Wunderwaffe oder Nebelkerze?Was CO2-Staubsauger wirklich leisten können – und was nicht

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Eine Direct-Air-Capture Anlage in Hamburg

Eine Direct-Air-Capture Anlage in Hamburg

Im Süden der USA werden riesige Anlagen gebaut, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen. Die Macher sind begeistert, viele Experten sehen die Technik wesentlich skeptischer.

Ist das sogenannte Direct Air Capture (DAC) ein genialer Plan zur Rettung der Erde? Oder sind CO2-Staubsauger fatale Nebelkerzen der Öl- und Gas-Industrie, um ihr schmutziges Geschäft zu retten? Beim Klimagipfel COP28 in Dubai wollen Förderländer die CO2-Entnahme als Instrument gegen den Temperaturanstieg etablieren. In Texas und in Louisiana werden die weltweit größten Anlagen gebaut, um Treibhausgas aus der Umgebungsluft zu saugen und im Untergrund zu speichern. US-Präsident Joe Biden steckt Milliarden in den Aufbau der neuen Industrie.

In der Atmosphäre ist zu viel Treibhausgas, deswegen wird die Erde wärmer. Beim Direct Air Capture (DAC), wird der Umgebungsluft durch Filter CO2 entzogen, verflüssigt, ins Erdreich gepumpt und dort auf ewig gespeichert. Es geht also nicht um die Minderung neuer Treibhausgasemissionen – bereits in die Atmosphäre gelangtes Treibhausgas soll zurückgeholt und gebunkert werden, sodass die CO2-Konzentration sinkt und der Treibhausgaseffekt umgekehrt wird. Der Klima-Ökonom Ottmar Edenhofer hat dafür den Begriff „planetare Müllabfuhr“ kreiert.

Die CO2-Konzentration ist seit der industriellen Revolution dramatisch gestiegen, aber mit 0,04 Volumenprozent – physikalisch betrachtet – weiter extrem gering. Um eine Tonne Treibhausgas herauszuholen, müssen mindestens zwei Millionen Kubikmeter Luft gefiltert werden. Das ist aufwendig, energieintensiv und teuer.

Die DAC-Maschinen werden mitunter auch als „CO2-Staubsauger“ bezeichnet. Die berühmteste heißt „Orca“ und wird von der Schweizer Firma Climworks auf Island betrieben. „Orca“ saugt die Luft mit Ventilatoren an. Dann wird sie über Kollektoren mit aminbeschichteten Granulaten geführt, an denen Kohlendioxid-Moleküle kleben bleiben. Das eingesammelte CO2 wird in Basaltschichten geleitet, in denen es letztlich zu Stein wird. „Orca“ hat eine Kapazität von 4000 Tonnen CO2 pro Jahr. Bald soll die Kapazität mit neuen Kollektoren auf 40000 Tonnen verzehnfacht werden. Weltweit beträgt der CO2-Ausstoß derzeit 36800000000 Tonnen.

Ziel für 2029: Eine Million Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft zu holen

Die US-Regierung hat die ersten 1,2 von insgesamt 3,5 Milliarden Dollar für zwei DAC-Projekte in Louisiana und Texas freigegeben. Den ersten Zuschlag erhielt die private, aber nicht gewinnorientierte Tech-Organisation Battelle. „Wir setzen auf einen Baustart 2025, um spätestens 2029 eine Million Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft zu holen und im Erdreich hier zu speichern“, sagt Shawn Bennett. Der Manager von Battelle wird mit dem Geld aus Washington vor der Chemie- und Gas-Stadt Lake Charles in Louisiana im Süden der USA einen DAC-Standort hochziehen.

In wenigen Tagen wird Bennett mit den Anwohnern erstmals über die geplante Anlage sprechen, die so groß wie drei Fußballfelder werden wird. Die Voraussetzungen in der dünn besiedelten, sonnenreichen Region seien optimal, sagt der Manager. Mit Solar- und Windkraftanlagen soll die benötigte Energie erzeugt und in den Böden das aufgesaugte CO2 deponiert werden. „Wir bringen eine komplett neue Industrie in die Region.“

Einzelheiten sind noch geheim, Bennett verrät nur so viel: Die Anlage wird aus mehreren Modulen gebaut, kann also erweitert werden. Und Battelle hat die DAC-Pioniere von Climeworks sowie das amerikanische DAC-Start-up Heirloom an Bord geholt, das schon in Kalifornien einen etwas kleineren CO2-Staubsauger hingestellt hat. Beide Partner seien „Weltklasse“.

Ihre Ansätze unterschieden sich: Anders als Climeworks setzt Heirloom bei der Treibhausgas-Entnahme auf Kalkstein, einen CO2-Schwamm, wobei die natürlichen Prozesse von mehreren Jahren auf wenige Tage beschleunigt werden. Battelle will beides kombinieren. „Gemeinsam stellen wir hier das erste kommerzielle DAC-Hub hin, um diese monumentale Aufgabe zu schaffen “, sagt Bennett.

Kritiker sprechen von Täuschung

Neben dem am Gemeinwohl orientierten Battelle hat der US-Ölgigant Occidental (Oxy) mit seiner Tochter 1PointFive den Zuschlag für ein zweites, noch gigantischeres Projekt erhalten: Auf einem 40 Hektar großen Stück Land auf der King Ranch im Süden von Texas will Oxy mehrere CO2- Staubsauger aufstellen, die einmal zusammen bis zu 30 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre ziehen sollen.

Zu einem Gespräch vor Ort über die konkreten Pläne war Oxy nicht bereit. Auf einer Pressekonferenz Ende August lobte Konzernchefin Vicki Hollub die US-Regierung dafür, das Land zur Führungsnation bei der Technologie zu machen und zu zeigen, dass man mit DAC Geld verdienen und zugleich einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten kann.

Geld verdienen und das Klima schützen, klingt das nicht zu schön? Kritiker wie Ex-US-Vizepräsident Al Gore werfen den DAC-Verfechtern Täuschung vor: Statt die Konzentration von CO2 zu senken, also Negativ-Emissionen zu erzeugen, gehe es ihnen darum, weiter Kohle, Gas und Öl verkaufen und verfeuern zu können. Nach dem Motto: Was man hinterher einfängt, kann man vorher ausstoßen.

„Widerspruch! Wir haben nichts mit irgendeiner Gas- oder Ölfirma zu schaffen“, sagt Bennett von Battelle. „Wir müssen die Emissionen rasch stoppen, damit die Folgen des Klimawandels begrenzt bleiben. Und mit DAC müssen wir das Zuviel an CO2 aus der Atmosphäre zurückholen.“

Der Weltklimarat IPCC erwähnt DAC erstmals in einem Bericht 2018. Das Instrument soll eingesetzt werden, um ein „Überschießen“ der Temperaturen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu verhindern – aber erst nachdem die Emissionen auf das absolute Mindestmaß gesenkt worden sind: Die CO2-Altlasten rausholen, anstatt neue Emissionen auszugleichen.

Öl-Multi Oxy weicht der Diskussion aus. Der Verdacht liegt nahe, auf der King Ranch in Texas werde mit viel Geld vom US-Steuerzahler ein Werkzeug entwickelt, um eben doch das fossile Geschäft fortzuführen. Nicht nur das von Oxy, sondern weltweit.

Öl- und Gas-Staaten fördern DAC, um Emissionen nicht stoppen zu müssen

Der Gastgeber des derzeit laufenden Klimagipfels in Dubai, Scheich Ahmed al-Jaber, ist ein erklärter Fan der „neuen Technologien“, um die Emissionen „zu senken“, aber nicht zu stoppen. Und er will offenbar auf dem Gipfel in seinem Land Direct Air Capture zur Wunderwaffe erklären lassen, um das fossile Geschäft klimaneutral zu machen. Saudi-Arabien stellte sich am Dienstag in Dubai offen gegen ein Aus für Kohle, Gas und Öl.

Bei Klimaforschern sorgt das für Entsetzen. Es sei „hoch riskant“ und „gefährlich“, dass viele Länder „in einem unrealistischen Ausmaß“ auf die neuen Technologien setzten, sagte Ottmar Edenhofer kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion. Mit Direct Air Capture werde niemals ansatzweise genug CO2 eingefangen werden können, um bei bleibendem Treibhausgas-Ausstoß auch nur einen minimalen Effekt fürs Klima zu erzielen. Auch Deutschlands Klimaschutzbeauftragte Jennifer Morgen warnt vor „Scheinlösungen“: Es gebe schlicht viel zu wenig Platz, um ausreichend gebundenes CO2 in der Erde zu bunkern.

Aber der Appell an die USA, zu verhindern, dass die Gas- und Öl-Exporteure die neuen Technologien „als Feigenblatt für ein Weiter so nutzen“, verpufft. Joe Biden ist erst gar nicht nach Dubai geflogen. Die von den Europäern erhoffte Vereinbarung, aus den fossilen Energien auszusteigen, war bis zum Donnerstag auf dem Gipfel nicht in Sicht. Schließlich werden auch in den USA noch Rekordsummen in den Ausbau der Gas- und Ölförderung investiert.

Von Battelle-Manager Bennett kommt noch mal Widerspruch. Er glaubt an das enorme Potenzial, mit der Technik immer mehr Treibhausgas einzusammeln. Und an die weltweite Dynamik, die Biden mit seinen Finanzspritzen für Direct Air Capture in Gang gebracht habe.

„Wenn uns jemand vor drei Jahren gesagt hätte, wir werden bald gigantische CO2- Staubsauger in Louisiana aufstellen, hätten wir ihn ausgelacht“, sagt Bennett. „Und jetzt sind wir schon so weit!“ Er zieht einen Vergleich zum iPhone, das niemand kommen sah und das nun allgegenwärtig ist. „Du bekommst nicht viele Chancen im Leben, bei etwas ganz vorne dabei zu sein. Wir fühlen uns so. Es ist unglaublich.“

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