Klage könnte zum Verhängnis werdenIst Schweinehaltung in Deutschland verfassungswidrig?

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Eine Gruppe von Schweinen in einem Mastbetrieb wird auf Stroh gehalten.

Eine Gruppe von Schweinen in einem Mastbetrieb wird auf Stroh gehalten.

Eine alte Klage könnte Bauern und auch den Grünen zum Verhängnis werden. Die Partei hatte das Verfahren einst selbst angestrebt.

Berlins früherer Justizsenator Dirk Behrendt hatte offenbar ein Herz für Schweine. Jedenfalls machte der Grünen-Politiker sich während seiner Amtszeit für diese Tierart besonders stark, auch wenn verhältnismäßig wenig Schweine in der Hauptstadt gehalten werden. „Wir wollen Licht, Luft und Sonne für alle Schweine“, erklärte Behrendt, der sich davon überzeugt zeigte, dass die standardmäßige Haltung der Tiere in Deutschland „unethisch und inakzeptabel“ sei.

Viele der Tiere leben in geschlossenen Ställen unter beengten Verhältnissen. Die Böden sind häufig von Spalten durchzogen, durch die die Exkremente fallen. Das mag einem im wahrsten Wortsinn stinken. Es ist gesetzlich aber legitim, die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung regelt die Mindestvoraussetzungen für ein rechtskonformes Schweineleben.

Justizsenator Behrendt stellte darum im Namen der damals in Berlin amtierenden rot-grünen Landesregierung im Januar 2019 einen sogenannten Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht. Die Richter sollten überprüfen, ob die Schweinehaltung in Deutschland in Einklang zu bringen ist mit dem Grundgesetz. Denn in dem hat sich der Staat in Paragraf 20a dem Schutz der Tiere verpflichtet. Behrendt jedenfalls war sicher, dass dem nicht so ist.

Eine Milliarde Euro Fördergeld

Nun ist Behrendt seit Dezember 2021 nicht mehr im Amt. Und auch die Grünen regieren nicht mehr im Roten Rathaus. Hinterlassen haben sie aber die Klage beim Bundesverfassungsgericht. Und die könnte einem anderen Grünen zum Verhängnis werden: Bundesagrarminister Cem Özdemir.

Özdemir hat sich ausgerechnet die Schweinehaltung ausgesucht, um mit der Verbesserung des Lebens der Nutztiere in Deutschland zu beginnen. Ein Förderprogramm in Höhe von einer Milliarde Euro können Landwirte etwa anzapfen, wenn sie den Tieren mehr Platz lassen wollen. Ein staatliches Tierhaltungskennzeichen soll zunächst speziell für Schweinefleisch gelten. Zudem hat Özdemir eine Reform des Tierschutzgesetzes angestoßen. Das Kürzen der Ringelschwänze bei Ferkeln soll dadurch eingedämmt werden. Aber da wäre ja immer noch der Antrag auf Normenkontrolle. Der liegt weiterhin in Karlsruhe. Das Verfahren sei in Bearbeitung, teilt ein Sprecher mit.

Wegweisende Urteile gab es schon zuvor zur Schweinehaltung. 2015 fegten Richter die bislang übliche Haltung von Sauen vom Tisch, bei der die Muttertiere zeitweise stark in der Bewegung eingeschränkt werden. Eine Reform der Haltungsverordnung war die Folge. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte ähnlich weitreichende Folgen haben. Sofern der Antrag Bestand hat. Der schwarz-rote Nach-Nachfolge-Senat prüft derzeit, ihn zurückzuziehen. Eine Sprecherin: „Es handelt sich um eine rechtlich komplexe Materie. Es ist eine umfassende Abwägung zwischen Tierschutzrechten und berechtigten Interessen der deutschen Landwirtschaft vorzunehmen.“

In Özdemirs Haus hält man wenig vom Berliner Ansinnen. Ein Sprecher erklärt, eine „Klärung der Verfassungsmäßigkeit“ sei im öffentlichen Interesse. „Daher würde das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Normenkontrollantrag des Landes Berlin begrüßen.“ Auf den ersten Blick mag diese Einschätzung überraschen.

Erklärt das Gericht die Schweinehaltung für verfassungswidrig, würde das auch Özdemirs Reformpläne über den Haufen werfen. Andererseits: Das Gericht würde damit eine umfassende Reform erzwingen, die seit Jahren nicht so recht vorankommt. Auch Özdemirs mögliche Nachfolger kämen daran nicht vorbei.

Petition von Tierschützern

Darauf hoffen auch Tierschützer. Nach Bekanntwerden der Berliner Überlegungen zeigten sie sich entsetzt. In einer tausendfach gezeichneten Petition an das Gericht appellierten sie daran, die Schweinehaltung auch zu überprüfen, wenn Berlin den Antrag zurückziehe.

Torsten Staack von der Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) formuliert es so: „Die Anforderungen, die auf Schweinehalter einprasseln, sind so umfassend und teils widersprüchlich, schon jetzt resignieren da viele einfach.“ Das Verfahren könne die Lage kaum noch verkomplizieren.

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