Vom Verfassungsschutz beobachtetAbul Baraa ist ein Star in der Salafistenszene – das macht ihn gefährlich

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Frauen in einer Moschee

Abul Baraas Botschaft: Frauen, die lästern, kommen nicht ins Paradies. (Symbolbild)

In einer umstrittenen Braunschweiger Moschee spricht ein vom Verfassungsschutz beobachteter Prediger. Abdul Baraa kommt auch bei jungen Muslimen gut an. Der Erfolg seiner Botschaften ist  schwer einzuschätzen.

Der Ort, der in Sicherheitskreisen als salafistisches Zentrum Braunschweigs beschrieben wird, könnte unscheinbarer kaum liegen. Ein dunkler Hinterhof zwischen Supermärkten, einer Autowerkstatt und einer Tierhandlung, irgendwo im Norden der Stadt. Wenig weist hier auf die „Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft“, kurz DMG, hin. Nur an der Tür hängt ein Zettel. „Keine Interviews mit Pressevertretern“ steht darauf.

An einem Freitagabend Ende Februar steht auf fast jedem Parkplatz im Hinterhof ein Auto. Im Minutentakt laufen Menschen in die Moschee. Die Männer gehen durch den Haupteingang, eine einfache Glastür. Einige tragen einen knöchellangen Kaftan und eine Gebetskappe, die meisten Alltagskleidung. Der Eingang für Frauen ist um die Ecke, eine verwitterte Holztür führt zu ihrem Gebetsraum. Viele Frauen tragen einen Hidschab, der Schleier bedeckt nicht nur den Kopf, sondern auch den Körper, vereinzelt sind Frauen mit Nikab – dem schwarzen Gesichtsschleier, der nur die Augen freilässt – zu sehen.

Abul Baraa im Visier der Verfassungsschützer

Genauso zwielichtig wie der Ort ist der Ruf der Moschee. Sie steht im Visier von Sicherheitsbehörden. Für den Landesverfassungsschutz ist die DMG einer von zwei Knotenpunkten des Salafismus in Niedersachsen. Demnach werde in den Räumen extrem konservatives Gedankengut verbreitet.

Salafisten orientieren sich streng an einer idealisierten islamischen Frühzeit und lehnen die deutsche freiheitlich-demokratische Grundordnung ab. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Gottesstaates nach den Regeln der Scharia. Für dieses Ziel werben sie online und offline Menschen an. Der Salafismus ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums mit 11000 Personen die zahlenmäßig bedeutendste islamistische Strömung in Deutschland.

Für diesen Freitag hat sich ein echter Star der Szene in Braunschweig angekündigt. Ahmad Armih alias Abul Baraa. Der gebürtige Palästinenser hat mehr als 71.000 Follower auf TikTok, wo er Ausschnitte aus seinen Reden veröffentlicht. Nahezu ein neues Video pro Tag, fünfstellige Aufrufzahlen, manchmal auch mehr. Neben dem bekannten Prediger Pierre Vogel ist Abul Baraa ein regelmäßiger Gast in Braunschweig. Früher trat er in einer inzwischen geschlossenen Berliner Moschee auf, in der auch der Rapper und spätere IS-Terrorist Denis Cuspert ein und aus ging. Der Verfassungsschutz beobachtet ihn seit Jahren.

Rund 150 Männer und 40 Frauen sind in die DMG gekommen, vor allem junge Menschen wollen den Prediger sehen. Geduldig warten sie auf ihn. Die Männer beten auf dem Boden, der mit rotem Teppich bedeckt ist. „Salam Aleikum“, sagen sie zur Begrüßung, danach reden sie Deutsch miteinander. Vor der vertäfelten Wand ist ein grünes Tuch gespannt. Davor steht ein Tisch, umringt von fünf Kameras und zwei Scheinwerfern. Die Frauen im Nebenzimmer haben die gleiche Perspektive wie die Zuschauer im Netz: Sie können den Prediger nur auf dem Bildschirm sehen.

Gute Taten oder das Höllenfeuer

20 Minuten später als angekündigt, betritt Abul Baraa den Raum. Der Mann Anfang fünfzig trägt einen weißen Kaftan, eine weiße Gebetsmütze und ein breites Lächeln. Er setzt sich. An seinem Gewand klemmt ein kleines Mikrofon. Er spricht über das Wesen eines guten Menschen, Tugenden und Sünden. Gute Taten müssten stets für Allah vollbracht werden, ansonsten warte das Höllenfeuer, wie er es formuliert. Abul Baraa doziert aber nicht nur, er bezieht das Publikum mit ein, stellt den Männern Fragen. So ergeben sich immer wieder kurze Dialoge. Als einmal niemand antwortet, fragt er grinsend: „Macht ihr das auch immer so, wenn ihr auf Partys geht? Einfach nichts sagen?“ Viele Besucher müssen lachen. Mit seiner kumpelhaften Art kommt der Salafist gut an. „Er versteht einfach, was uns wichtig ist“, sagen zwei Mädchen im Frauenraum. Sie sind das zweite Mal in die DMG gekommen. Sie wollen einfach mal vorbeischauen, Freunde hätten sie eingeladen.

Häufig laufe eine Kontaktaufnahme so ab, sagt der Islamwissenschaftler Kaan Orhon, der bei der Beratungsstelle für Deradikalisierung „Grüner Vogel“ arbeitet. Meist würden junge Menschen gezielt von Leuten angesprochen, die bewusst rekrutieren oder von Bekannten und Familienmitgliedern, die bereits in der Szene seien.

„Wenn Frauen lästern, kommen sie nicht ins Paradies“

Aber was spricht die jungen Frauen an? Während die Männer über Glaubensfragen diskutieren, können die Frauen nur zuhören. Jungs, die etwas zappelig werden im Hauptraum der Moschee, werden zu ihnen geschickt. In dem Raum führt das zu einer Atmosphäre, die alles andere als andächtig ist: Babys werden gewickelt, Kleinkinder rennen durch die Gegend. Zwei Teenager haben Pizza bestellt und trinken Red Bull, während sie den Worten von Abul Baraa folgen. Bei einem Thema wird es selbst hier plötzlich still. Der Salafist behauptet: Wenn Frauen lästern, kämen sie nicht ins Paradies, selbst wenn sie sich an andere islamische Gebote hielten.

Abul Baraa weiß, wie er sein Publikum erreicht. Er bringt Beispiele aus der Lebenswelt junger Menschen, indem er über Hasskommentare im Netz spricht. Wenn „Internet-Rambos“ sich negativ etwa über Prediger wie ihn äußerten, sei das auch mit Lästern vergleichbar, sagt er. Besonders radikal klingen seine Aussagen nicht: Stänkere nicht gegen andere, respektiere deine Eltern, entwickle einen guten Charakter. Niemand redet davon, in den Heiligen Krieg zu ziehen. Beim Verfassungsschutz kennt man diese Äußerungen. Im Bericht des vergangenen Jahres heißt es: „Während eindeutig extremistische Inhalte zumindest öffentlich häufig unausgesprochen bleiben, erscheint die Szene zunehmend offener für emotionalisierende gesellschaftliche Themen, die in den eigenen ideologischen Rahmen eingepasst werden.“

Ein kumpelhafter Ton, der Sorge macht

Niedersachsens Landesverfassungsschutz verweist darauf, dass Abul Baraa ein Bedrohungsszenario zeichne, „in dem sich die Muslime aus Angst vor Diskriminierung von ihrem Glauben abwenden und der westlichen Mehrheitsgesellschaft anpassen würden.“ Er presse die Gesellschaft in ein „vereinfachtes Freund-Feind-Schema“, Muslime stelle er grundsätzlich als Opfer dar. Bei seinen Zuhörern verfängt das. Die DMG und Abul Baraa seien nicht so, wie in den Medien dargestellt werden, sagt ein Jugendlicher. Die Sicherheitsbehörden würden sie ohne Grund schikanieren, weil sie Muslime seien.

An einer Stelle wird die Argumentation mindestens abenteuerlich. Bei der AfD, so sagt Abul Baraa, seien Nazis aktiv. Viele seien allerdings erst durch das „Fehlverhalten vieler Muslime“ zu Nationalsozialisten geworden. Die Gefängnisse seien voll mit kriminellen Muslimen, behauptet der Prediger und mahnt: „Euer Charakter muss anders sein als der Charakter von Leuten, die nicht an Allah und den jüngsten Tag glauben.“ Er wirkt jetzt nicht mehr kumpelhaft, sondern eher belehrend.

Euer Charakter muss anders sein als der Charakter von Leuten, die nicht an Allah und den jüngsten Tag glauben.
Ahmad Armih alias Abul Baraa, Salafistischer Prediger

Es ist unklar, ob durch die Vorträge von Abul Baraa wirklich Menschen zu Salafisten werden. Der Verfassungsschutz weiß nicht, wie viele junge Leute in der DMG tatsächlich bekehrt werden. Er weiß auch nicht genau, was in kleineren Kreisen außerhalb der Moschee passiert. Zuletzt beobachtete die Behörde einen zunehmenden Rückzug der salafistischen Szene in private Räume.

In Braunschweig verlassen vier Jungs den Vortrag frühzeitig. Einer von ihnen, laut eigenen Aussagen 13 Jahre alt, sagt, er möge, wie Abul Baraa mit den Leuten interagiert. Seine Kumpels, sie dürften kaum älter sein, sehen das auch so. Sie wissen, dass die Moschee einen problematischen Ruf hat. Sie wissen, dass die Sicherheitsbehörden Abul Baraa beobachten. Sie scheint das nicht zu stören. Auch heute hat ihnen der Auftritt gut gefallen, sagen sie, aber sie wollten pünktlich zu Hause sein. Verpassen werden sie wenig. Abul Baraa und seine Aussagen können sie mitnehmen: auf dem Handy in ihrer Hosentasche.

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