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Pilotprojekt
Ionenscanner erkennt synthetische Drogen im Rheinbacher Gefängnis

4 min
Justizbeamter Gerd-Peter Schoenenberg erkärt dem Justizminister die Funktionen des Ionscan 600.

Justizbeamter Gerd-Peter Schoenenberg erkärt die Funktionen des Ionscan 600.

Ein Scanner untersucht in Sekundenschnelle, ob synthetische Drogen in die Rheinbacher Haftanstalt hineingeschmuggelt werden sollen.

Der Drogenkonsum in den Justizvollzugsanstalten Nordrhein-Westfalens hat eine neue Dimension erreicht. Während früher vor allem intensive Haftraum- und Eingangskontrollen notwendig waren, sehen sich die Bediensteten heute mit immer raffinierteren Schmuggelmethoden konfrontiert. Besonders der Postweg spielt inzwischen eine zentrale Rolle – vor allem beim Einschleusen synthetischer Drogen. Das gilt auch für die Justizvollzugsanstalt Rheinbach.

Dabei handele es sich häufig um sogenannte neue psychoaktive Stoffe (NPS), die per Brief zu den Inhaftierten gelangen. Diese Substanzen würden oft farb- und geruchsneutral auf Papier oder Textilien aufgetragen und seien mit herkömmlichen Kontrollen kaum zu erkennen. Bisherige Schnelltests stoßen zunehmend an ihre Grenzen, da die Produzenten ihre chemischen Zusammensetzungen ständig verändern. Um diese Lücke zu schließen, ist in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rheinbach jetzt ein Pilotprojekt gestartet. Herzstück ist der Einsatz des Ionenscanners „Ionscan 600“, mit dem unbekannte Substanzen zuverlässig erkannt werden können.

Die Leitende Regierungsdirektorin Renate Gadum mit Justizminister Dr. Benjamin Limbach.

Die Leitende Regierungsdirektorin Renate Gadum hieß den Justizminister des Landes NRW in Rheinbach willkommen.

Zum Start besuchte NRW-Justizminister Dr. Benjamin Limbach die JVA Rheinbach, wo er von Anstaltsleiterin und Leitender Regierungsdirektorin Renate Gaddum begrüßt wurde. Der „Ionscan 600“ arbeitet mit Wischproben: Mithilfe eines Teststreifens wird eine Oberfläche – etwa ein Brief oder ein Gegenstand – abgerieben. Die Probe wird innerhalb weniger Sekunden analysiert und mit einer Datenbank des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz abgeglichen, in der zahlreiche chemische Strukturen neuer psychoaktiver Stoffe gespeichert sind. Das System wird kontinuierlich aktualisiert, um auch neu auftretende Substanzen erfassen zu können. „Es ist wichtig, dass wir die Justizvollzugsanstalten technologisch aufrüsten, um den Drogenmissbrauch in Haft wirksam einzudämmen“, betonte Minister Limbach.

„Die Szene entwickelt sich rasant, während die Gesetzgebung zwangsläufig hinterherhinkt. Umso wichtiger ist es, den Bediensteten wirksame und schnelle Instrumente an die Hand zu geben.“ Der Ionenscanner ist bundesweit bereits in fast allen Ländern im Einsatz, Nordrhein-Westfalen schließt mit dem Pilotprojekt nun auf. Eine flächendeckende Ausstattung aller 37 Haftanstalten mit rund 17.900 Haftplätzen ist jedoch nicht geplant; kleinere Einrichtungen sollen unberücksichtigt bleiben.

Ergebnis innerhalb von Sekunden

Die Kosten für die Verwaltungsvereinbarung mit dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz belaufen sich auf rund 33.500 Euro jährlich, hinzu kommen etwa 15.000 Euro pro Jahr für die Anmietung des Geräts inklusive regelmäßiger Updates. Die praktische Anwendung demonstrierte der zuständige Bedienstete Gerd-Peter Schoenenberg. „Der große Vorteil ist die Geschwindigkeit“, erklärte er. „Das Ergebnis liegt innerhalb von Sekunden vor.“ Der Einsatz des Scanners schütze nicht nur Inhaftierte vor gesundheitlichen Schäden, sondern auch das Personal vor unbewusstem Kontakt mit hochgefährlichen Substanzen.

Neue psychoaktive Stoffe stellen eine besondere Herausforderung dar. Laut der Drogenagentur der Europäischen Union wurden Ende 2024 rund 1000 verschiedene NPS überwacht. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden bis zum Ende des dritten Quartals 2025 insgesamt 1307 Betäubungsmittelfunde in Haftanstalten registriert, davon 348 NPS – ein Anteil von rund 27 Prozent. Im Jahr 2024 lag der Anteil bei etwa 25 Prozent. Die Dimension des Schmuggels ist erheblich: Auf einem einzigen DIN-A4-Blatt können, aufgeträufelt auf Papier, bis zu 2600 sogenannte Konsumeinheiten untergebracht sein. „Diese Einheiten werden in Tabak eingerollt oder unter die Zunge gelegt“, erläuterte Schoenenberg. Im vergangenen Jahr seien auf diese Weise rund 270.000 Konsumeinheiten sichergestellt worden. Seit dem Einsatz des neuen Scanners habe sich die Zahl der Funde in vergleichbaren Zeiträumen um 30 bis 40 erhöht.

An Sichtwänden waren Beispiele von Verstecken verbotener Gegenstände  aufgezeigt, die in der JVA Rheinbach vorgefunden wurden.
Hier ein Handy in einer Haarbürste.

Beispiele von Verstecken verbotener Gegenstände wurden auf Fotos gezeigt.

Haftraumkontrollen erfolgen unangekündigt und sind zeitintensiv. Zwei Beamte durchsuchen dabei eine Zelle bis zu 90 Minuten lang – nicht nur nach Drogen, sondern auch nach verbotenen Gegenständen wie Mobiltelefonen, die in teils ausgeklügelten Verstecken gefunden werden. Insgesamt sind in der JVA Rheinbach rund 270 Bedienstete im Einsatz. Auch beim Posteingang gelten strenge Regeln: Private Briefe werden geöffnet, eingescannt und den Inhaftierten nur noch als Kopie ausgehändigt. Bei auffälliger Anwaltspost wird Rücksprache gehalten. Selbst vermeintlich harmlose Kinderzeichnungen können mit Rauschmitteln kontaminiert sein. Zum Schutz tragen alle Mitarbeiter bei Durchsuchungen und der Postbearbeitung Handschuhe.

40 Prozent drogenabhängig

Rund 40 Prozent der Inhaftierten gelten als drogenabhängig Anstaltsleiterin Gaddum geht davon aus, dass die Zahl der Schmuggelversuche sinken wird, sobald sich herumspricht, dass die Kontrollen in Rheinbach verschärft wurden. Unterstützung kommt auch aus der Suchtberatung: Sozialarbeiterin Tamar Buket wies darauf hin, dass Prävention und Ausstiegshilfen zentrale Aufgaben des Strafvollzugs seien. Rund 40 Prozent der Inhaftierten gelten als drogenabhängig. Der gesundheitliche und organisatorische Aufwand ist enorm. Bei akuten Drogennotfällen müssen Rettungskräfte alarmiert und Betroffene ins Krankenhaus gebracht werden – verbunden mit hohem Personalaufwand für die Bewachung. Zusätzlich beobachten die Bediensteten neue Schmuggelmethoden, etwa den Einsatz von Drohnen, die Drogenpakete über dem Anstaltsgelände abwerfen.