Politische KämpfeGesetz aus Thüringen bedroht möglicherweise die Energiewende

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Energiewende auch mitten im Wald: Ginge es nach der AfD, würden keine neuen Windräder mehr errichtet.

Energiewende auch mitten im Wald: Ginge es nach der AfD, würden keine neuen Windräder mehr errichtet.

In Thüringen wird mithilfe eines von AfD, CDU und FDP durchgesetzten Gesetzes die Errichtung von Windkraftanlagen im Wald verhindert. Wo führt das hin? Eine Reportage in vier Akten.

In Thüringen ist gerade ein „Keine Windmühlen im Wald“-Gesetz in Kraft getreten. Die AfD hat es gemeinsam mit CDU und FDP gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung durchgeboxt. Für die Rechtspopulisten soll das erst der Auftakt sein, um den Windkraftausbau in ganz Ostdeutschland zu beerdigen. Das könnte die komplette Energiewende in Deutschland kippen, die schon jetzt dramatisch stockt. Die AfD jubiliert. Die Wirtschaft ist in Aufruhr. Die Berliner Politik hat keinen Plan B. Wo führt das hin? Eine Reportage in vier Akten.

Erster Akt – Im Wald bei Beberstedt in Nordthüringen

Georg Kaufmann (69) ist einer von fünf ehrenamtlichen Geschäftsführern einer Waldbesitzer-Gesellschaft in Beberstedt im Norden Thüringens. Kaufmann steht im Nieselregen in seinem Wald auf 470 Meter Höhe, Südhanglage, stabiler Westwind, und ringt mit seiner Wut. Vor mehr als zehn Jahren begann sein Kampf für einen kleinen Windpark, der aus den Baumwipfeln ragen würde, aber vom Dorf aus kaum zu sehen wäre. Die Altus AG aus Karlsruhe will ihn errichten, stellte 2016 den Bauantrag, investierte schon rund eine Million Euro. Und jetzt kommt das De-facto-Verbot für Windmühlen. „Wir brauchen grünen Strom. Wir brauchen Einnahmen, um den Wald zu erhalten. Und jetzt das Gesetz!“, sagt Kaufmann traurig.

Die Waldbesitzer-Gesellschaft hat von Beginn an alles getan, um den Protest der Nicht-Waldbesitzer einzufangen. „Neue Wege würden angelegt, einen Teil der Einnahmen würden wir den Vereinen geben, von einem Teil würden wir ein neues Waldstück anlegen, der größte Teil würde in die Waldpflege fließen“, sagt Kaufmann. Statt des großen Windparks, den der Investor wollte, dampften sie das Projekt auf fünf Anlagen ein.

Die Waldbesitzer sind erschüttert über den Vorwurf, sie wollten ihren Wald verhökern und der Umwelt mehr schaden als nutzen. Für die fünf Windräder würden 2,5 Hektar benötigt. „So viel Holz wird jedes Jahr sowieso geschlagen“, sagt Kaufmann. Er und seine Kollegen sehen sich als Verwalter des Waldes, den sie den nächsten Generationen gesund übergeben wollen. „Es braucht aber enorm viel Geld für die Wiederaufforstung, die Pflege, die Erweiterung und die Beseitigung der Klimaschäden, die es ja längst gibt“, sagt er. Ohne Einnahmen aus dem Windpark wäre das nicht mehr lange zu schaffen.

Der Regen ist stärker geworden, deswegen geht es in eine karge Stube gegenüber dem Dorfanger. Wigbert Hagelstange (59), ein zweiter Geschäftsführer, hat sich dazugesellt. Wie fühlt er sich nach dem Windmühlen-im-Wald-Verbot, das vor wenigen Wochen in Kraft gesetzt wurde? Auch er ringt mit den Worten. „Ich bin deprimiert und niedergeschlagen.“ In Thüringen müssen 2,2 Prozent der Landesfläche für Windkraft reserviert werden. Das sieht das Wind-an-Land-Gesetz von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vor. Nur, wenn alle Länder mitmachen, gelingt die Energiewende. „Aber wenn es hier bei uns nicht klappt, wo denn dann?“, fragt Hagelstange.

Und warum klappt es hier nicht, warum ist die Windrad-Wut so erbittert? Kaufmann meldet sich zu Wort: „Das Bewusstsein, dass wir das Klima schützen müssen, ist irgendwie schon da. Aber es ist alles noch nicht schlimm genug. Die Menschen denken: Es regnet ja noch. Der Fernseher läuft, und die Klospülung funktioniert. Also was soll’s? Und die Parteien bedienen die Menschen in ihrer Blindheit, um wiedergewählt zu werden.“

Zweiter Akt – Konferenzraum der AfD-Fraktion im Erfurter Landtag

Nadine Hoffmann ist die energiepolitische Sprecherin der von Björn Höcke geführten und vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD-Fraktion in Thüringen. Die 45-Jährige hat für das Windmühlen-Verbot im Wald gestimmt. „Der Wald ist als einzige natürliche CO2-Senke nicht dazu da, industrialisiert zu werden“, sagt sie beim Treffen im Erfurter Landtag. „Er muss aufgeforstet statt abgeholzt werden.“ Nur fehlt für das Aufforsten vielerorts das Geld, wie in Beberstedt. Und Windräder sollen vor allem in stark beschädigte Waldgebiete gestellt werden.

Ihr zweites Argument: Windkraft schadet dem Klima, statt es zu schützen: Den Klimawandel habe es auch schon vor den Menschen gegeben, trotzdem müsse man insgesamt auf die Ressourcen schauen, „und da mag CO2 auch eine Rolle spielen“, findet die AfD-Energiepolitikerin. Aber es gebe wesentlich klimaschädlichere Gase als CO2, die ja auch in Windrädern verbaut sind, „allen voran Schwefelhexafluorid“.

Also keine Windkraft, die in ganz Deutschland inzwischen 32 Prozent des Stroms liefert und 2023 die Kohle als wichtigsten Energieträger abgelöst hat. Was dann? Sonnenkraft lehnt die AfD nicht kategorisch ab, Wasserkraft und Biomasse will sie stärker nutzen, vor allem aber: zurück zur Atomkraft. Die alten Meiler wieder anwerfen und neue bauen. Auch da gibt es freilich einen Haken: Energiewirtschaft, Stromversorger und Betreiber der letzten AKWs halten ein deutsches Atomkraft-Revival für unbezahlbar.

Jetzt mal ehrlich, Frau Hoffmann, warum sind die Menschen im Osten so hart gegen die Windkraft, die von allen Erzeugungsarten am wenigsten CO2 produziert? Die AfD-Landtagsabgeordnete ungefiltert: „Der Bau von Windkraftanlagen hat so viel Beton, so viele andere Sachen, die nicht CO2-neutral hergestellt werden. Das ist einfach eine Lüge, was die Leute auf dem Land nicht wollen. Die wollen nicht, dass einen Kilometer von ihrer Gemeinde entfernt fünf Windkraftanlagen entstehen, die sich die Hälfte der Zeit gar nicht drehen, weil das überhaupt keine windhöffige Gegend ist. Die wollen nicht, dass sie den Rotmilan, den sie ihren Kindern zeigen können, dass der da tot unter der Anlage liegt, weil der geschreddert wird. Die wollen ihre Heimat einfach erhalten. Und die Energiewende zerstört deren Heimat.“ Dass der Klimawandel den Thüringer Wald zerstört und Windkraft helfen kann, die Erderwärmung zu bremsen, das sagt Frau Hoffmann nicht.

So, wie sie es schildert, ist die Stimmung hier. Und deswegen würden CDU und FDP mit ihrer eigenen Anti-Energiewende-Politik die AfD nachahmen, sagt sie. „Wir treiben die schon ein bisschen vor uns her.“ Gerade die Direktkandidaten müssten den Leuten vor Ort schon was präsentieren, dass sie deren Interessen vertreten. „Und wenn die sich jetzt komplett für die Energiewende äußern würden, dann wären die in ihren Wahlkreisen weg vom Fenster.“

Und heißt das jetzt, dass die Energiewende im Osten ausgebremst wird, wenn die AfD bei den Wahlen im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stärkste Kraft wird? „Ich würde es nicht Auf-die-Bremse-treten nennen. Ich würde einfach sagen: Wenn wir stark genug sind und je nachdem, was dann in der neuen Regierung zustande kommt oder ob wir dann wie eine größte Oppositionspartei wären, hoffe ich, dass der Ausbau der Windindustrie in Thüringen gestoppt wird.“

Dritter Akt – Mit dem Energieminister beim Bürgertreff in Ilmenau

Am Abend in Ilmenau, 45 Autominuten südlich von Erfurt. Rund 35 Leute sind der Einladung von Thüringens Energieminister Bernhard Stengele (60, Grüne) ins Kulturzentrum Kleinod gefolgt. Ihrer Stadt mit 25000 Einwohnern und Universität am nordöstlichen Rand des Thüringer Waldes geht es gut. Nachdem der Minister kurz vorgestellt wird, applaudieren einige.

Aber schon die erste Meldung aus dem Publikum setzt den Ton: Eine Frau um die 50, eine Mutter, fürchtet das schon erwähnte Schwefelhexafluorid, aber auch die Permanentmagneten in Windrädern. Außerdem werde Tropenholz in Regenwäldern für Windparks abgeholzt. Und die Energiewende mache Deutschland abhängig von China. „Wir sollten mal Wind aus den Segeln nehmen“, fordert sie mit zorniger Stimme.

Stengele hört sich erstmal weitere Beschwerden und Warnungen an. Er hat sich ein dickes Fell zugelegt. Dann wird der Minister grundsätzlich: Ob man nicht auf der gemeinsamen Basis stehe, dass das Verfeuern von Kohle, Öl und Gas das Klima zum Kippen bringe? Ob die krassen Klimaschäden am Wald, die kahlen Hänge und Höhenzüge, wo längst zahllose Bäume der Dürre und Hitze zum Opfer gefallen seien, ob das denn nicht Grund genug sei, das Klima zu schützen, auf Wind- und Sonnenkraft umzusteigen, auch im Wald?

Es meldet sich eine Gärtnerin zu Wort und verweist auf „belegbare“ Studien, wonach die Wälder im Harz nicht durch den Klimawandel, sondern „durch Windparks vertrocknet“ seien, weil die Anlagen den Regen vertreiben würden. „Man kann doch nicht so blind sein. Wir können unseren Kindern doch keine Wüsten hinterlassen“, protestiert sie.

Später, beim Zweiergespräch, sagt Stengele: Das Beinahe-Verbot für Windmühlen im Wald werde das Erreichen der thüringischen Ausbauziele „erheblich erschweren“. Passende Flächen fielen aus, vorneweg die schon von Stürmen und Borkenkäfern entwaldeten Höhenkämme, auf denen sich hervorragend Wind ernten ließe.

Unternehmen wie Wiegand-Glas, einer der großen Arbeitgeber der Region, sind schockiert. „Wir wollen in Windkraftanlagen investieren, denn wir brauchen viel grüne Energie und könnten sie direkt am Standort auch erzeugen“, sagt der Chef, Nikolaus Wiegand, am Telefon. Das Windrad-Verbot im Wald sei Irrsinn und werde hoffentlich vom Verfassungsgericht wieder gekippt.

Minister Stengele sagt, vor allem die AfD habe die Mär verbreitet, „wir wollten ins Herz des Thüringer Waldes einbrechen und den Wald kaputt machen“. Dabei sind das Biosphärenreservat und alle Naturschutzgebiete Tabu. Aber das Thema sei „völlig verhetzt“. Er spricht von einer „ganz unheiligen Verbindung“, die FDP und CDU durch gemeinsame Abstimmungen mit der AfD eingegangen seien. FDP und CDU hofften, durch den Widerstand gegen die Energiewende Stimmen einzusammeln, weil die AfD damit so einen riesigen Zulauf bekommen habe.

Gelingt es der AfD dann womöglich wirklich, den Ausbau der Windkraft im ganzen Osten zu stoppen und die Energiewende vor die Wand zu fahren? Die Antwort des Ministers: „Ohne die Akzeptanz in der Bevölkerung können wir es unmöglich schaffen.“ Zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine vor habe es auch im Osten noch mehr Zustimmung für die Energiewende gegeben. Dann sei der Frust über die Ampel-Regierung gestiegen. Spätestens das Schreckgespenst, zu dem Habecks Heizungsgesetz gemacht worden sei, habe die Stimmung kippen lassen.

Vierter Akt – Im Büro des Politikwissenschaftlers an der Uni Erfurt

Aus dem Lehrgebäude 1 der Erfurter Universität beobachtet Politikwissenschaftler André Brodocz (55) den gewaltigen Groll, der sich im Osten gegen die Energiewende aufgestaut hat. „Es gibt diesen politischen Kurzschluss im Kopf vieler Menschen, zu sagen: Die Maßnahmen zum Klimaschutz sind doof, weil das von den Grünen kommt. Obwohl sie die Folgen der Erderwärmung, die Dürren, die Überschwemmungen, die Waldschäden jeden Tag sehen“, sagt der Professor. Das bittere Fazit des Wissenschaftlers: „Weil so viele Menschen hier die Grünen als Bedrohung der eigenen Identität wahrnehmen und die Partei teils sogar hassen, stellen sie sich auch gegen deren Projekte wie den Ausbau der erneuerbaren Energien.“ Im Ringen um mehr Klimaschutz habe man „die Mehrheit der Bürger im Osten erst einmal verloren“.

Tja, und was jetzt? Ohne massiven Ausbau der Windkraft wird Energie noch teurer, noch mehr Unternehmen könnten abwandern. Und die Klimaziele rückten in noch weitere Ferne. Die Lage sei schon jetzt kritisch, stellte der Bundesrechnungshof gerade fest und beklagte „gravierende Risiken für die energiepolitischen Ziele“ der Regierung.

Laut Energiewende-Spezialisten der Deutschen Windguard braucht es allein in diesem Jahr deutschlandweit einen Netto-Zubau von 8 Gigawatt Windkraft an Land, um genug grünen Strom zu erzeugen, damit Habecks Energiewende-Wette aufgeht. Realistisch seien aber maximal 4,1 Gigawatt. Auch für 2025 bleibe der Zubau „deutlich hinter dem Ziel zurück“. Die Folgen der Landtagswahlen im Osten sind dabei noch nicht mal einkalkuliert.

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