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Kurz vor der Rente?Wie Anleger ihr Depot in unsicheren Zeiten absichern

6 min
Auch in der Rente haben Sparer gute Chancen auf Rendite.

Auch in der Rente haben Sparer gute Chancen auf Rendite.

Die jüngsten Börsenturbulenzen haben viele Anleger verunsichert – besonders jene, die kurz vor der Rente stehen. Experten erklären, warum Panikverkäufe der falsche Weg sind und wie sich das Depot richtig zusammensetzen lässt.

Für die meisten Aktionäre waren die vergangenen Wochen der Horror. Die Turbulenzen an den Weltmärkten sorgten für einen historischen Kurseinbruch. Kleinanleger, die sich erst in den vergangenen Jahren an die Börse getraut haben, erleben ihre erste Krise. Und einige Sparer werden festgestellt haben, dass sie gar nicht so starke Nerven haben, wie sie vielleicht dachten.

Krisenerfahrung für Neuanleger und erfahrene Investoren

Doch auch erfahrene Anleger, die, wie von Experten empfohlen, über viele Jahre hinweg mit den beliebten Exchange Traded Funds (ETFs) ein finanzielles Polster für die Altersvorsorge aufgebaut haben, kommen jetzt ins Grübeln. Vor allem, wenn es nicht mehr lange bis zur Rente ist. Ist ein hoher Aktienanteil im Depot sinnvoll, wenn man nur noch ein paar Jahre oder sogar Monate bis zum Ruhestand hat?

Trumps Zollpolitik als Auslöser des Börsenbebens

Die Ankündigung von US-Präsident Trump, die Importe aus nahezu allen Ländern mit Zöllen zu belegen, hatte die Börsen auf Talfahrt geschickt. Der deutsche Aktienindex DAX fiel zeitweise um rund zehn Prozent. Und selbst der beliebte MSCI World Index sackte im Vergleich zur Vorwoche um rund sieben Prozent ab.

Ruhe bewahren und Depot-Strategie überdenken

Aktuell erholen sich die Kurse zwar wieder. Doch wer einen Teil seines Ersparten in Aktien und ETFs investiert hatte, musste zwischenzeitlich (oder immer noch) mit einem dicken Minus klarkommen. „Viele Sparer machen den Fehler, dass sie in ihrer Panik nur auf ihre Aktien schauen“, sagt Karin Baur, Redakteurin für Geldanlage und Altersvorsorge beim Verbrauchermagazin Stiftung Warentest Finanzen.

Stattdessen sollten Anleger ihr gesamtes Depot in den Blick nehmen. Wer zum Beispiel eher defensiv aufgestellt sei und nur ein Viertel seines Geldes in Aktien oder ETFs investiert habe, würde feststellen, dass sich die Verluste insgesamt doch verkraften ließen.

Depotmischung: Sicherheit versus Rendite

Für Baur steht aber auch fest: „Wer wegen des Börsenbebens nicht mehr schlafen konnte, sollte seinen Aktienanteil besser reduzieren.“ Idealerweise setzt sich das Depot von Sparern ohnehin aus zwei Bausteinen zusammen: Zum einen aus sicheren Anlagen wie Tages- oder Festgeldkonten, zum anderen aus Bausteinen, wie weltweit investierende ETF-Aktienfonds, die mehr Rendite erwirtschaften, aber mehr Risiko bedeuten.

Strategie für Kurseinbrüche: Nicht überstürzt reagieren

Reaktion auch während großer Kurseinbrüche nicht überstürzenDie Stiftung Warentest empfiehlt Anlegern, ihr Erspartes je nach eigenem Risikoempfinden auf diese beiden Bausteine aufzuteilen. Wem Rendite besonders wichtig ist, der investiert 50 Prozent oder mehr seines Vermögens in ETFs. Risikoscheuen Anlegern empfiehlt die Stiftung, nicht mehr als 25 Prozent in ETF-Aktienfonds zu investieren.

„Wir halten für die meisten Anleger ein ausgewogenes Verhältnis von zur Hälfte sicheren Anlagen und zur anderen Hälfte weltweit streuenden ETF-Aktienfonds für passend“, so Baur, „aber natürlich können Sie für sich auch entscheiden, dass Sie nur mit einem ETF-Anteil von zehn Prozent ruhig schlafen können.“

Wer zu dem Schluss komme, seinen Aktienanteil im Depot zu reduzieren, sollte laut Baur aber nicht der Panikreaktion an der Börse folgen. „Verkaufen Sie nicht mitten in einem Crash oder an einem Tag mit einem großen Kurseinbruch“, sagt Baur. Dann seien die Verluste am größten. „Warten Sie, bis sich die Märkte wieder etwas beruhigt haben, so wie es gerade der Fall ist.“

Alternativen zu Aktien im Depot aufbauen

Wer den Sicherheitsbaustein seines Depots ausbauen will, muss laut Karin Baur vom Verbrauchermagazin „Stiftung Warentest“ Finanzen nicht nur auf Tages- oder Festgeld setzen. Alternativ könnten Sparer mithilfe von Geldmarktfonds in wenig schwankende Staats- und Unternehmensanleihen investieren.

Eine weitere Option sind Euro-Rentenfonds, die Staatsanleihen von Euroländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien sowie in Unternehmensanteilen investieren. „Allerdings sind bei diesen Rentenfonds wieder Kursschwankungen möglich“, sagt Baur. Ein guter Anlagezeitraum seien sieben bis zehn Jahre.

Gold zählt die „Stiftung Warentest“ dagegen nicht zu den sicheren Geldanlagen. Der Grund: Der Goldkurs kann stark schwanken und die Anlage selbst wirft auch keine Zinsen ab. Gold könne dagegen eine gute Beimischung sein, um eine Anlage in Aktien und ETFs abzufedern. Mehr als zehn Prozent sollte der Anteil im Depot aber nicht ausmachen.

Langfristige Strategie und emotionale Kontrolle

Grundsätzlich sollten Sparer ihre Depot-Zusammensetzung nicht ständig anpassen. Wer einmal für sich das Verhältnis von sicheren Anlageformen und Renditebringern geklärt habe, habe so die Möglichkeit, bei der Geldanlage seine Emotionen im Griff zu behalten. „Dann kommen Sie nicht in Versuchung, bei Kurseinbrüchen Ihre Anteile panikartig abzustoßen oder in Boomzeiten nachzukaufen, bis Sie plötzlich viel mehr Aktienanteile im Depot haben, als es Ihrer Risikoneigung entspricht“, sagt Baur.

Längerfristiges Potenzial von ETFs zur Altersvorsorge

Trotz des zwischenzeitlichen Chaos sollten Sparer auch in Zukunft nicht auf ETF-Aktienfonds verzichten, sagt Timo Halbe, Experte für Bank und Börse beim Geldratgeber „Finanztip“. Einerseits habe die Börse solche Kursstürze in der Vergangenheit immer wieder aufgeholt. Andererseits seien ETFs immer noch die beste Möglichkeit, um fürs Alter vorzusorgen. „Tages- und Festgeld bringen jährlich im Schnitt zwei Prozent an Zinsen ein“, so Halbe. „Das reicht nicht aus, um Vermögensverluste durch die Inflationsrate auszugleichen.“

Bei ETF-Aktienfonds rechnet „Finanztip“ mittlerweile etwas konservativer: mit einer jährlichen Rendite von sechs Prozent. „Das sind immer noch vier Prozent Unterschied im Vergleich zu den sicheren Anlagen, die sich über die Jahre in Form eines Zinseszinseffekts bemerkbar machen“, sagt Halbe.

Junge Sparer setzen auf ETFs für langfristigen Vermögensaufbau

Vorsichtige Sparer sollten nicht vergessen: Auch Sicherheit hat ihren Preis. „Wer ohne ETF-Anteil seine Rentenlücke im Alter schließen will, muss wegen der niedrigen Rendite über die Jahre viel mehr Geld zurücklegen, um ein ausreichendes Polster aufzubauen“, sagt der Finanzexperte.

Gerade für jüngere Menschen bietet sich laut Halbe daher an, für die Altersvorsorge einen hohen Anteil in ETF-Aktienfonds zu investieren und über einen langen Zeitraum von mindestens 15 Jahren anzulegen.

Ratschläge für angehende Rentner mit ETF-Investments

Doch auch wer sich an den Rat des Finanzexperten hält, ist irgendwann einmal am Ende seines Anlagezeitraums angekommen. Besonders Sparer, die mit ETFs ihre staatliche Altersvorsorge ergänzen wollen und nur noch wenige Jahre bis zur Rente haben, dürfte der Blick in ihr Depot gerade Sorgen bereiten. Selbst in diesem Fall raten Finanzexperten dazu, die Ruhe zu bewahren. Schließlich bräuchten Rentner ihr Vermögen zu Rentenbeginn ja nicht auf einen Schlag.

„Am besten, man entnimmt seinem ETF monatlich einen Teil, um damit die gesetzliche Rente aufzustocken“, sagt Timo Halbe von „Finanztip“. „Idealerweise sind das aber pro Jahr nicht mehr als drei Prozent des gesamten Vermögens.“ Das restliche Geld bleibe im Depot und erwirtschafte wieder Rendite, wenn sich die Kurse erholten.

Flexibilität bei der Rente und langfristige Chancen nutzen

„Es ist also ein Irrtum anzunehmen, dass man vor der Rente alles Geld in sichere Anlagen umschichten muss“, ergänzt auch Expertin Karin Baur. Vorsichtige Anleger könnten höchstens darüber nachdenken, ihren Aktienanteil ein paar Jahre vor Rentenbeginn zu reduzieren.

„Sparer haben gute Chancen, als Rentner noch weitere 20 Lebensjahre zu genießen“, sagt Baur. Sei das Vermögen im ETF groß genug, um einen Entnahmeplan so lange laufen zu lassen, bliebe das im Fonds verbleibende Geld erneut über einen längeren Zeitraum investiert. Und habe damit gute Chancen, wieder Rendite zu machen.

Dieser Text erschien zuerst im „Tagesspiegel“ in Berlin.