Erfolgreiche Premiere für den neuen NachtwächterMit Lanze und Laterne durch die Rheinbacher Nacht

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Mit Nachtwächter Jürgen Herling durch Rheinbach.

Mit Nachtwächter Jürgen Herling durch Rheinbach.

Jürgen Herling schlüpfte zum ersten Mal in die Rolle des Nachtwächters und zeigte Interessierten, wie das Leben in Rheinbach früher aussah. 

„Hört, ihr Herrn, und lasst euch sagen: Unsere Glock' hat neun geschlagen. Neun vergaßen Dankespflicht. Mensch, vergiss die Wohlfahrt nicht.“ Mit diesem Ruf zur neunten Stunde begrüßte Jürgen Herling, der neue Rheinbacher Nachtwächter, schon von Weitem die Besucher. Die im Singsang vorgetragenen Reime wurden begleitet von den Stundenschlägen der katholischen Kirche St. Martin. Eine Gruppe wartete neugierig auf den Mann vom Eifel- und Heimatverein an der großen Schwengelpumpe, der „Nachtwächterpumpe“, auf dem Platz „Am Bürgerhaus“. Der 69-Jährige mit hessischem Migrationshintergrund schlüpfte am Freitagabend zum ersten Mal erfolgreich in die Rolle des Nachtwächters, und führte eine Stunde lang Gäste durch den mittelalterlichen Kern der Stadt.

Vorgänger Rudolf Wehage war im März in den verdienten Ruhestand getreten. „Mein Name ist Jürgen und ich freue mich, dass Ihr mich an meinem ersten Arbeitstag begleitet“, stellte er sich bei der interessierten Gruppe vor.  Herling wohnt seit 16 Jahren in der Glasstadt. Und da er bereits seit 2019 zum Team der Burg- und Stadtführer gehört, konnte er scheinbar nonchalant interessante Einzelheiten zur Geschichte erzählen. Mit schwarzem Hut, langem grauem Mantel, Horn, einer alten Laterne und einer 2,50 Meter langen Lanze, die beiden letzteren Leihgaben des Stadtarchivs, verkörperte Herling den historischen Ordnungshüter, dessen Beruf es schon seit über 100 Jahren in Rheinbach nicht mehr gibt. Mit der Einführung von Polizei, Feuerwehr und Straßenbeleuchtung wurde das Gewerbe obsolet. Im Mittelalter spielte der Nachtwächter allerdings eine besondere Rolle:

Sieben große Brände allein im 17. Jahrhundert in Rheinbach

Sein Vertrag mit der Stadt verpflichtete ihn, von abends neun bis morgens vier durch die Straßen zu gehen, die Stunden auszurufen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Mit seinem Gesang lieferte er seinem Dienstherrn einen Arbeitsnachweis: „Dessen Brot ich ess’, dessen Lied ich sing’.“ Zusätzlich sei es seine Aufgabe gewesen, die Bürger mit seinem Horn vor Feuern zu warnen, erfuhren die Besucher. Das war besonders wichtig in Zeiten von mit Stroh gedeckten Holzhäusern und offenen Herdfeuern, in denen Stadtbrände verheerende Folgen hatten. Die Ausrüstung zum Löschen von Bränden habe sich früher pro Haus auf zwei Ledereimer, eine Leiter und einen Haken beschränkt, mit dem Stroh vom Dach gekratzt wurde.

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Erst 1879 habe es eine Feuerwehr in Rheinbach gegeben. Das führte dazu, dass „unsere liebe Stadt bis zum 19. Jahrhundert insgesamt neun Mal abgebrannt ist, davon gab es sieben große Brände allein im 17. Jahrhundert“. Trotz seiner wichtigen Aufgaben werde sein Beruf wie der des Henkers und Schlächters gering geachtet und schlecht bezahlt, klagte Herling. Seine Kinder könnten kein Handwerk erlernen, da sie von den Innungen nicht aufgenommen würden: „Mein Beruf gehörte zu den unehrenhaften, kein Mensch zu meiner Zeit wäre auf die Idee gekommen, den Nachtwächter auf seiner Runde zu begleiten.“

Dabei sei er doch die Lebensversicherung für die Bürger dieser Stadt gewesen: „Ich habe aufgepasst, dass Höfe und Tore verschlossen waren, vor allem das Dreeser Tor. Und ich habe Nachts die Diebe aufgehalten und die Trunkenbolde nach Hause geführt.“

Ein Ausflug in die Zeit des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit

Am Wasemer Turm: Eine Stadtführung mit Nachtwächter Jürgen Herling.

Am Wasemer Turm: Eine Stadtführung mit Nachtwächter Jürgen Herling.

Mit Anekdoten versetzte Herling seine Zuhörer in die Zeit des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, als es noch keine Straßenbeleuchtung gab, Rheinbach nur 167 Familien mit 442 Steuerpflichtigen zählte und besagte Schwengelpumpe zur öffentlichen Wasserversorgung gehörte. Er erzählte vom Kampf um das kostbare Wasser, von zahlreichen Bränden sowie prekären hygienischen Zuständen. Von großem Nutzen sei in diesem Zusammenhang seine breite Hutkrempe, die ihn vor dem Inhalt auf die Straße entleerter Nachttöpfe schütze. „Damals war es unglaublich schmutzig: Es stank aus den Weihern und aus den Gräben rund um die Stadt, aus den Hinterhöfen, den Misthaufen, Küchen und Klohäuschen, wenn es sie denn gab.“ Auch die Menschen hätten gestunken – und das „in großer Einigkeit“. Intimsphäre sei aufgrund fehlender Fensterscheiben und dichter Türen ein seltenes Gut gewesen: „Man hat unmittelbar mitbekommen, wenn irgendwo Zores und Streit war.“

Mit der Laterne leuchtete der Nachtwächter den Weg: an alten Fachwerkhäusern vorbei die Bachstraße hinauf, rechts in die Polligstraße, vorbei am ehemaligen Windmühlenturm bis zum Wasemer Turm. Das Neutor dort sei im 18. Jahrhundert – im Grunde aus Bequemlichkeit - nachträglich eingesetzt worden. Die Bürger hätten sich auf diese Weise den Umweg über das Dreeser Tor gespart und so schneller Friedhof, Kirche, den Wald und ihren Gärten erreichen können. „Auf den Wällen wurde die Wäsche zum Bleichen ausgelegt.“ Der Turm habe der Stadt als Gefängnis gedient, heute sei er das Quartier der Stadtsoldaten.

„Autobahn des Mittelalters“ verlief durch Rheinbach

Entlang der Hauptstraße ging es zur Weiherstraße. Dort berichtete der Nachtwächter von der historischen Aachen-Frankfurter-Heerstraße, der „Autobahn des Mittelalters“, die durch Rheinbach verlaufen sei. Auf ihr seien die Könige, die in Frankfurt gewählt wurden, zur Krönung nach Aachen gezogen, sie sei von Handelsreisenden und Vagabunden, aber auch von Pilgern und Heeren benutzt worden: „Bis zu 100 Gespanne zogen früher täglich durch diese Stadt.“ Voigt- und Dreesertor seien in jener Zeit nichts anderes als Mautstationen gewesen, „ein schönes Einkommen für Landesherrn und die Stadt selber“. An der Hauptstraße, dem Kiez von Rheinbach, hätten sich Gasthäuser und Kneipen gereiht. Einen seltsam aktuell anmutenden Beschwerdebrief der Bürger aus dem Jahr 1710 verlas Nachtwächter Herling an der Kirche St. Martin. In dem Schriftstück beschwerten sich die Rheinbacher schon damals darüber, „stetig mit höheren Steuern“ belastet zu werden.

Der Abschied von seinen begeisterten Zuhörern erfolgte wieder in Versform: „Menschenwachen kann nichts nützen. Gott muss wachen, Gott muss schützen. Herr, in deiner Güt' und Macht, schenk uns eine gute Nacht.“

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