Corona-Pandemie endgültig abgesagt. Wer bereits ein Ticket erworben hat, bekommt es über Kölnticket zurückerstattet. Weitere Informationen hier

Sie bezeichnen Resilienz als „Wunderwaffe“ nicht nur für weniger Stress und mehr Gelassenheit. Was steckt hinter dem Begriff?

Precht: Resilienz ist ein seelisches Immunsystem. Es befähigt uns, mit Pannen, Katastrophen, Enttäuschungen und sonstigen Widernissen des Lebens gut umzugehen. Das ist viel mehr als die Fähigkeit, Stress zu bewältigen. Wer resilient ist, kann schwierige Situationen besser durchschiffen, rappelt sich nach Enttäuschungen schneller auf und kann Fehler leichter verwinden.

Resiliente Menschen meistern Rückschläge und gehen sogar gestärkt daraus hervor. Wir schaffen sie das?

Precht: Es sind insgesamt neun Faktoren die resiliente Menschen ausmachen. Sie können sich zum Beispiel gut entspannen, sind auf Ziele ausgerichtet und sie sehen eher Stärken als Probleme. Resiliente Menschen sehen etwa „ich habe Muffins gebacken“ und nicht „meine Muffins sind nicht die schönsten auf dem Schulfest“. Solche Menschen interessieren sich für den Sinn, den die Dinge machen, die sie tun. Was auch heißt, dass sie sinnlose Aktivitäten fallen lassen können. Sie haben gute Beziehungen. Sie nehmen andere aber auch sich selbst gut wahr und sorgen gut für sich. Und sind in der Lage, sowohl Gedanken als auch Gefühle und Impulse zu kontrollieren. Die gute Nachricht: Diese ganzen Faktoren kann man trainieren.

Sie raten sich ein „dickeres Fell zu stricken“, also resilienter zu werden. Wie geht das?

Precht: Das Gute ist, man kann im Prinzip bei jedem dieser Faktoren ansetzen. Ich kann zum Beispiel ein kleines Dankbarkeitstagebuch führen. Mir abends aufschreiben, was am Tag besonders schön oder wertvoll war. Dadurch lerne ist, mich stärker auf positive Dinge auszurichten. Ich kann mir auch Gedanken machen, wo will ich denn im Leben hin? Damit stärke ich meine Zielfokussierung. Ich kann für gute Beziehungen sorgen, indem ich mich öfter verabrede. Oder ich kann einmal am Tag meditieren. Zum Beispiel fünf Minuten bevor die Kinder aufstehen. Das ist nicht lange, aber es hilft, Ordnung in meinen Gedankensalat zu kriegen, vor allem, wenn ich das regelmäßig mache.

Es gibt Menschen, die in sich ruhen und die nichts so schnell zu verunsichern scheint, was haben sie in der Kindheit mitbekommen?

Precht: Das ist schwer pauschal zu sagen. Meistens sind es Menschen mit einem holprigen Lebensweg, die nicht wirklich lange in ihrer Komfortzone gelassen wurden, so dass sie sich entwickeln mussten. Das Immunsystem des Körpers wird ja auch durch die Auseinandersetzung mit Erregern stärker und nicht von selbst. So ist das auch mit Resilienz. Wer schon früh viele Probleme gemeistert hat, weil er sie in nicht zu hohen Dosen bekommen hat, geht gestärkt daraus hervor. So jemand wurde vielleicht mit 14 Jahren gegen seinen Willen zwei Wochen nach England in einen Austausch geschickt, wusste aber, danach darf ich wieder heim. Er hat also nicht die Erfahrung gemacht, meine Eltern schieben mich jetzt ins Internat ab. Auf ein gutes Maß kommt es an.

Also soll man seinen Kindern ruhig was zutrauen?

Precht: Viel. Auch unangenehmes.

Und wenn man das in der Kindheit nicht mitbekommen hat, wie lernt man diese psychische Widerstandsfähigkeit als Erwachsener?

Precht: Egal wie alt man ist, das kann man immer lernen. Sie werden vielleicht nicht mehr so widerstandsfähig wie der Dalai Lama, der sich ein Leben lang mit Resilienz beschäftigt hat. Aber auch Menschen, die immer übergewichtig waren, fangen mit 40 mit Sport an und schaffen mit 42 einen Marathon. Genauso ist es mit der Resilienz, wenn man regelmäßig trainiert. Es gibt nur eine Ausnahme, aus psychologischer Sicht. Wenn Menschen schwer traumatisiert sind, dann ist es wichtig parallel die Traumata aufzulösen. Die meisten Menschen können aber sofort loslegen. Man muss auch nicht warten bis die Kinder groß sind.

Das könnte Sie auch interessieren:

Womit fange ich denn an zu üben, um beim nächsten Rückschlag nicht auf der Matte liegen zu bleiben?

Precht: Eine einfache Übung reicht wahrscheinlich nicht, wenn es ein richtig heftiger Rückschlag ist. Gut ist aber zum Beispiel eine Übung aus den Achtsamkeitstechniken. Immer mal wieder im Alltag 30 Sekunden innehalten und die eigenen Gedanken beobachten. Also gucken, was quasselt gerade in meinem Kopf. Und sich bewusst machen, das sind Gedanken, das bin nicht ich. Das Motto „Glaub nicht alles, was du denkst“, finde ich sehr hilfreich in dem Zusammenhang. Wenn ich zum Beispiel denke: „Du musst noch putzen, morgen kommt Besuch“, merke ich: Das „du musst“ ist ein Gedanke und nicht Realität. Ich kann diesen Gedanken angucken und mir überlegen: Will ich das oder will ich das nicht?

Resilienz-Kritiker befürchten, dass gesellschaftliche Probleme auf den Einzelnen abgeladen werden. Mann oder Frau soll sich bitte optimieren und noch stärker und leistungsfähiger werden.

Precht: Dahin führt es witziger Weise gerade nicht. Ich schule Resilienz auch in Unternehmen und ganz häufig ist die Folge eben nicht, dass die Mitarbeiter noch mehr Überstunden klopfen. Sondern sie gehen plötzlich auf 80 Prozent, weil sie merken, sie möchten mehr Zeit für ihre Kinder haben. Sie klappen den Laptop früher zu, weil sie merken, ich kann jetzt eh nicht mehr denken. Und Menschen, die resilienter werden, werden eher ein bisschen unbequemer für ihre Umgebung und sagen öfter mal nein. Gerade bei Frauen erlebe ich das. Man darf Resilienz nicht mit Stressresistenz verwechseln. Wenn ich sage, ich mache mich stressresistenter, dann ist das Ziel, dass ich noch mehr schaffen kann und dann ist die Kritik angemessen. Wenn ich sage, ich werde resilient, dann werde ich zwar belastbarer, aber ich werde viel klarer in den Vorstellungen, was für mich gut ist. Und ich bin am Ende gesünder, besser drauf und nicht ausgebrannt.

Frau Precht, vielen Dank für das Gespräch.

Rundschau abonnieren